Es klingt verlockend, es klingt modern, zukunftsorientiert und vor allem digital: Eine interaktive Kraftfahrtversicherung, die mittels einer kleinen Box im Fahrzeug oder alternativ mit einer „Handy-App“ das versicherte Fahrzeug überwacht, um nutzungsbasierte Tarife anbieten zu können. Diese sog. Telematik-Versicherungsprodukte sind bei nahezu allen Kraftfahrt-Versicherungsunternehmen ganz oben auf der Agenda – zumindest als theoretisches Gedankenmodell. Immer mehr deutsche Versicherer überführen diese spielerischen „What-if“-Betrachtungen inzwischen in praktische Feldstudien bis hin zu Testprodukten.
Erste Testprodukte mit Endkunden in Deutschland verfügbar
Bisher waren es überwiegend kleinere Versicherer, die Endverbrauchern erste operative Lösungen anboten. Als Pionier dieser neuen Technologie ist die SparkassenDirekt-Versicherung zu nennen, die Ende 2013 – begleitet von einem medialen Feuerwerk – das erste in Deutschland verfügbare Telematikprodukt vorstellte. Der hieraus resultierende Marketingeffekt stellte Fragen zur Versicherungstechnik sowie zur eigentlichen Kundennachfrage völlig in den Schatten – zu Recht, denn dieses Produkt wurde bereits zur Einführung auf 1.000 Boxen begrenzt. Mit weniger medialer Aufmerksamkeit kam das zweite verfügbare Telematikprodukt namens „Sijox“ Ende 2014 auf den Markt, das von der Signal Iduna Versicherung Kunden im Alter von bis zu 30 Jahren angeboten wird. Im letzten Jahr folgten dann erste Angebote größerer Versicherer wie das der Axa, die ebenfalls junge Fahrer als Zielgruppe ausgemacht hat, oder die Offerte der VHV Versicherungen, die sich erstmalig an alle Versicherungsnehmer richtet. Die Ankündigungen, dass in diesem Jahr mit Allianz und HUK-Coburg nun auch beide Marktführer Telematikprodukte anbieten werden, dürfte den Druck auf weitere bisher unentschlossene Marktteilnehmer erhöhen, sich hier entsprechend zu positionieren.
Dabei ist dieser derzeit zu beobachtende Aktionismus bemerkenswert und vielleicht sogar als irrational einzustufen. Denn neben der noch zu klärenden Frage, wie die bestehende Technologie sauber in ein versicherungstechnisch tragfähiges Konzept überführt werden kann, kommt zunehmend die Frage auf, ob diese Entwicklung überhaupt ein großes Kundeninteresse besitzt. Folgt also nach dem vielfach diskutierten Statement „Telematik sucht Business Case“ nun auch noch „Telematik sucht Kunden“?
Sehr heterogener Kfz-Versicherungsmarkt auch ohne Telematik
Um die Erfolgsaussichten dieser interaktiven Produktansätze beurteilen zu können, ist ein detaillierter Blick in die derzeitige Tarif- und Produktlandschaft unerlässlich. Denn kaum ein Versicherungsprodukt hat sich seit der Deregulierung 1994 so weitreichend verändert wie die Kfz-Versicherung. Das Produkt ist seit nunmehr 20 Jahren geprägt durch einen äußerst intensiven Wettbewerb, in dem bereits zwei Preiszyklen nahezu vollständig durchlaufen wurden. Dabei wurde in der Kfz-Versicherung selbst nach Ausgleich dieser Zyklen allenfalls in der Nicht-Versicherungstechnik Geld verdient. Die Durchschnittsprämien gleichen nominal denen der Jahrtausendwende, was nicht nur dem Wettbewerb, sondern auch der deutlich reduzierten Schadenhäufigkeit zuzuschreiben ist. Innovationen im Fahrzeugbereich, im Schadenmanagement und letztlich auch die steigende Verkehrsdichte haben das Schadenaufkommen so weit reduziert, dass die Gesamtbranche inflationsbereinigt gegenüber anderen Branchen in den letzten 20 Jahren ungefähr ein Viertel ihrer volkswirtschaftlichen Bedeutung eingebüßt hat – bei einer nahezu unveränderten Anzahl an Anbietern. Dabei hat sich die Produkt- und Tarifvielfalt erheblich vergrößert, der Spreiz an Produktvarianten wie auch Preisgestaltungen ist erheblich angestiegen. Arbeitete die Branche bis Mitte der 90er-Jahre quasi im Konsens