Nach großen Feuerschäden versicherter Unternehmen liest man in den Schadenberichten immer wieder, dass die Versicherungssummen im aktuellen zugrunde liegenden Versicherungsvertrag nicht ausreichend bemessen waren, um den Versicherungsnehmer adäquat und vollständig zu entschädigen.
Versicherungsexperten in den USA berichten, dass die gemeldeten Versicherungssummen oft nur 60 % der tatsächlichen Versicherungssumme betragen. Auch in anderen Ländern, z. B. in Deutschland, wurde erst kürzlich von einem Sachverständigen für die Ermittlung von Versicherungssummen die durchschnittliche Unterversicherung mit ca. 20 % angegeben – mit einer teilweise sehr großen Spannbreite.1
Obwohl es eine Vielzahl von Fachbüchern und -artikeln zum Thema der richtigen Versicherungssummenermittlung gibt, ist es bisher nicht gelungen, einen handhabbaren Standard zu etablieren. Die theoretischen Grundlagen sind bekannt, doch in der Praxis lassen sie sich nur schwerlich umsetzen. Zudem ist ihre Umsetzung mit einem erheblichen Zeit- und Kostenaufwand verbunden, den viele Unternehmen scheuen. Nicht auszuschließen ist, dass Versicherungsnehmer aus Kosten-Nutzen-Überlegungen eine Unterversicherung in Kauf nehmen.
Die Versicherungssumme von Gebäuden lässt sich in der Praxis mit meist vertretbarem Auswand feststellen. Bei neueren Gebäuden kann man anhand der Neubaukosten mit dem entsprechendem Wertzuschlagsindex einen Anhaltswert ermitteln. Die Bestimmung der Versicherungssumme für Anlagen, Maschinen und Folgeschäden, z. B. für die Betriebsunterbrechungsversicherung, ist deutlich komplexer und schwieriger. Für die Festsetzung der Betriebsunterbrechungsversicherungssumme beispielsweise muss vorausschauend die künftige Entwicklung des Unternehmens einbezogen werden. Die üblichen betriebswirtschaftlichen, finanz- und bilanztechnischen Kennzahlen können in der Regel nur bedingt herangezogen werden.
Der vorliegende Artikel beleuchtet die unterschiedlichen Aspekte bei der Versicherungssummenermittlung und gibt Anregungen für eine entsprechende Umsetzung für das Underwriting.
Die Basis der Versicherungssummenermittlung
Die Versicherungstechnik kennt verschiedene Arten der Versicherungssummen. Dies sind u. a.:
- Neuwert
- Zeitwert
- gemeiner Wert/Buchwert
- Wiederbeschaffungswert
- Erstrisikosumme
- Höchstschadensumme
In fast allen Versicherungsmärkten ist im Schadenfall der Neuwert als Basis für eine Entschädigung gebräuchlich. Dabei wird der Betrag entschädigt, der aufgewendet werden muss, um eine Sache in neuwertigem Zustand gleicher Art, Güte und Funktion wiederzubeschaffen bzw. wiederherzustellen. Der Versicherungsnehmer soll also so gestellt werden, als wenn er keinen Schaden erlitten hätte. Der Neuwert wird definiert als die Kosten, die für eine Neuanschaffung gleicher Art und Güte entstehen. Dem Neuwert gleichgesetzt ist häufig der Wiederbeschaffungspreis, der sich in der Regel aus den Kosten für die Beschaffung eines vergleichbaren Gegenstands sowie den Beschaffungsnebenkosten zusammensetzt, z. B. Planungs-, Genehmigungs- und Installationskosten.
Eine weitere Entschädigungsvereinbarung beruht auf dem Zeitwert. Hierunter versteht man den Wert einer Sache im Zeitpunkt des Schadens. Zur Bestimmung des Zeitwerts wird vom Neuwert einer Sache ein Abschlag für die Nutzung, das Alter und den Gebrauchszustand abgezogen. Durch die Auszahlung des Zeitwerts soll der Versicherungsnehmer in die Lage versetzt werden, sich einen angemessenen Ersatz für die zerstörte oder abhanden gekommene Sache zu beschaffen. Nicht unproblematisch ist hierbei jedoch die Bestimmung des Wertverlusts durch den Gebrauch und das Alter der beschädigten Sache. Aus diesem Grund finden sich in Versicherungsverträgen häufig ergänzende Bestimmungen, die besagen, dass der Neuwert als Entschädigung zur Anwendung kommt, wenn der Zeitwert einen bestimmten festgelegten Prozentsatz (z. B. 40 %) nicht unterschreitet. Bei einer Versicherung auf Zeitwertbasis ist zu berücksichtigen, dass bei einem Teilschaden in der Regel Neuwertteile zur Reparatur verwendet werden und damit höhere Schadenaufwendungen anfallen, als wenn man ein gebrauchtes Reparaturteil gleicher Art und Güte hätte verwenden können.
