Insurtechs, Unternehmen, die innovative Technologien wie künstliche Intelligenz, Big Data und maschinelles Lernen nutzen, um die Möglichkeiten traditioneller Versicherungsunternehmen zu erweitern, gibt es schon seit einiger Zeit. Wenige sind zugelassene Versicherungsunternehmen mit starkem Fokus auf Technologie. Andere Insurtechs hingegen entwickeln Lösungen für spezifische Schwachstellen in der Wertschöpfungskette, die von Versicherern oder deren Kundinnen und Kunden genutzt werden können. Diese Unternehmen bieten erhebliche Kooperationsmöglichkeiten für Versicherer, um ihre digitale Transformation voranzutreiben und neue Geschäftsmodelle oder Produkte zu entwickeln.
Die Konzeption und Implementierung eines technologiegetriebenen Ansatzes, die Versicherungsnehmenden oder den Versicherungsprozessen zugutekommt, ist keine leichte Aufgabe. Traditionelle Unternehmen, die mit Altsystemen, strengen Vorschriften und komplexen Prozessen zu kämpfen haben, verfügen möglicherweise nicht über die erforderlichen Ressourcen, die technische Infrastruktur und das digitale Fachwissen für Innovationen in diesem Bereich. Hier kommen Insurtechs ins Spiel, die Fähigkeiten bieten, die Versicherern helfen können, ihre Dienstleistungen und ihre Beziehung zu den Versicherten zu verbessern. Eine Zusammenarbeit zwischen Insurtechs und Versicherern kann Erfahrung, Branchenwissen, Technologie und neue Perspektiven zusammenbringen.
Insurtechs und Wearables
Tech-Start‑ups bieten zahlreiche Dienstleistungen und Anwendungen, die in die Versicherungsbranche integriert werden können. Ein Schwerpunkt vieler dieser Unternehmen liegt darin, Lebens- und Krankenversicherer durch die Nutzung von Daten zur körperlichen Aktivität oder zum Gesundheitszustand, die von Wearables gesammelt werden, zu unterstützen. Wearables wie Smartwatches und Fitnesstracker sammeln täglich umfangreiche Informationen wie Schrittzahl, Herzfrequenz, sportliche Aktivität und Schlaf, die Hinweise auf den Gesundheitszustand und die weitere Lebenserwartung geben können. Diese Geräte werden jedes Jahr häufiger genutzt; die Zahl der Smartwatch-Nutzerinnen und ‑Nutzer wird weltweit im Jahr 2024 voraussichtlich 225 Millionen erreichen.1 Nicht nur ihre Nutzung, sondern auch die öffentliche Wahrnehmung gegenüber Wearables verbessert sich. Eine kürzlich durchgeführte Studie zur Akzeptanz von Wearables in Deutschland ergab, dass 33,8 % der Teilnehmenden bereits ein Wearable nutzen und rund 60 % bereit sind, einen Sensor zur Erfassung von Gesundheitsdaten zu tragen.2
Auch wenn die Studie nicht repräsentativ für die Gesamtbevölkerung ist, zeigt sie doch die zunehmende Offenheit in relevanten Teilen der Gesellschaft bei diesem Thema.
Diese Entwicklung können Versicherer für sich nutzbar machen – eine Herausforderung dabei ist jedoch die Vergleichbarkeit. Es gibt zahlreiche Geräte und Marken auf dem Markt mit unterschiedlichen Algorithmen. Beispielsweise könnten zwei verschiedene Marken von Smartwatches unterschiedliche Methoden zur Berechnung der Geschwindigkeit und Entfernung einer Laufrunde verwenden, was zu Abweichungen führt. Wenn wir die Wearable-Daten im Versicherungskontext nutzen wollen, wie können wir die Informationen im Portfolio normalisieren und sicherstellen, dass wir ein korrektes Bild der Versicherten erhalten?
Hier kommen Insurtechs ins Spiel. Diese Tech-Start‑ups entwickeln Algorithmen, die in der Lage sind, sich mit verschiedenen Wearables zu verbinden, tägliche Aktivitätsdaten zu extrahieren, die Informationen zu harmonisieren und Einblicke zu gewinnen. Darüber hinaus verarbeiten mehrere Start‑ups nicht nur Rohdaten, sondern interpretieren diese auch, indem sie die Daten mit demografischen Informationen wie Alter und Geschlecht kombinieren und eine Gesundheitsbewertung vornehmen. Versicherungsunternehmen können dadurch ein tieferes Verständnis über ihre Kundinnen und Kunden gewinnen und Produkte auf die individuellen Bedürfnisse und Umstände anpassen. Die Versicherten profitieren ebenfalls, da sie ihre Aktivitäten nachverfolgen können, zu sportlicherem Verhalten bewegt werden und so positiven Einfluss auf ihre Gesundheit nehmen.
Bessere Einblicke, besseres Know‑how
Lebensversicherer kämpfen mit dem Problem, nur selten in Kontakt und echtem Austausch mit ihren Kundinnen und Kunden zu stehen. Aktuelle Kundendaten werden oft nur bei Versicherungsabschluss und im Leistungsfall generiert. Versicherungsprodukte, die regelmäßige Aktivitätsdaten nutzen, bieten hier eine große Chance.
Erstens ist eine genauere Ansprache attraktiver Zielgruppen möglich, bis hin zu der Möglichkeit, auch Prämien risikogerecht zu differenzieren. Sport und körperliche Aktivität sind gesund – darüber besteht große Einigkeit –, und inzwischen gibt es starke wissenschaftliche Evidenz, die diesen Effekt bestätigen und quantifizierbar machen. Diese treffen bei Wearable-Nutzerinnen und ‑Nutzern auf objektive Angaben zum eigenen Lebensstil, wodurch eine genauere Einschätzung möglich wird. Der eigene Lebensstil beeinflusst nicht nur das Risiko, an kardiovaskulären Erkrankungen zu leiden oder zu sterben, auch in anderen Krankheitsbereichen ist ein Zusammenhang mit körperlicher Aktivität und sonstigem Lebensstil nachgewiesen, z. B. bei einer Reihe von Krebs- oder psychischen Erkrankungen.
