Von der Risikowahrnehmung über den Vertragsabschluss bis zur Leistungsregulierung
Gerhard Riedel im Interview mit Prof. Horst Müller-Peters
Wie ist die Risikowahrnehmung des Versicherungskunden? Kann er das Risiko, beispielsweise berufsunfähig zu werden, zutreffend einschätzen? Was weiß die Psychologie über den Vertragsschluss? Wie komplex darf ein versichertenfreundliches Versicherungsprodukt sein? Welche Möglichkeiten hat der Versicherer, um komplexe Versicherungsprodukte simpel und smart zu gestalten? Und last but not least: Wieviel „Mensch“ ist aus psychologischer Sicht bei aller Technisierung in der Leistungsregulierung sinnvoll? Das ist das Spektrum dieses Interviews.
BUaktuell: Herr Müller‑Peters, Sie sind Professor für Betriebswirtschaftslehre und Wirtschaftspsychologie am Institut für Versicherungswesen der Technischen Hochschule Köln. Welcher Aspekt von Versicherungen interessiert Sie als Wirtschaftspsychologe besonders?
Prof. Horst Müller‑Peters: Versicherungen sind aus psychologischer Sicht ein hochspannendes Produkt. Es geht um die Verdrängung oder Wahrnehmung von Risiken, die Abwägung zwischen kurzfristigem Verzicht und langfristigem Nutzen, um Vertrauen und Betrug, Moral und subjektive Gerechtigkeit. Ein reiches Feld also für jeden Verhaltensforscher!
BUaktuell: Versicherungslösungen kompensieren wirtschaftliche Nachteile bei Eintritt eines ungewissen Ereignisses in der Zukunft – wie bspw. der Berufsunfähigkeit. Die Eintrittswahrscheinlichkeit, also das Risiko, wird von Versicherungsmathematikern anhand von Statistiken und Tafeln berechnet. Wie nehmen Verbraucher Risiken wahr?
Prof. Horst Müller‑Peters: Das Denken in Statistiken und Wahrscheinlichkeiten überfordert die meisten Verbraucher total. Dabei ist das eigentlich eine grundlegende Voraussetzung für halbwegs rationale wirtschaftliche Entscheidungen; und zwar nicht nur in Versicherungsfragen, sondern auch in anderen Lebenssituationen. Die meisten Menschen tun sich bereits schwer, wenn es um die Wahrscheinlichkeit eines Paschs bei einem Wurf mit zwei Würfeln geht. Wie sollen sie dann das Risiko eines Einbruchs, eines Elementarschadens oder einer Berufsunfähigkeit angemessen einschätzen?
Im Alltag behelfen wir uns daher mit sogenannten Heuristiken, also stark vereinfachten und oft intuitiven Urteils- und Entscheidungsregeln: Wie gut kann ich mir ein Ereignis vorstellen? Habe ich das schon mal erlebt? Was empfiehlt mir mein Berater? Oder ganz platt: Was machen denn die anderen?
Das entlastet uns und funktioniert meistens ganz gut. Heuristiken führen aber leider auch oft zu groben Fehleinschätzungen und folgeschweren Fehlentscheidungen – zum Beispiel, wenn ein wichtiges Risiko schlichtweg nicht abgedeckt oder viel Geld für unsinnige Produkte oder die Absicherung von banalen Risiken ausgegeben wird. So denken viele junge Menschen darüber nach, ihr Handy zu versichern, aber nicht, ihr wichtigstes Asset – nämlich ihre Berufsfähigkeit – abzusichern. Oder sie schließen eine Selbstbeteiligung aus, aber wichtige Bausteine nicht mit ein.