Der gemeine Wert ist hier der für den Versicherungsnehmer erzielbare Verkaufserlös (für die Sache oder das Altmaterial), der in seinem Zustand vor Eintritt des Schadens hätte erzielt werden können. Der gemeine Wert wird insbesondere dann als Entschädigungsbasis verwendet, wenn die Sache vor dem Schaden nicht mehr verwendet wurde oder nicht mehr brauchbar war.
Daneben gibt es weitere Bestimmungen z. B. für die Entschädigung von Wertpapieren oder Sparbüchern.
Bedeutung der Versicherungssumme
Die Versicherungssumme spielt neben der Bedeutung für den Versicherungsnehmer auch für die Versicherer eine zentrale Rolle, u. a. bei der Berechnung und Festsetzung
- der zu zahlenden Versicherungsprämie,
- des zu erwartenden höchstmöglichen Schadens,
- der Zeichnungskapazität sowie
- zur Festlegung der Rückversicherung.
Daneben kommt der Versicherungssumme bei der statistischen Ermittlung der notwendigen Versicherungsprämie eine bedeutende Rolle zu. Dabei wird zunächst aus der Akkumulation der Versicherungssummen aller gezeichneten Risiken einer Betriebsart in einem Portfolio in einem definierten Zeitraum, z. B. zehn Jahre, sowie den in diesem Zeitraum angefallenen Schäden der sog. Schadensatz berechnet. Dieser zeigt als Benchmark auf, welche Prämieneinnahmen mindestens hätten erzielt werden müssen, um statistisch gesehen alle angefallenen Schäden in dieser Betriebsart entschädigen zu können. Aus diesem Schadensatz wird dann unter Hinzurechnung der Administrationskosten und der Gewinnerwartung des Versicherers die zu erzielende technische Versicherungsprämie berechnet.
Im Bereich der nicht proportionalen Versicherung/Rückversicherung wirken sich die Versicherungssummen zusätzlich über die aus statischen Daten gewonnenen Schadenverteilungskurven auf die notwendige Layerprämie aus.
Die richtige Versicherungssumme erlaubt im Schadenfall eine schnelle und angemessene Regulierung des Schadens und kann in der Folge mögliche Schadensfolgen minimieren.
Obwohl neben dem Versicherungsnehmer auch der Versicherer ein hohes Interesse an der Richtigkeit der Versicherungssumme für ein Risiko haben sollte, überlässt man die Festsetzung der erforderlichen Versicherungssumme in der Regel dem Versicherungsnehmer. Eher selten sind in der Praxis Regelungen zu finden, in denen der Versicherer die Verantwortung für die Richtigkeit der Versicherungssumme übernimmt.
Zusammengefasst stellt die richtige Ermittlung der Versicherungssumme sowohl für den Versicherungsnehmer als auch für den Versicherer einen fundamentalen Parameter im Rahmen der Sachversicherung dar.
Auswirkungen nicht zutreffender Versicherungssummen
Abgesehen von der Tatsache, dass im Schadenfall bei unzureichenden Versicherungssummen der Versicherungsnehmer nicht in vollem Umfang entschädigt wird, können falsche Versicherungssummen weitere Effekte zeigen:
- Der Versicherer berechnet für ein Risiko eine zu geringe Prämie; d. h., ihm steht im Verhältnis zum Exposure nicht ausreichend Prämie zur Verfügung, um einen anfallenden Schaden bezahlen zu können. Um dem gegenzusteuern, wird üblicherweise im Versicherungsvertrag eine Unterversicherungsregelung getroffen: Ist die Versicherungssumme niedriger als der tatsächliche Versicherungswert unmittelbar vor Eintritt des Versicherungsfalls, wird der angefallene Schaden nur im Verhältnis der gemeldeten zur tatsächlichen Versicherungssumme ersetzt.
- Der Underwriter schätzt das Exposure des zu versichernden Risikos niedriger ein mit der Folge, dass er eine zu hohe Zeichnungskapazität vergibt. Damit korreliert auch die Höchstschadenschätzung. Eine zu geringe Einschätzung des Höchstschadens, verursacht durch unzureichende Versicherungssummen, kann bspw. zur Folge haben, dass der Versicherer neben der zu geringen Exposure-Einschätzung auch die zu erwartende Schadenverteilung als unzutreffend einschätzt.
