Auch wenn das Symposium „Living to 100“ der Society of Actuaries (SOA) in den USA stattfindet und die meisten Teilnehmer aus Nordamerika kommen, fand ich die Reise nach Orlando (Florida) auch in 2020 für internationale Teilnehmer wieder mehr als lohnenswert. Das 2020er Symposium (das bereits im Januar stattfand) hat meine Erwartungen nicht enttäuscht.
Für mich persönlich, eine Spezialistin für Todesfallprodukte bei der Gen Re in Deutschland, war es natürlich besonders spannend, dass sich alle Vorträge und Sessions um das Sterblichkeitsrisiko drehten - und somit für meine Arbeit höchstrelevant waren, um unsere internationalen Kunden bei der Entwicklung und im Pricing von Todesfallprodukten zu unterstützen.
Das Spektrum an Themen und Diskussionen war beeindruckend. So durfte ich lernen, wie man den Alterungsprozess mithilfe einer epigenetischen Uhr messen kann, und wie man die Sterblichkeit von Höchstbetagten besser verstehen kann, indem die Datenqualität und -vollständigkeit für 100-Jährige berücksichtigt wird. Mit großem Interesse habe ich mich an Diskussionen über die biologischen Grenzen der menschlichen Lebensspanne beteiligt und auch weniger fachspezifische Sessions über die Herausforderungen der immer älter werdenden Weltbevölkerung und die Wichtigkeit von sozialem Kapital verfolgt. Besonders interessant war für mich die Zusammenfassung der Sterblichkeitstrends in den USA, Großbritannien, Kanada und anderen Ländern, denn diese Informationen konnte ich mit unseren eigenen Erkenntnissen vergleichen.
Sterblichkeitstrends aus Gen Re Perspektive
Diese Übersicht über die Entwicklung der Sterblichkeit in verschiedenen Ländern gab mir die Möglichkeit, die fortlaufende Forschungsarbeit der Gen Re in einem größeren Kontext zu sehen, denn viele der Veränderungen hierzulande lassen sich auch in anderen Ländern beobachten und schließlich gehört das Management von Sterblichkeitsrisiken zur Kernaufgabe von Lebensversicherern. Letztes Jahr haben wir im Rahmen einer umfangreichen Studie die Sterblichkeitsentwicklungen und Todesursachen in Deutschland analysiert. Auch wenn diese Analyse die aktuelle Sterblichkeit aufgrund des Coronavirus nicht berücksichtigt hat, bleiben die vorausgegangen Entwicklungen von großer Relevanz für die Lebensversicherung. Es ist zu erwarten, dass sich COVID-19 in den Jahren 2020 und 2021 auch in der deutschen Bevölkerungssterblichkeit bemerkbar machen wird. Aus heutiger Sicht ist aber davon auszugehen, dass sich in zwei oder drei Jahren das Sterblichkeitsrisiko wieder gemäß den historischen Trends entwickeln wird.
Mehrere Jahrzehnte lang ließen sich starke Sterblichkeitsverbesserungen besonders unter jungen Männern erkennen. In jüngster Zeit können wir jedoch in Deutschland - wie in vielen anderen Ländern - beobachten, dass sich der Rückgang der Sterblichkeit in beinahe allen Altersgruppen deutlich verlangsamt hat. Die Zerlegung der Sterblichkeitstrends nach Todesursache ergab, dass vor allem Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu dieser Entwicklung beitragen. Die Verminderung der Sterblichkeitsverbesserungen durch solche Krankheiten lässt sich möglicherweise auf verhaltensbedingte Risikofaktoren wie Adipositas, Bewegungsmangel und ungesunde Essgewohnheiten zurückführen. Möglich ist aber auch, dass das Potenzial für einen weiteren Rückgang der Sterblichkeit durch Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems schlichtweg ausgeschöpft ist - insbesondere, wenn wir die enormen positiven Entwicklungen seit der sogenannten kardiovaskulären Revolution in den 1970er-Jahren berücksichtigen. Gleichzeitig stellen wir eine Zunahme der Todesfälle durch nicht geklärte Ursachen und eine entsprechend höhere Sterblichkeit durch solche nicht näher beschriebenen Umstände fest.
Darüber hinaus fanden wir heraus, dass inzwischen mehr Menschen an Krebs als an Herz-Kreislauf-Erkrankungen sterben und somit Krebs in der mittleren Altersgruppe der 20- bis 69-Jährigen die häufigste Todesursache ist. Dies zeigt sich vor allem bei Frauen: 2017 konnte die Hälfte aller weiblichen Todesfälle auf Krebs zurückgeführt werden. Die Entwicklung neuer Medikamente und Therapien insbesondere zur Krebsbehandlung und -vorbeugung wird auch künftig ein wichtiger Treiber von Sterblichkeitsverbesserungen sein.
Auch in Deutschland können wir einen Anstieg der Todesfälle durch Überdosis von Drogen und Opiaten feststellen, wenn auch in einem viel geringeren Umfang als in den USA, wo die Lebenserwartung vor allem in der jungen und mittleren Altersgruppe sinkt. Ähnlich wie in Großbritannien waren in Deutschland saisonale Faktoren in Form von zuletzt strengen Wintern für die höhere Sterblichkeit ursächlich. Dies ist eine mögliche Erklärung für den langsameren Rückgang der Sterblichkeit insbesondere in den höheren Altersgruppen, in denen man in Großbritannien zudem eine Zunahme der Sterbefälle durch Demenz und Alzheimer festgestellt hat.
Im Rahmen der Fachtagung „Living to 100 Symposium“ können sich Teilnehmer zu Themen rund um Sterblichkeitsrisiken austauschen, über allgemeine Theorien zum biologischen Höchstalter des Menschen diskutieren und sich über die neuesten Forschungsergebnisse zu Sterblichkeitsstrukturen informieren, die uns einen Vergleich verschiedener Länder ermöglichen. Für mich persönlich war das diesjährige Symposium wieder eine besonders spannende und bereichernde Erfahrung und hoffe, bei der nächsten Tagung in drei Jahren möglichst viele von Ihnen wiederzusehen!
Für detailliertere Erkenntnisse zu „Sterblichkeitstrends in der deutschen Bevölkerung“ lesen Sie auch unseren kürzlich veröffentlichten NetLetter.