Dazu gehört auch, dass die Wahrscheinlichkeit von Unfällen aller Art in der Regel deutlich überschätzt wird, während „stille“ Risiken wie Krankheiten, die viel häufiger zu einer Berufsunfähigkeit führen, unterschätzt werden. Mit meiner Kollegin Nadine Gatzert haben wir dazu auf Basis umfangreicher Befragungen eine „Karte“ gezeichnet, die aufzeigt, wie sehr das von der deutschen Bevölkerung wahrgenommene Risiko von der tatsächlichen Gefahrenlage abweicht.1
BUaktuell: Kann man aus Sicht der Versicherer etwas gegen solche Wahrnehmungsverzerrungen auf Kundenseite tun? Gibt es Kommunikationsformen und ‑inhalte, die diesbezüglich erfolgversprechend sein könnten?
Prof. Horst Müller‑Peters: Erstmal muss der Versicherungsanbieter überhaupt gewillt sein, im Sinne der Kunden zu handeln. Denn die Absicherung von tendenziell überschätzten Risiken ist für die Anbieter lukrativ, senkt die Schadenquote und lässt sich zudem vergleichsweise leicht verkaufen. Das Problembewusstsein der Kunden ist bei solchen Produkten ja leicht zu aktivieren.
In wichtigen Feldern wie der schon genannten Berufsfähigkeit oder der Absicherung von Naturgefahren hilft natürlich auch intensive Aufklärung. Allerdings darf der Effekt solcher werblichen Kommunikation nicht überschätzt werden. Unsere Risikowahrnehmung ist das Produkt einer langen Evolutionskette, daran ändert eine GDV‑Kampagne erstmal wenig.
Stärker wirkt eine gute und systematische Risikoanalyse und ‑beratung. Hier spielt der Vertrieb eine große Rolle. Dieser kann die Kunden auch auf solche Risiken hinweisen, die gerne übersehen, verdrängt oder zumindest unterschätzt werden und so wertvolle Aufklärungsarbeit leisten.
Und schließlich, wenn man nicht gleich zur „Keule“ der Pflichtversicherung greifen möchte, kann die Gestaltung der Produkte und der Entscheidungssituation einen großen Beitrag leisten. So verhindern Allgefahrendeckungen mit expliziter Auflistung von Aus- statt Einschlüssen, dass dem Kunden wesentliche Risiken gar nicht in den Sinn kommen. Opt-out-Regelungen, bei denen sinnvolle Produktbestandteile aktiv ab- statt hinzugewählt werden, erhöhen deren Abschlusswahrscheinlichkeit. Solche Modelle wurden für die Wohngebäudeversicherung und die betriebliche Altersversorgung ja schon diskutiert.
BUaktuell: Sie haben an anderer Stelle darauf aufmerksam gemacht, dass die Gegenwartspräferenz des Menschen seine zukunftsorientierte Vorsorge erschwere. Können Sie uns diesen für den Abschluss von Versicherungsverträgen relevanten Mechanismus näher erläutern?
Prof. Horst Müller‑Peters: Versichern und Vorsorgen bedeutet einen heutigen Verzicht für einen ungewissen zukünftigen Nutzen. Uns fällt es von Natur aus schwer, auf Konsum zu verzichten, um an die Zukunft zu denken. Wer schon einmal die Überraschungs-(Ü)‑Eier-Werbung gesehen hat – bei der Kinder die Wahl zwischen einem Ei zum sofortigen Genuss oder einem zweiten Ü‑Ei als Belohnung für wenige Minuten des Wartens haben – weiß, wie ungerne wir auf eine sofortige Belohnung zugunsten späterer Bedürfniserfüllung verzichten.
Diese Werbung repliziert ein klassisches Experiment des bekannten Psychologen Walter Mischel, bei dem es sich um Selbstkontrolle zur Überwindung der Gegenwartspräferenz dreht. Diese Fähigkeit zum Belohnungsaufschub erlangen wir erst im Laufe unserer Sozialisation – und auch das nur mit Mühe und mit sehr unterschiedlichem Erfolg! Das individuelle Maß an Selbstkontrolle korreliert in hohem Maß mit Bildung, Gesundheitsverhalten, beruflichem Erfolg und vielen weiteren Faktoren. Aber letztlich ist uns allen die Gegenwart deutlich näher als die Zukunft. Hinzu kommt, dass wir – anders als in der experimentellen Situation – in der Regel gar nicht viel über die Zukunft im Sinne von Alter, Krankheit und anderen Bedrohungen nachdenken, sondern diese Gedanken am liebsten gleich verdrängen.