- Beide Effekte beeinflussen damit möglicherweise auch den Einkauf und die Strukturierung der Rückversicherung, sodass der Versicherer bei einer Fehleinschätzung ggf. einen Teil des Schadens selber tragen muss.
- Langfristig können systematisch falsch ermittelte Versicherungssummen in einem größeren Portfolio zur Berechnung unzureichender Schadensätze und damit zu zu geringen bzw. zu hohen Grundprämiensätzen führen. Die Prämien werden, wie bereits oben erwähnt, in der Regel aus statistisch erhoben Daten ermittelt. Hierbei wird die Gesamtheit aller gemeldeten Schadensummen einer bestimmten Betriebsart ins Verhältnis zur Gesamtheit aller gemeldeten Versicherungssummen gesetzt. Sind bspw. die gemeldeten Versicherungssummen geringer als die tatsächlichen Neuwert-/Wiederherstellungskosten, ergeben sich bei dieser Betrachtung zu niedrige Schadensätze, die zu einer Unterschätzung der notwendigen Tarifprämie führen, s. Beispiel 1:
Beispiel 1: Die gemeldete Versicherungssumme beträgt 1 Mio., der Schaden 2 Mio. Bei Zugrundelegung der richtigen Versicherungssumme von 2 Mio. wäre ein Schadensatz von 1 ‰ erforderlich, tatsächlich wird aber durch die zu gering gemeldete Versicherungssumme von 1 Mio. lediglich die Hälfte des tatsächlich notwendigen Schadensatzes berechnet, d. h., die für das Risiko berechnete Prämie ist 50 % zu niedrig. - Der Effekt der statistisch falschen Berechnung des Schadensatzes wird bei der Berechnung nicht proportionaler Versicherungen durch die Anwendung der Schadenverteilungskurven noch verstärkt, da in einem solchen Fall die Priorität als günstiger angenommen wird, als sie bei der Verwendung der tatsächlichen Versicherungssumme wäre (sog. Kompressionseffekt), d. h., Teilschäden erreichen schneller den Attachment-Punkt, s. Beispiel 2:
Beispiel 2: Die Versicherungssumme beträgt 10 Mio., die Neuwertsumme 15 Mio., der Layer 5 Mio. xs 5 Mio. für 100 % des Risikos. Eine zugrunde liegende Grundrate von 0,2 % führt bspw. bei Anwendung einer Ruthie-A-Schadenverteilungskurve2 für den Layer von 11 % der Grundprämie zu einer Layerprämie von 2.200. Hätte man die tatsächliche Versicherungssumme von 15 Mio. zugrunde gelegt, wären 15,4 % der Gesamtprämie dem Layer zuzurechnen, d. h. 4.600. Das Ergebnis ist, dass eine 50 % zu geringe Versicherungssumme zu einer Prämienverschätzung von 110 % führt. - Hinzu kommt bei nicht proportionalen Versicherungen, dass im Schadenfall ggf. Lokationen, die aufgrund ihrer gemeldeten, zu niedrigen Versicherungssumme vom Versicherer als nicht relevant für den angefragten Layer angesehen wurden, im Schadenfall einen höheren Schaden als erwartet erleiden und damit ggf. die Priorität überschreiten und bei fehlender Unterversicherungsregelung eine Entschädigungsleistung auslösen, obwohl der Versicherer hierfür keine Prämie erhalten hat.
- Zur Exposure-Einschätzung sind zudem Höchstschadenszenarien und -schätzungen für einen Underwriter wichtige Kriterien. Sind die gemeldeten Versicherungssummen zu niedrig (was sich in der Regel erst im Schadenfall herausstellt), hat der Underwriter das vorhandene Risiko-Exposure unterschätzt mit der Konsequenz, dass der Versicherer sich überzeichnet oder ungenügend Rückversicherungsschutz einkauft.
- Für den Versicherer ergeben sich ggf. Fehleinschätzungen in seiner Kumulbetrachtung, insbesondere im Zusammenhang mit Naturgefahrendeckungen.
Aber auch für den Versicherungsnehmer ergeben sich einige Problembereiche:
- Die Schadenfeststellung sowie die Entschädigungszahlung wird hinausgezögert, da umfangreiche Ermittlungen angestellt werden, ob die Versicherungssumme tatsächlich den gemeldeten Versicherungswerten entspricht.