Gleichzeitig sind Lebensstile nicht statisch, sondern verändern sich im Zeitverlauf und individuell; eine regelmäßige – über die erste Risikoprüfung hinausgehende – Erfassung von Wearable-Daten ermöglicht es Versicherern, darauf einzugehen und den Versicherten im Idealfall auf dem Weg zu einem gesünderen Leben zu unterstützen.
Mehrwert über die Versicherungsdeckung hinaus
Einer der wichtigsten Zusatznutzen von Technologie-Start‑ups in der Lebensversicherung ist die Brücke, die sie zwischen den Versicherten und den Versicherern bauen. Mit den von Insurtechs bereitgestellten digitalen Gesundheitslösungen wird Versicherung mehr als nur eine einmalige Interaktion. Ein dauerhafter Austausch kann das Vertrauen und die Kundenbeziehungen stärken und zu langfristigen Kundenbindungen führen.
Digitale Lösungen, die Wearable-Daten nutzen, kommen sowohl dem Versicherer als auch den Kundinnen und Kunden zugute. Eine App, die Lifestyle-Informationen zusammenfasst oder tägliche Gesundheitsbewertungen liefert, kann ein besseres Gesundheits- und Wellnessbewusstsein für die Nutzerinnen und Nutzer schaffen und Anreize zur Anpassung ihres Verhaltens bieten. Diese Lösungen enthalten relevante Inhalte über gesundes Leben, Spiele, Herausforderungen und Selbstpflegetipps und ‑tricks. Durch die Bereitstellung solcher Dienstleistungen können sich Versicherungsunternehmen über die Position eines Finanzdienstleisters hinaus auch als Partner für einen gesunden Lebensstils positionieren.
Wer seine Kundinnen und Kunden besser versteht, der kann auch neue Dienstleistungen entwickeln, die auf deren Bedürfnisse zugeschnitten sind. Wenn beispielsweise die Wearable-Informationen zeigen, dass die tägliche Schrittzahl unter den gesunden Werten liegt, könnte der Versicherer durch Anreize wie Belohnungsprogramme oder relevante Inhalte versuchen, Einfluss zu nehmen. Dieser Ansatz könnte nicht nur die Kundenzufriedenheit steigern, sondern wiederum zukünftige Schadensfälle vermeiden.
Anwendungsmöglichkeiten und Bedenken
Viele Insurtechs bieten Lösungen, die an die Anforderungen des jeweiligen Versicherers angepasst werden können. Sie können fertige Apps liefern, die direkt an die Endkundinnen und ‑kunden verteilt werden, oder ihre Technologie und Algorithmen zur Integration in die eigenen Apps und Plattformen des Versicherers als White-Label-Lösung bereitstellen. Einige bieten auch die Möglichkeit, gemeinsam ein völlig neues Produkt zu entwickeln.
Bevor man eine solche Kooperation eingeht, sind einige Aspekte zu bedenken, insbesondere in Bezug auf Datenschutzbestimmungen. Sowohl die Versicherungsunternehmen als auch die Insurtech-Firmen müssen sicherstellen, dass die verwendeten Technologien den gesetzlichen Standards entsprechen und sicher genug sind, um die persönlichen Informationen der Kundinnen und Kunden zu schützen. Darüber hinaus ist Transparenz des Ansatzes nicht nur aufgrund von Vorschriften wichtig, sondern auch um das Vertrauen der Versicherten zu gewinnen. Wenn eine App beispielsweise täglich gesundheitsrelevante Daten zusammenzufasst, die durch Wearables generiert wurden, müssen Nutzerinnen und Nutzer verstehen können, wie diese Zusammenfassung geschiet. Es muss klar und transparent sein, auf welchen Teil der Daten der Versicherer Zugriff hat und ob und ggf. welche Auswirkungen dies auf den Versicherungsschutz und die Prämienhöhe hat.
Fazit
Die Fülle an heute verfügbaren Lifestyle-Daten ermöglicht es uns, Versicherten individuellere Angebote zu machen, und Insurtech-Unternehmen sind dabei von entscheidender Bedeutung. Die Verarbeitung und Aufbereitung von Lifestyle-Daten bringen Herausforderungen mit sich, denen aber durch das bessere Kundenverständnis und die intensivere Kommunikation mit den Kundinnen und Kunden ein starker Mehrwert gegenüberstehen kann.
Die Erwartungen der Verbraucherinnen und Verbraucher ändern sich rasant; die Menschen haben sich an personalisierte, digitale und verbesserte Dienstleistungen gewöhnt. Die Versicherungsbranche ist ebenfalls gefordert, sich an diese neue Wirklichkeit anzupassen. Die Zusammenarbeit mit technologieorientierten Innovatoren kann diese Anpassung erleichtern – die Nutzung von Wearable-Daten ist dabei nur ein Beispiel unter vielen.
Endnoten
- https://www.statista.com/topics/4762/smartwatches/#topicOverview (abgerufen 01.10.2024).
- Hindelang M, Wecker H, Biedermann T, Zink A, Continuously monitoring the human machine? – A cross-sectional study to assess the acceptance of wearables in Germany, https://journals.sagepub.com/doi/10.1177/14604582241260607#fig1-14604582241260607 (abgerufen 01.10.2024).