mit einheitlichen fünf Tarifmerkmalen, so werden jetzt durchschnittlich über 20 Tarifkriterien zur Risikobestimmung herangezogen, einige Versicherer operieren sogar mit mehr als 40 Kunden- und Fahrzeugeigenschaften zur Einschätzung des individuellen Risikos. Selbst ohne Verwendung neuer Technologien wie Telematik ist festzustellen, dass der Markt klassische Produkte und Tarife sehr heterogen anbietet und Risiken gleicher Couleur teilweise deutlich unterschiedlich bewertet werden. Als Beispiel hierfür sei der Einschluss eines Fahranfängers in einen laufenden Vertrag genannt, der bei einigen Gesellschaften gerade einmal einen 20%igen Zuschlag nach sich zieht, bei anderen Anbietern hingegen den bisherigen Beitrag verdoppelt, teilweise sogar verdreifacht. Obwohl allen Aktuariaten immer valideres und signifikanteres Zahlenmaterial vorliegen dürfte, ist eine Konvergenz der Preisansätze bei den Marktteilnehmern nicht zu erkennen. Im Gegenteil: Bedingt durch eine Zunahme der Komplexität von Tarifmodellen in der einen Anbietergruppe und ein Festhalten an Pauschalansätzen in der anderen Gruppe scheinen gewisse Risikobewertungen sogar im Markt zu divergieren – sicherlich nicht als Folge mathematischer Modelle, sondern eher bedingt durch vertriebliche Vorgaben.
Somit sind telematikbasierte Informationen keineswegs ein Ausbruch aus einer regulierten Tarifwelt und damit nicht der Wettbewerbsvorteil schlechthin. Vielmehr bringen diese erst einmal zusätzliche Parameter in eine ohnehin schon sehr differenzierte und differierende Tariflandschaft ein. Selbst unter der noch zu diskutierenden Prämisse, dass telematische Fahrzeugüberwachung den Schadenbedarf signifikant absinken lässt, wäre ein unschlagbarer Wettbewerbsvorteil allenfalls für derzeitige Preisführer ableitbar. Denn nur diese wären in der Lage, dem Kunden einen realen konkurrenzlos günstigen Preis anzubieten. Für alle Weiteren und damit die große Mehrzahl an Marktteilnehmern besteht hingegen die große Gefahr, mittels Telematik zwar günstiger anbieten zu können, aber noch oberhalb der klassischen Wettbewerbsangebote. Die derzeitige Tariflandschaft legt sogar nahe, dass viele potenzielle Anbieter von Telematiktarifen ihren Kunden am Ende trotz vermeintlichem Vorteil mehr abverlangen werden als die günstigsten Marktofferten ohne Trackingbox – der simple Wechsel des Versicherers könnte einen weitaus größeren Hebel besitzen als der Einbau einer Telematikeinheit.
Telematikdaten erfordern eine aufwendige Infrastruktur
Aktuariell sind die Zusatzdaten einer telematischen Fahrzeugüberwachung äußerst interessant – keine Frage! Wären diese Informationen ohne größeren Aufwand verfügbar, würde kein Aktuariat eines deutschen Versicherungsunternehmens zögern, die Risikorelevanz zu analysieren und entsprechende Erkenntnisse in Tarife einzubauen. Bekanntlich wird allerdings in der Realität eine kostenintensive Infrastruktur benötigt, um diese Informationen überhaupt erst einmal erfassen zu können. Trotz Skalierungseffekten bei Technologieanbietern und degressiven Kostenentwicklungen von Hardware- und Transaktionskosten verbleibt ein erheblicher Kostenfaktor, der zu einer Verdoppelung der bisherigen Betriebskostenquote so manch eines Anbieters führen könnte. Eine kaufmännische Kosten-Nutzen-Betrachtung ist unerlässlich, zumal der Kunde eines Telematik-Versicherungsprodukts am Ende eine entsprechende Gegenleistung für die ganzjährige Überwachung durch seinen Versicherer erwartet. Hierfür sind zwar auch diverse Serviceangebote wie Fahrtenprotokollierung oder Fahrzeugwiederauffindung denkbar, an allererster Stelle wird jedoch die (mögliche) Beitragsersparnis als Verkaufsargument genannt. Hierdurch soll das Kundeninteresse geweckt und damit die Nachfrage nach Telematik-Versicherungsprodukten erhöht werden.