- Zu hohe Versicherungswerte führen für den Versicherungsnehmer zumindest zur Zahlung einer zu hohen Versicherungsprämie, zu niedrige Versicherungssummen ziehen in aller Regel Deckungslücken nach sich und bergen die Gefahr, dass im Schadenfall der Schaden nur unzureichend entschädigt wird. Problematisch wird die Ermittlung der Versicherungssumme u. a. bei stark schwankenden Werten während eines Versicherungsjahres. Um eine eventuelle Unterversicherung zu vermeiden, sollte in diesem Fall die Versicherungssumme auf dem Extremwert basieren.
Außerdem ergeben sich Diskussionspunkte zwischen den beteiligten Parteien:
- Das Verständnis, wie die verschiedenen Versicherungssummenbegriffe im Versicherungsvertrag festgelegt und im Schadenfall auszulegen sind, geht teilweise zwischen Versicherungsnehmer, Makler und Versicherer auseinander.
- Der Versicherungsnehmer, der Makler, aber auch der Versicherer verfügen oft nicht über die notwendige Expertise und Zeit, eine detaillierte Aufnahme der Versicherungssummen vorzunehmen. Insofern werden ggf. notwendige Positionen für die Versicherungssummenermittlung nicht berücksichtigt.
- Bei älteren Gebäuden und Anlagen/Maschinen sind Reparaturen, Wiederaufbau bzw. Rekonstruktion nach einem Schadenfall in der Regel deutlich teurer, da ggf. Ersatzteile nicht mehr vorhanden sind, Anlagen/Maschinen gleicher Art und Güte nicht mehr produziert werden oder die zur Wiederherstellung notwendigen Techniken nicht mehr verfügbar sind.
- Die Versicherungssumme wird häufig aus den im Unternehmen bekannten betriebswirtschaftlichen, bilanztechnischen Werten und Verfahren ermittelt (z. B. GAAP, HGB). Fixe Kosten, die ebenfalls versichert werden können, werden dabei nicht berücksichtigt und damit für die Festsetzung der Versicherungssumme vergessen.
- In der Praxis ist immer wieder festzustellen, dass die Versicherungssummen in der Betriebsunterbrechungs-, aber auch in der Sachversicherung zum Zeitpunkt des Beginns einer Versicherungspolice bestimmt werden. Häufig wird dabei übersehen, dass Umsatzsteigerungen, Gewinnveränderungen sowie Zu- und Abgänge bei den Sachwerten im Laufe der Versicherungsvertragsperiode sich merklich verändern können. Dies kann im Schadenfall Diskussionen über den Versicherungswert sowie die Entschädigungsleistung auslösen.
- Im Rahmen der Betriebsunterbrechungsversicherung wird die Haftzeit vor einem Schaden häufig optimistisch eingeschätzt. Die Haftzeit ist dabei der Zeitraum, der es ermöglichen soll, dass nach einem Schadenereignis mit einer Betriebsunterbrechung der Versicherungsnehmer finanziell so gestellt ist, als ob er keinen Schaden erlitten hätte. Ebenso optimistisch fällt vor einem Schaden oft die Bewertung vorhandener Ausweich- und Auffangmöglichkeiten nach einem Schaden aus. Stellt sich im Schadenfall dann heraus, dass die Haftzeit unter- oder Ausweichmöglichkeiten überschätzt wurden, ergibt sich eine Unterversicherung mit all ihren gravierenden Folgen.
- Veränderungen der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für das zu versichernde Unternehmen werden bei der Ermittlung der Versicherungssummen nicht miteinbezogen, z. B. verstärkte Nachfrage oder höherer Umsatz/Ertrag eines Unternehmens, bspw. als Folge der Einführung eines neuen Produkts.
Ein immer wieder festzustellendes Problem in der Schadenregulierung ist, dass sich im Schadenfall die ursprünglich angesetzten Neubauwerte bei Gebäuden bzw. die Beschaffungspreise für Neuanlagen als letztlich zu niedrig herausstellen. Der Grund dafür liegt oft darin, dass außer Acht gelassen wird, dass zum Zeitpunkt der ursprünglichen Beschaffung oder des Neubaus Rabatte oder weitere Vergünstigungen ausgehandelt werden konnten.