Für Versichern und Vorsorge heißt das, dass erst einmal ein Anstoß erfolgen muss, um sich überhaupt mit der Zukunft auseinanderzusetzen. Und dass dann noch die Hürde der hohen „Abdiskontierung“ des zukünftigen Nutzens überwunden werden muss.
Auch hier gibt es einige Mechanismen, den Menschen ihr zukünftiges „Ich“ näherzubringen. Ein aktiver Vertrieb und eine gute Beratung spielen hier wieder eine große Rolle; nicht umsonst heißt es immer wieder: „Versicherungen werden verkauft, nicht gekauft.“
BUaktuell: Schauen wir uns den Versicherungskunden noch genauer an und gehen wir auf die wohl wichtigste Zielgruppe, die junge Generation, ein: Welche Produkte und Produktfeatures sprechen die Generation Z besonders an? Und wie sieht es im Vergleich mit Versicherungsprodukten zur Arbeitskraftabsicherung aus?
Prof. Horst Müller‑Peters: Ein geringer Erfahrungsschatz mit Versicherungen, eine noch höhere Gegenwartspräferenz und eine verkürzte Aufmerksamkeitsspanne der jungen Generation sind nicht gerade die idealen Voraussetzungen für rationales Versichern und Vorsorgen.
Natürlich sind Digitalisierung, Usability und dabei auch Gamification hilfreich, um diese Zielgruppe adäquat zu erreichen. Andererseits führt die noch geringe Versicherungserfahrung dazu, dass es umso mehr darauf ankommt, ob ein passender „Anstoß“ gegeben wird. Und zumindest bei komplexen Produkten spielen Beratung – seitens des Versicherers und in Form von Ratschlägen aus dem persönlichen Umfeld – bei jungen Menschen eine besonders große Rolle.
Den Anstoß kann also auch eine noch so gut gemachte Website oder App kaum ersetzen. Die nächste Hürde ist dann die Abschlussstrecke, auf der die meisten Interessenten angesichts der Komplexität und des „ungeliebten“ Produkts verloren gehen. In einer Projektarbeit an unserem Institut haben wir gemeinsam mit der Gen Re untersucht, wie ein komplexes Produkt – hier: eine Berufsunfähigkeitsversicherung (BU) – so aufbereitet werden kann, dass die Interessenten nicht „unterwegs“ verloren gehen. Das Resultat war ein massiv vereinfachter und motivierend gestalteter BU‑Antrag für das Smartphone, dessen Grundideen dann auch von einigen Versicherern umgesetzt wurden.
Ich möchte daher fast sagen: Liebe Aktuare, liebe Juristen, andere Branchen zeigen uns, dass auch hochkomplexe Produkte ganz simpel und „smart“ daherkommen können. Aber zum Glück lernt hier auch die Versicherungswirtschaft schnell dazu!
BUaktuell: GDV‑Präsident Norbert Rollinger hat kürzlich in einem Interview in der „Versicherungswirtschaft“ berichtet, er habe ChatGPT gefragt, welche Versicherungen er benötige. Wissen Sie, welche Antwort ChatGPT ihm gegeben hat?
Prof. Horst Müller‑Peters: Nein, das weiß ich nicht.
BUaktuell: Er berichtet: „ChatGPT hat ausgespuckt, dass es von meiner persönlichen Situation abhängt, welche Versicherungen ich benötige. Nach einer Auflistung von einigen wichtigen Versicherungen hat ChatGPT mir geraten: ‚Es ist wichtig, dass Sie Ihre individuellen Versicherungsbedürfnisse bewerten und sich mit einem Versicherungsagenten oder ‑berater in Verbindung setzen, um die beste Versicherungslösung für Ihre Bedürfnisse zu finden.‘ Sie sehen: Künstliche Intelligenz kann schon sehr viel und liefert erstaunlich gute Antworten.“2 Herr Müller‑Peters, sehen Sie Anwendungsfelder von ChatGPT oder Sprachmodellen wie Chatbots im Rahmen des Vertragsabschlusses von Versicherungen? Wohin geht die Entwicklung, und wird sie den Kundenbedürfnissen gerecht?