Trotz höherer Kosten niedrigere Tarifangebote mit Telematik möglich?
Hier zeigt sich das erste große Dilemma der Telematik-Produktanbieter, die trotz erheblich höherer Kosten deutlich günstigere Produkte anbieten müssen, um beim Kunden durch eine positive „Kosten-Nutzen-Bewertung“ überzeugen zu können. Klar dürfte sein, dass dieses nur mit einer massiven Kosteneinsparung im Schadenbereich erzielt werden kann. „Kein Problem“, so die Meinung einiger Protagonisten, die sich in diesem Zusammenhang auf beratergestützte Auslandserfahrungen mit zweistelligen Einsparungsraten berufen. Dabei fußen diese Erfahrungen teilweise auf ganz anderen Grundtarifmodellen. So ist es ein Leichtes, beispielsweise Wenigfahrern in ausländischen Versicherungsmärkten mittels Telematik einen positiven Schadenverlauf nachzuweisen, wenn dort die Fahrleistung kein Tarifkriterium ist – im Gegensatz zu Deutschland, wo sehr viele Kundeneigenschaften, u. a. auch die Abfrage der Fahrleistung, bereits berücksichtigt werden. Auch statische Grundeigenschaften von Fahrzeugen wie Beschleunigungsvermögen, Tuning, Leistungsgewicht usw. lassen sich mit konventionellen Mitteln in Tarife einbauen. Hierdurch könnten Parameter einer erwarteten Fahrzeugnutzung bereits vorab prognostiziert und berücksichtigt werden, wodurch sich der Zusatznutzen des dynamischen Telematik-Trackings auf die Erfassung von Abweichungen jenseits der Erwartungswerte beschränken würde.
Es kommt also sehr stark auf die Ausgangssituation der jeweiligen Tariflandschaft an, denn die objektive Wirkungsweise von Telematikparametern kann nur oberhalb der Verwendung aller denkbaren konventionellen Tarifdifferenzierungsmöglichkeiten fair bewertet werden. In Deutschland werden diese vollständigen klassischen Differenzierungsmöglichkeiten – wenn überhaupt – nur von einem Bruchteil des Markts erschöpfend ausgenutzt; die meisten Unternehmen begrenzen ihre Tarifkomplexität aufgrund vertrieblicher Restriktionen. Ein internationaler Vergleich hingegen relativiert diese begrenzte Tarifdifferenzierung, da dort gehäuft viel einfachere Tarifstrukturen zum Einsatz kommen. So liegen viele Erfolgsberichte ausländischer Märkte gerade im grundlegenden Zusammenhang „je einfacher das klassische Grundtarifmodell der Kfz-Versicherung, desto einfacher die Möglichkeit der Schadenbedarfseinsparung mittels Telematik“ begründet. Ob ähnliche Erfolge in diesen Märkten auch ohne Telematik mit Hilfe klassischer Tarifverfeinerungen erzielbar gewesen wären, bleibt meist unbeantwortet.
Kosten der zusätzlichen Infrastruktur durch positive Risikoselektion finanzierbar?