Kommt es zu einem Schadenfall, sollen die beschädigten Anlagen/Maschinen und/oder Gebäude so schnell wie möglich repariert, wiederbeschafft oder wiederhergestellt werden. In einem solchen Moment ist in der Regel nicht zu erwarten, dass die damaligen Rabatte und Vergünstigungen wieder erzielt werden können sowie ggf. sogar zusätzliche Kosten anfallen. Das heißt, die im Schadenfall aufzuwendenden Kosten liegen deutlich über den Kosten einer geplanten und langfristig vorbereiteten Investition. Gegebenenfalls werden entsprechende Maschinen/Anlagen nicht mehr hergestellt oder entsprechende Ersatzteile sind nicht mehr verfügbar, sodass durch eine notwendig werdende Einzelfertigung ein erheblicher Mehraufwand anfällt.
Daneben fallen oft weitere Kosten durch erhöhte Auflagen und Betriebsgenehmigungen, wie zusätzliche behördlich geforderte Sicherheitsmaßnahmen, an. Engpässe bei Personal, Handwerksbetrieben, Errichterfirmen (z. B. für einzubauende Sprinkler- oder Brandmeldeanlagen) oder die Nichtverfügbarkeit von Infrastruktur verteuern den Schaden. Diese Posten müssten ebenfalls im Rahmen der Versicherungssummenfestsetzung hinzugerechnet werden.
Ein besonderes Problem stellen historische Gebäude und Anlagen dar, die unter Denkmalschutz stehen. Oft existieren hier keine wirklichen Erkenntnisse, was eine Wiederherstellung in gleicher Art und Güte nach heutigem Stand kosten würde, da die damals verwendeten Materialien und Handwerkstechniken nicht mehr oder nur sehr begrenzt verfügbar sind. Erst im Schadenfall werden die tatsächlich notwendigen Wiederherstellungskosten sichtbar.
Lösungsmöglichkeiten
Auch wenn die Folgen einer fehlerhaften Ermittlung der Versicherungssumme in der Regel den Versicherungsnehmer treffen, sollten sowohl der Makler als auch der Versicherer ein gesteigertes Interesse daran haben, den Versicherungsnehmer bei der Wahl der richtigen Versicherungssumme zu unterstützen und zu beraten. Hierfür stehen den handelnden Parteien eine Vielzahl von Möglichkeiten zur Verfügung, z. B. Versicherungssummenexpertise, Versicherungssummen-Ermittlungstools und Benchmark-Verfahren. Im Einzelnen:
Versicherungssummenexpertise
Die sicherlich beste und sicherste Methode, die richtige Versicherungssumme zu ermitteln, ist die Einschaltung eines entsprechenden Sachverständigen (z. B. zur Ermittlung des Gebäude-/Anlagen-/Vorratswerts). Oft wird aber dieser Aufwand gescheut, denn dies bedeutet einen erheblichen Zeitaufwand, verbunden mit einem nicht unerheblichen finanziellen Aufwand für den Versicherungsnehmer. Bei Vorliegen einer Versicherungssummenexpertise verzichtet der Versicherer in der Regel auf die Einrede der Unterversicherung.
Versicherungssummen-Ermittlungstools
Die heutigen Möglichkeiten der Datenverarbeitung ermöglichen es, Tools zu entwickeln, die bei der Ermittlung der Versicherungswerte unterstützen. Die so ermittelten Versicherungssummen basieren in der Regel auf durchschnittlich errechneten statistischen Werten aus einer Vielzahl vergleichbarer Risiken, die mithilfe von Algorithmen sowie ggf. zusätzlich vorhandenen Merkmalen den Wert des zu beurteilenden Objekts schätzen und einen entsprechenden Versicherungswert empfehlen. Einschränkend ist zu sagen, dass diese Tools die detaillierten und spezifischen Eigenschaften eines zu beurteilenden Objekts nur teilweise erfassen, da die Wertermittlung auf statistischen Durchschnittswerten beruht und daher z. B. eine besonders hochwertige oder rudimentäre Ausstattung nicht berücksichtigen.
Benchmark-Verfahren
Darüber hinaus haben sich in der Praxis weitere Möglichkeiten herausgebildet, um mit einem noch zu vertretenden Aufwand den erforderlichen Versicherungswert zu ermitteln. Unter anderem sind hier folgende Verfahren zu nennen: Trending-Methode, Direct-Pricing-Methode und Benchmark-Methode. Im Einzelnen:
- Bei der Trending-Methode, die bei der schnellen Ermittlung von Neukosten angewendet wird, beruht die Bewertung der Sachanlagen auf den ursprünglichen Anschaffungs-/Herstellungskosten. Dies hat zur Folge, dass der technologische Fortschritt sowie die Mehraufwendungen für einen kurzfristigen Wiederaufbau nicht berücksichtigt werden. Sie ist daher zu empfehlen, wenn die zu bewertenden Sachanlagen noch relativ neu sind, die zu versichernden Objekte in stabilen Volkswirtschaften Verwendung finden und die Preise für die Objekte stabil sind und keinen oder nur geringen Preisschwankungen unterliegen.