Prof. Horst Müller‑Peters: (lacht): Na, da hat wohl der BVK – als Interessenvertreter der Versicherungskaufleute – bei ChatGPT ganze Arbeit geleistet!
Aber im Ernst: Die Antwort zeigt ja, dass Künstliche Intelligenz (KI) die Beratung noch nicht ersetzen kann. Aber Vorsicht: Die Entwicklung der KI ist nicht linear, sondern exponentiell und steht erst ganz am Anfang. Ich bin überzeugt, dass KI‑Anwendungen auf dem Smartphone als „allwissender Assistent in der Hosentasche“ in Zukunft auch erheblich zu Fragen rund um Absicherung und Vorsorge konsultiert werden. Und das durchaus – aus Kundensicht – im positiven Sinn, denn immerhin kann das System mit Statistiken und Wahrscheinlichkeiten umgehen und unterliegt weder den klassischen menschlichen Wahrnehmungsverzerrungen noch einer ausgeprägten Gegenwartspräferenz. Und die derzeitigen Kinderkrankheiten, dass die Antworten „nicht faktengerecht“ oder „nicht aktuell genug“ sind, werden sicherlich bald ausgemerzt sein. Aus Sicht von Versicherern und Vermittlern wird es also darauf ankommen, die richtige Arbeitsteilung zu finden und, vor allem, sich aktiv im Universum der KI zu positionieren.
BUaktuell: Sie haben sich mit nicht zutreffenden Einkommensangaben oder verschwiegenen medizinischen Informationen beim Vertragsabschluss befasst. Falschangaben im Versicherungsantrag können den Versicherungsschutz kosten. Warum kommt so etwas dennoch vor?
Prof. Horst Müller‑Peters: Wir bewegen uns ständig auf einem Grat zwischen Ehrlichkeit, was zumindest im Regelfall auch unserem moralischen Selbstbild entspricht, und der Versuchung, kleine oder große Vorteile für uns herauszuschlagen, auch wenn wir dabei die Regeln verletzen. Wie weit wir dabei gehen, hängt insbesondere von den Umständen ab: Müssen wir eine explizite Falschangabe machen oder „nur“ etwas verschweigen? Machen wir die Aussage anonym auf einem Stück Papier oder schauen wir einer Person direkt ins Gesicht? Ist unser Gegenüber ein anonymer Konzern oder eine identifizierbare Person? Habe ich das Gefühl, dass ich leicht überführt werden könnte, oder kann ich mir das kaum vorstellen?
Hier haben Versicherer ebenso wie in der Schadenaufnahme durchaus eine ganze Reihe von Hebeln in der Hand, um die Ehrlichkeit ihrer Kunden zu steigern. Zusammen mit den Kollegen Detlef Fetchenhauer und Vanessa Köneke haben wir dazu ein eigenes Buch verfasst, in dem wir Versicherungsbetrug aus psychologischer Sicht erklären und mögliche, oft unterschwellige, Gegenmaßnahmen diskutieren.3
Bei der Frage nach Ehrlichkeit oder Unehrlichkeit spielt übrigens auch der Vertreter eine Rolle, beispielsweise, indem er deutlich auf die Bedeutung korrekter und vollständiger Angaben hinweist.
BUaktuell: Gehen wir auf den Leistungsfall ein: Welche Bedürfnisse und Motive des Versicherungsnehmenden stehen Ihres Erachtens zu diesem Zeitpunkt für ihn im Mittelpunkt?