Unabhängig von der aufgezeigten Bewertungsproblematik verbleibt ein signifikanter Effekt, der, ausgehend von ausländischen Erfahrungen, auch auf deutsche Kunden übertragbar sein sollte: Die Positivselektion durch „First-Mover-Kunden“, also der Kunden, die sich ohne große Notwendigkeit freiwillig auf die ersten Telematik-Produktinnovationsangebote einlassen werden. Im Rahmen eines dualen Marktumfelds, in dem Tarife mit und ohne Telematikkomponente angeboten werden, dürften sich in erster Linie Kunden für ein Telematikprodukt entscheiden, die der Meinung sind, äußerst korrekt und defensiv auf deutschen Straßen unterwegs zu sein. Diese persönliche Einschätzung sollte – auch wenn sie im Einzelfall nicht immer zutreffend sein muss – im Kollektiv zu einer insgesamt positiven Risikoauslese führen. Diese wäre allerdings auch zwingend notwendig, um sowohl die Kosten der Infrastruktur wie auch die erwartete Kundenersparnis überhaupt finanzieren zu können. Gemäß Berechnungen der Gen Re erfordert allein die Abdeckung der Telematikkosten (geschätzt mit ca. EUR 8/Monat) eine Schadenbedarfseinsparung von beachtlichen 30 %, sofern das Produkt allen Kunden angeboten werden soll (unter Verwendung einer derzeitigen Marktdurchschnittsprämie für Kfz-Versicherung in Höhe von ca. EUR 525). Einige Anbieter stellen „lediglich“ eine Größenordnung von 20 % Ersparnis in den Raum, womit dann nicht einmal die veranschlagten Kosten abgedeckt wären – ganz zu schweigen von der Weitergabe eines Preisvorteils an Endkunden.
Telematikangebote nur für ausgewählte Kundengruppen?
Dieses Problem wurde inzwischen insoweit erkannt, als man sich zunehmend davon verabschiedet, Telematikangebote grundlegend jedem potenziellen Kunden anzubieten. Vielmehr konzentrieren sich derzeitige Entwicklungen auf sog. erhöhte Risiken, d. h. Kundengruppen, die bereits heute deutlich mehr als die genannte Marktdurchschnittsprämie für ihren Versicherungsschutz aufbringen müssen. Natürlich sehen Einsparpotenziale und Kostendeckungsbeiträge deutlich besser aus, wenn Kunden bspw. mehr als EUR 1.000 für ihre Kfz-Versicherung bezahlen müssen. Doch der Preis dieser Angebotsbeschränkung ist hoch, denn aus der Grundgesamtheit aller versicherten Pkw verbleiben gerade einmal ca. 6 % aller Kunden in der Zielgruppe – hiervon übrigens überwiegend junge Fahrzeugnutzer, die nach einigen Jahren an Fahrerfahrung im Regelfall die hohe Prämienkategorie verlassen dürfen. Sofern sich jeder zweite Kunde dieser Zielgruppe für ein Telematikprodukt entscheidet, würden von 40 Mio. versicherten Pkw gerade einmal 1,2 Mio. mit der Technologie ausgestattet, oder anders ausgedrückt: Ein großer Versicherer mit 1 Mio. Kfz-Verträgen würde eine äußerst komplexe und aufwendige Versicherungslösung für maximal 30.000 Kunden entwickeln. Hier lohnt sicher ein unternehmensindividueller Blick auf das jeweilige Kosten-Nutzen-Verhältnis. Übrigens sind in vielen ausländischen Versicherungsmärkten diese skizzierten Rahmenbedingungen weitaus vielversprechender, da dort zum Teil erheblich höhere Durchschnittsprämien vorliegen – ein weiterer Grund, warum die Erfolgsaussichten von Telematikangeboten im internationalen Vergleich durchaus unterschiedlich ausfallen können.