- Die Direct-Pricing-Methode erfordert die Feststellung des Preises für ein Objekt durch die direkte Anfrage beim Hersteller oder die Auswertung entsprechender Preislisten (soweit verfügbar). Ergänzend sind dann die Installationskosten sowie weitere, im Zuge der Wiederbeschaffung anfallende Kosten mit hinzuzurechnen. Gegebenenfalls ist auch hier ein Zuschlag für den Mehraufwand für die kurzfristige Wiederherstellung/den Wiederaufbau miteinzubeziehen (sog. Beschleunigungskosten). Diese Methode hat den Nachteil, dass sie nicht bei Produkten angewendet werden kann, die nicht mehr hergestellt werden oder verfügbar sind, z. B. durch Auslistung oder Insolvenz des Herstellers.
- Bei der Benchmark-Methode wird die Versicherungssumme für ein Objekt durch den Vergleich mit bekannten Preisen aus ähnlichen Objekten mit vergleichbaren physikalischen Eigenschaften und technischer Funktionalität geschätzt. Auch hier gilt es, einen entsprechenden Mehraufwand und Zusatzkosten für eine kurzfristige Wiederherstellung mitzuberücksichtigen.
Es gibt darüber hinaus noch eine Vielzahl weiterer Methoden, allen liegt aber im Vergleich zu einem Sachverständigengutachten eine gewisse Unsicherheit zugrunde. Hinzu kommt, dass in der einerseits globalisierten Wirtschaft andererseits der Trend zur maßgeschneiderten Spezialanlage besteht. Dadurch sind die Beschaffungszeiten für Anlagen und Maschinen schwerer abzuschätzen. Auch der schnelle Technologiefortschritt sowie die Komplexität der Wiederherstellung und -beschaffung durch sich verschärfende Auflagen und Regularien erschweren die Ermittlungen.
Bewertung der Lösungsmöglichkeiten
Betrachtet man die Ermittlung des Versicherungswerts bei Gebäuden, kann man heute sicherlich festhalten, dass in diesem Bereich am ehesten nachvollziehbare Versicherungssummen ermittelt werden. Hierfür stehen ausreichend Erfahrungen aus der Bauwirtschaft, auch differenziert nach Ländern,3 zur Verfügung. Eine Internetsuche führt zu unzähligen Webseiten zu diesem Thema. Solche Bewertungen stützen sich häufig auf Kubikmeter umbauter Raum bzw. Quadratmeter sowie die jeweilige geplante Nutzung. Daneben ergeben sich mit dem Technologiefortschritt neue Möglichkeiten, wie beispielsweise eine Gebäudewertermittlung auf der Basis vorhandener Geoinformationen sowie selbstlernender Algorithmen.4
Schwieriger wird es mit der Ermittlung der Versicherungssumme für Anlagen, Maschinen und sonstige Inhalte. Heute sind in den Unternehmen immer weniger Serienanlagen/-maschinen gefragt, sondern sie werden zunehmend an die besonderen Anforderungen eines Betriebs angepasst oder gar exklusiv für den speziellen Anwendungsfall gebaut. Damit wird es nach einiger Zeit immer schwieriger, durch den Blick ins Anlagenverzeichnis und basierend auf dem damaligen Anschaffungspreis einen Neupreis zu bestimmen. Letztlich ist nur die direkte Anfrage an den Hersteller, was ein entsprechender Neubau kosten würde, zielführend. Ergänzend kommt hinzu, dass aufgrund des technologischen Fortschritts bei einer Wiederanschaffung die mittlerweile erreichte erhöhte Effizienz und Leistungssteigerung der Anlage nur schwer abzuschätzen ist.
Entspannter kann man zunächst die Situation in der Wertermittlung für die im Betrieb vorhandenen Lagerbestände/Vorräte sehen. Hier ist allerdings vorab zu klären, ob die ermittelte Versicherungssumme auf dem Herstellungs- oder dem Verkaufspreis beruhen soll. Hier hilft in der Regel die Lagerbuchhaltung weiter bzw. das Warenbestandsverzeichnis. Problematischer wird es, wenn saisonale Einflüsse mitzuberücksichtigen sind. Auch kann die Frage von Bedeutung sein, wer für die Versicherung der Vorräte verantwortlich ist, wenn die Lagerhaltung an Dritte ausgelagert ist.