Auch Telematikdaten liefern keine vollständigen Informationen
Letztlich verbleibt bei vielen Versicherern, die u. a. gestützt durch obige Argumente derzeit nicht auf den Telematik-Zug aufspringen, ein ungutes Gefühl, dass ganz wertvolle zukunftsentscheidende Informationen an ihnen vorbeigehen könnten. Immer wieder kommen in Debatten auch Stimmen zutage, die signalisieren, dass diese Telematikdaten so signifikante Erkenntnisse generieren könnten, dass alle bisherigen Ansätze und Verfahren obsolet würden. Natürlich können auch wir keine abschließende Bewertung von Qualität und Signifikanz dieser Informationen abgeben, da diese schlicht und einfach nicht vorliegen – nicht bei uns, nicht bei derzeit engagierten Versicherern und auch nicht bei Produktanbietern und Beratern. Es verbleiben Mutmaßungen, Hypothesen und am Ende gar nur ein schlichtes Bauchgefühl. Zumindest scheint es aber schwer vorstellbar, dass ein Tracking von Fahrzeugen aus der Hubschrauberperspektive, verbunden mit einer reinen Messung von Wegstrecken und G-Kräften, die bisherige Tarifwelt mit ihren bis zu 40 Tarifkriterien völlig aushebelt. Denn damit wäre bspw. ein Fahranfänger genauso zu bewerten wie seine Eltern, wenn er zur gleichen Zeit am gleichen Ort mit dem gleichen Fahrzeug unterwegs ist und das Fahrzeug mit gleichen G-Kräften beschleunigt und bremst. Vielmehr dürfte sich auch in einer Welt mit Telematik die Erkenntnis durchsetzen, dass weiterhin Fahrereigenschaften, Fahrerfahrung, Fahrzeugdaten und soziografische Informationen eine wichtige Rolle bei der Risikoklassifizierung spielen. Diese Parameter werden sich kaum durch rein telematikbasierte Daten substituieren lassen. Als Folge erscheint es weitaus realistischer, dass Telematikdaten lediglich bisherige Tarifansätze erweitern werden, also die bisherige Tarifwelt durch zusätzliche Differenzierungen weiter verfeinert wird.
Der isolierte Gehalt telematischer Daten dürfte auch insoweit überschätzt werden, als häufig suggeriert wird, mit dieser Technologie lägen vollständige Informationen zur gegebenen Fahrsituation vor. Diese aufwendig beschafften Daten scheitern aber meist schon an den einfachsten Sachverhalten: Wer sitzt eigentlich hinter dem Steuer? Wie ist der Allgemeinzustand des Fahrers (z. B. aufgeweckt, genervt, müde)? Wie sind die Straßen- und Sichtverhältnisse? Besteht Gefahr durch Glatteis? Und wie ist die Verkehrssituation? Es dürfte klar sein: Speziell die Umgebungsparameter haben einen erheblichen Einfluss auf eine richtige Interpretation der gemessenen Telematikparameter. Sind bspw. gemessene G-Kräfte und Geschwindigkeiten eines Fahrers bei guten Wetter- und Sichtverhältnissen völlig in Ordnung und ohne Beanstandung, so ändert sich die Beurteilung schlagartig, sollten gleiche Werte auch bei schlechten Wetter- und Sichtverhältnissen gemessen werden. Wie soll diese notwendige situative Anpassung an veränderte Rahmenbedingungen durch die Technologie erkannt, ja am Ende sogar adäquat bewertet werden?
Die Liste an offenen Fragen und fehlenden Informationen kann noch beliebig verlängert werden. Jedoch zeigen bereits die aufgeworfenen Sachverhalte, dass auch nach der Auswertung telematischer Informationen noch viele Details zur eigentlichen Fahrsituation und damit zur detaillierten Risikoeinschätzung fehlen dürften.
Telematikdaten treffen zunehmend auf Fahrerassistenzsysteme
Zusätzlich bleiben neben den genannten äußeren Einflüssen auch ganz einfache Sachverhalte außen vor, die im Rahmen der generellen Digitalisierungsdebatte keinesfalls vernachlässigt werden sollten: Die technologische Weiterentwicklung der zu versichernden Fahrzeuge selbst. Sofern telematische Versicherungsprodukte eine Antwort der Branche auf die „Kfz-Versicherung der Zukunft“ darstellen sollen, muss sich diese Versicherungslösung natürlich auch auf „Fahrzeuge der Zukunft“ anwenden lassen. Und auch wenn der Weg hin zu vollständig autonomen Fahrzeugen noch ein weiter ist: Bereits heute können Fahrzeuge selbstständig beschleunigen und bremsen, ohne dass der Fahrer hierauf Einfluss nimmt. Abstandsradar- und Kameratechnologien übernehmen in spezifischen Anwendungsfällen wie auf Autobahnen oder in Stausituationen zunehmend die Regie über das Fahrzeug. Sofern diese technische Entwicklung in den nächsten Jahren zum Standard handelsüblicher Fahrzeuge wird, verliert der neue Telematik-Versicherungsansatz bereits seinen wichtigsten Parameter, bevor die Verbreitung überhaupt richtig eingesetzt hat: die Messung der G-Kräfte. Denn sollten teilautonome Fahrstrecken alltäglich absolviert werden, hilft die Auswertung von Beschleunigungs- und Bremsmanövern kaum, wenn die entscheidende Frage offen bleibt: Fährt gerade das Fahrzeug oder der Fahrer? Die bisher angedachten telematischen Lösungsansätze bieten für diese entscheidende Information zur Risikobewertung keinerlei Identifikationsmöglichkeiten. Dieses dürfte wohl den Fahrzeugherstellern vorbehalten sein, die im Zuge einer ganzheitlichen Fahrzeugvernetzung auch Art, Umfang und zeitliche Nutzung verbauter Assistenzsysteme auslesen könnten.
Telematik als Waffe gegen das derzeitige Datenmonopol der Hersteller?
Vielleicht ist es genau diese Datenhoheit der Hersteller, um die gerade intensiv politisch gestritten wird und die viele Versicherungsunternehmen dazu verleitet, mit „eigenen“ telematischen Daten zu experimentieren. Allerdings dürfte die Datenqualität eingebauter Fahrzeuginformationssysteme nur schwer durch nachgerüstete Boxen bis hin zu Kunden-Mobiltelefonen substituiert werden können – wie die Frage nach der Nutzung von Assistenzsystemen verdeutlicht. Letztlich scheint nur der originäre Zugriff auf ganzheitliche Daten der Fahrzeugvernetzung zielführend, um eine bessere Risikodifferenzierung erreichen zu können, als es derzeitige konventionelle Ansätze ermöglichen. Ob dieser Zugriff für Versicherer (speziell für nicht in Herstellerkooperationen gebundene) aber gelingen wird, bleibt abzuwarten – letztlich müssen hier legislative und juristische Instanzen die Grundlage schaffen. Die derzeitigen Antworten der Versicherungswirtschaft auf die Datenschieflage scheinen jedoch nur begrenzt geeignet, die Gefahr abwandernder Geschäftsfelder in Richtung der Fahrzeughersteller zu vermeiden. Unabhängig davon waren Hersteller bisher an kundenindividuellen Versicherungs-Tarifmodellen nicht interessiert, zumal auch Fahrzeuge nicht mit nutzungsbasierten Preisen versehen werden. Vielmehr bestand bis dato der Wunsch, selbst Auswirkungen von Typ-, SF- und Regionalklassenumstufungen im Leasingzeitraum unberücksichtigt zu lassen. Diese bisherige „Flatrate“-Vorgehensweise drängt die Frage auf, ob das Bedrohungsszenario seitens der Hersteller überhaupt in der Frage der Datenhoheit besteht? Oder liegt dieses vielmehr in der technologisch gestützten Verschmelzung von Fahrzeug und sämtlichen Mobilitätsanforderungen hin zu einem ganzheitlichen Ansatz begründet? Denn sollten Kunden zunehmend dazu übergehen, am Point-of-Sale des Fahrzeugs umfassende Paketlösungen zu präferieren, hätten herstellerungebundene Kfz-Versicherer eindeutig das Nachsehen – ob mit oder ohne Telematikangeboten.
Wird die Kfz-Versicherung durch Telematik für den Kunden attraktiver?