Die Bestimmung der Betriebsunterbrechungsversicherungssumme stellt dagegen wieder eine besondere Herausforderung dar, denn zunächst hängt sie von der gewünschten Form der Betriebsunterbrechungsversicherung ab (z. B. Gross Profit, Gross Earnings, Mehrkostenversicherung, Mietverlustversicherung). Ohne näher ins Detail der verschiedenen Formen der Betriebsunterbrechungsversicherung einzusteigen, ist zu beachten, dass die Betriebsunterbrechungsversicherungssummen in die Zukunft gerichtet berechnet werden müssen. Denn die Veränderungen im Umsatz oder der Gewinnerwartung wie auch der fixen Kosten bzw. Markt- und Kundenveränderungen können im Laufe der Versicherungsvertragsperiode bedeutende Auswirkungen haben. Rechnet man hinzu, dass bei einem Schadenfall am Ende der Vertragsperiode die Deckung entsprechend der Haftzeit deutlich über das Ende des Versicherungsvertrags hinausreichen kann, ist die Betriebsunterbrechungsversicherungssumme gemäß der vereinbarten Haftzeit vorausschauend bis zum Ende der Haftzeit hochzurechnen. Hinzu kommt, dass es aufgrund der wirtschaftlichen und technologischen Vernetzung zwischen verschiedenen Werken bei einem Versicherungsnehmer durch den eingetreten Schadenfall auch an anderen Standorten ebenfalls zu Folgeschäden kommt, die ggf. ebenfalls in den Deckungsumfang der Betriebsunterbrechungsversicherung fallen (sog. Wechselwirkungsschäden) und damit den Schaden ebenfalls vergrößern. Sie sind deshalb auch im Rahmen der Versicherungssummenfestsetzung zu berücksichtigen.
Nicht vergessen werden darf, dass im Rahmen eines Versicherungsvertrags weitere Summenpositionen für anfallende zusätzliche Kosten im Schadenfall versichert werden können, sog. Erstrisikopositionen. Deren Höhe wird durch den Versicherungsnehmer festgelegt und beruht auf der Einschätzung, dass diese Positionen im Schadenfall als Mehraufwand anfallen und berücksichtigt werden müssen. Nachhaftungsvereinbarungen sowie Vorsorgesummenvereinbarungen können ergänzend noch zur Versicherungssummenfestsetzung im Versicherungsvertrag vereinbart sein. Weitere versicherte Summenpositionen können Wechselkursschwankungen oder vorsorgliche Investitionsvereinbarungen sein.
Vertragliche Regelungen, die auf Versicherungssummenprobleme hinweisen
Das Underwriting des Versicherers basiert zu einem großen Teil auf den Angaben des Versicherungsnehmers vor Abschluss eines Versicherungsvertrags oder auf den Angaben, die sich aus dem Bericht eines Versicherungsingenieurs oder Besichtigers ergeben, wenn er vor Ort den Betrieb in Augenschein genommen hat. Nachträglich ist es für einen Underwriter oft schwierig zu erkennen, ob die gemeldeten Versicherungssummen die realen Werte und Gegebenheiten widerspiegeln.
Aufgrund der damit verbundenen Schwierigkeiten hat die Versicherungswirtschaft durch die Aufnahme entsprechender Klauseln versucht, unzutreffende Versicherungssummen im Versicherungsvertrag zu regeln. In den verschiedensten Versicherungsmärkten existieren hierzu unterschiedliche Herangehensweisen. In den USA ist z. B. das Instrument der Coinsurance- und Margin-Klausel weit verbreitet, während man in Europa eher Klauseln zur Unterversicherung findet.
Leider hat es sich eingebürgert, solche präventiven Klauseln zur Unterversicherung im Versicherungsvertrag außer Kraft zu setzen, sodass in einem solchen Fall ein Schaden ohne Überprüfung der Versicherungssumme ggf. bis zur im Versicherungsvertrag vereinbarten Versicherungssumme entschädigt wird.
Bei sorgfältiger Prüfung des Versicherungsvertrags lassen sich in der Praxis einige Merkmale finden, die einem Underwriter Anhaltspunkte geben, dass die gemeldete Versicherungssumme eventuell nicht zu den tatsächlichen Verhältnissen passen könnte. Ohne einen Anspruch auf Vollzähligkeit zu erheben, lassen sich Versicherungssummenprobleme an folgenden Merkmalen festmachen; stellt man diese fest, sollte dies zu einer gezielten Nachfrage über die Richtigkeit der gemeldeten Versicherungssumme führen:
- Im Versicherungsvertrag sind keine Versicherungssummen oder lediglich Haftungslimites aufgeführt.