Unabhängig von diesen Ausführungen und Bedenken entscheidet am Ende naturgemäß der Kunde über den Einsatz telematischer Technologie in der Kfz-Versicherung. Explizit soll an dieser Stelle das datenschutzrechtliche Argument gegen den Telematikeinsatz außen vor bleiben, da Erfahrungen anderer Branchen bereits gezeigt haben, dass jüngere Kundengenerationen hier durchaus ein anderes Verhältnis zum Thema Datenschutz aufweisen. Viele Kunden scheinen gewillt, ihr Einverständnis zur persönlichen Datenweitergabe zu erteilen, wenn das für sie definierte Kosten-Nutzen-Verhältnis stimmt – wie die Nutzung der Ortungsfunktion von Mobiltelefonen eindrucksvoll unter Beweis stellt. Aber lässt sich diese Beobachtung der „Digital Natives“ tatsächlich auch auf Versicherungsprodukte übertragen? Würden alle Kunden, die eine Handyortung erlauben, auch ohne Vorbehalte einer Fahrzeugüberwachung durch ihren Versicherer zustimmen? Stimmt das Verhältnis der Kosten, des ganzjährigen Trackings, und dem Nutzen in Form von Service und Prämienersparnis? Niemand kann dies zurzeit mit Sicherheit beantworten. Letztlich ist hiermit auch die Einschätzung verbunden, ob die bisher fehlende Kundenattraktivität des Produkts „Kfz-Versicherung“ im Allgemeinen durch solche interaktiven Ansätze signifikant erhöht werden kann. Wird durch telematische Versicherungsansätze ein immaterielles Versicherungsprodukt in ein Erlebnispaket für den Endverbraucher – beispielsweise analog zum Fahrzeug selbst – überführt? Erste verfügbare Zahlen zum Kundenzuspruch geben hier wenig Anlass zu Optimismus. So dauerte es trotz medialer Werbeunterstützung einige Monate, bis die ersten in Deutschland verfügbaren 1.000 Boxen ihren Weg zum Kunden gefunden hatten – begehrte Konsumprodukte weisen sicherlich andere Absatzvolumina auf. Und auch die weiteren bereits verfügbaren Telematikangebote scheinen im Markt eher einen verhaltenen Kundenzuspruch zu erfahren, wobei offizielle Zahlen hierzu kaum verfügbar sind. Die Skepsis und Vorbehalte der Kunden gegenüber Versicherungen scheinen jedoch sehr groß, wie beispielsweise auch das Co-Pilot-Angebot der öffentlichen Versicherer belegt. Selbst diese bereits seit vier Jahren angebotene Box, die ausschließlich eine sinnvolle Notfallrettung analog zum eCall-Konzept bietet und keinerlei Fahrzeugüberwachung im Alltag ermöglicht, erfährt nach Aussage der SV Sparkassenversicherung eine „verhaltene bis ablehnende Kundenreaktion“.
Das letzte Argument, das von Anbieter- wie auch Beraterseite ins Feld geführt wird, ist, Telematik als Forschungs- und Entwicklungskomponente unabhängig von Bedenkenträgern einfach mal zu testen. Sofern das Budget eines solchen Tests vorhanden ist und keine Alternativen an Forschungsfeldern bereitstehen, ist gegen diesen Ansatz nichts einzuwenden. Zukunftsforschung zeichnet sich gerade dadurch aus, gemäß „Trial and Error“-Verfahren sukzessive neuen Produktentwicklungen näherzukommen. Abgesehen von den anfallenden Kosten lassen sich durch Telematik allenfalls Erkenntnisse hinzugewinnen – Gefahren signifikanter Verluste bestehen hingegen kaum. Vielleicht steht am Ende auch der Gedanke, durch die Weisheit „Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg“ moderne Technologie und konservative Versicherung zwanghaft zusammenführen zu müssen, um den Erhalt der Kfz-Versicherung in einer digital geprägten zukünftigen Gesellschaftsausrichtung sicherstellen zu können. Sollten allerdings grundlegende Sachverhalte der Versicherungs- und Fahrzeugtechnik außen vor gelassen werden sowie Wünsche und Grenzen von Kunden nicht gleichberechtigt mit integriert werden, dürfte sich dieser Weg schnell zu einem Irrweg entwickeln.