- Im Versicherungsvertrag heißt es, dass die angegebenen Versicherungssummen für die Berechnung der Entschädigungsleistung keine Relevanz haben, sondern lediglich der Prämienfestsetzung dienen.
- Die Definition der Basis für die Entschädigungsleistung (z. B. Neuwert, Zeitwert, Wiederherstellungswert) fehlt oder ist vage formuliert.
- Die Entschädigungsleistung im Versicherungsvertrag ist auf der Basis des Neuwerts vereinbart, während die aufgegebenen Versicherungssummen nur den Zeitwert repräsentieren.
- Die Versicherungssummen sind in den letzten Jahren nicht angepasst worden, z. B. wurden Umsatzsteigerungen, Wertzuschlagsklauseln/Indexe sowie die Inflation nicht berücksichtigt.
- Im Versicherungsvertrag finden sich hohe Nachhaftungsvereinbarungen.
- Im Versicherungsvertrag finden sich keine oder nur unzureichende Angaben zur Wertverteilung auf einzelne Unternehmensstandorte sowie eventuell bestehende Wechselwirkungen in Fällen, in denen verschiedene Standorte in einem Versicherungsvertrag versichert werden.
- Enthält der Versicherungsvertrag eine Unterversicherungsvereinbarung oder wurde sie gestrichen? Ist die Unterversicherungsklausel nicht vereinbart oder wurde sie gestrichen, sollte die dem Versicherungsvertrag zugrunde liegende Versicherungssumme mit notwendiger Vorsicht betrachtet und auf ihre Aktualität überprüft werden.
- Im Versicherungsvertrag ist nicht eindeutig geregelt, ob die vereinbarten Erstrisikosummen im Schadenfall zusätzlich zu einer vereinbarten Höchstentschädigung anfallen oder inkludiert sind.
Fazit
Seit Jahrzehnten sorgt die Ermittlung von Versicherungssummen für Diskussionen. Diese haben in den letzten Jahren weiter zugenommen, da früher bestehende Sanktionsmöglichkeiten bei unzutreffenden Versicherungssummen auf breiter Basis aus den Versicherungsverträgen verschwunden sind oder gestrichen wurden. Hinzu kommt, dass aufgrund der zunehmenden Komplexität der Produktionsabläufe und Wirtschaftsverflechtungen in Unternehmen auch die Schadenregulierung an Komplexität zunimmt und daher im Schadenfall auf die Feststellung der richtigen Versicherungssumme verzichtet wird. So kann eine möglicherweise bestehende Unterversicherung nicht festgestellt werden.
Eine nicht zutreffende Versicherungssumme kann zu Fehleinschätzungen in der notwendigen Versicherungsprämie, des zugrunde liegenden Exposures, der eingesetzten Zeichnungskapazität und zu einer falschen Rückversicherung und damit im Schadenfall für beide Parteien zu unerwarteten Problemen führen. Bei fehlenden Sanktionsmöglichkeiten ist eventuell auch nicht ausgeschlossen, dass dem Versicherer zu niedrige Versicherungssummen gemeldet werden, um ggf. eine Prämienminimierung zu erreichen.
Nicht vernachlässigen sollte man die längerfristigen Auswirkungen, insbesondere wenn Schadensätze und Prämientarife, aber auch Eintrittswahrscheinlichkeiten und Schadenauswirkungen aus bestehenden Versicherungsportfolios und der in diesem Zeitraum angefallenen Schäden ermittelt werden.
Auch beim Underwriting spielen die richtigen Versicherungssummen eine große Rolle, insbesondere wenn zusätzlich gewährte Deckungseinschlüsse prämienfrei vereinbart werden, die aber dann im Schadenfall zu einer erheblichen Erhöhung des Schadens führen, teilweise über die vereinbarten Versicherungssummen hinaus.
Für jeden Versicherungsnehmer, aber auch für den Versicherer sollte es daher selbstverständlich sein, den notwendigen Aufwand zu betreiben, um die gemeldeten Versicherungssummen auf ihre Aktualität in Bezug auf das zu versichernde Risiko zu überprüfen.
Zur Ansicht der Checkliste für das Underwriting öffnen Sie bitte die PDF-Datei.