Prof. Horst Müller‑Peters: Der Leistungsfall ist für den Kunden ein meist aufwühlendes und prägendes Ereignis, das außerhalb seiner alltäglichen „Komfortzone“ liegt. In der Beziehung zum Versicherer ist das der Moment der Wahrheit: Hält dieser sein Versprechen ein, wird der gegebene – und über Jahre bezahlte – Vertrauensvorschuss eingelöst? Unterstützt der Versicherer den Kunden in dieser Ausnahmesituation nicht nur finanziell, sondern auch psychologisch und organisatorisch?
Dabei ist es aus Sicht des Versicherers nicht ganz einfach, da die Erwartungen der Kunden und auch die subjektiven Vorstellungen von „Gerechtigkeit“ nicht immer eins zu eins dem Vertragswerk entsprechen. Hier gilt es, eine gewisse Balance zu bewahren und neben einer rein technischen Vertragsanwendung auch eine gewisse Empathie für den Kunden nicht zu vergessen.
Ebenfalls erschwerend kommt hinzu, dass ein eingetretener Schadenfall oft erst zur Versuchung führt, die Schadensumme etwas zu erhöhen oder den Schadenhergang „anders“ zu schildern, um einen nicht abgesicherten Schaden letztendlich doch erstattet zu bekommen. Die allermeisten Betrugsversuche brauchen eben gerade einen solchen Anlass, denn sie erfolgen nicht initiativ, sondern erst aus der eingetretenen Schadensituation heraus. Hier können Versicherer beispielsweise durch Personalisierung oder die Aktivierung des moralischen Selbstbilds des Kunden gegensteuern. Oder last but noch least durch eine besonders schnelle Erfassung und Bearbeitung des Schadens, sodass der Versuchung erst gar nicht Raum geboten wird.
BUaktuell: Bei all den technischen Möglichkeiten: Wieviel Mensch braucht es aus psychologischer Sicht noch in der Leistungsregulierung – beispielsweise bei einem so komplexen Produkt wie der privaten Berufsunfähigkeitsversicherung?
Prof. Horst Müller‑Peters: Auf die grundsätzliche psychologische Brisanz der Leistungssituation habe ich schon hingewiesen. Auch die Dunkelverarbeitung braucht daher einen menschlichen Anstrich. Das kann durch eine gewisse Personalisierung erfolgen oder, paradoxerweise, auch darin bestehen, dass die Regulierung nicht innerhalb von Sekunden nach der Schadenmeldung erfolgt, da der Kunde sonst misstrauisch wird.
In der BU ist die Schadensituation natürlich noch einmal viel brisanter, da sie von existenzieller Bedeutung ist. Neben aller gerechtfertigten Automatisierung scheint es mir hier unabdingbar, dass der Versicherer auch auf menschlicher Ebene „erreichbar“ bleibt, um das Vertrauen nicht zu erschüttern. Also Vorsicht mit Chatbots und langen telefonischen Warteschleifen; ein persönlicher konstanter Ansprechpartner wäre dagegen ideal.
BUaktuell: Sie haben an anderer Stelle darauf aufmerksam gemacht, dass sich die Rolle der Versicherungswirtschaft wandelt – vom Schadenregulierer hin zum Schadenmanager oder sogar Schadenverhüter, Coach und Motivator. Das ist sicher ein langer Prozess. Wie kann der Kunde mit seinen Bedürfnissen und Motiven in diesem Prozess mitgenommen werden?
Prof. Horst Müller‑Peters: Die zunehmende Vernetzung erlaubt den Versicherern tatsächlich immer mehr, sich vom reinen „Zahler“ hin zum Partner zu entwickeln. Das kann sowohl die Prävention als auch das Management von Schäden betreffen. Der Kunde sucht ja im Prinzip eine Problemlösung und kein „Versicherungsprodukt“. Die Versicherungswirtschaft genießt zudem einen Vertrauensvorsprung gegenüber anderen Anbietern wie Autoherstellern oder den globalen Internetkonzernen in puncto Umgang mit sensiblen Daten. Zwei Grenzen sind dabei aber dennoch zu beachten: Wie schnell können sich die Kunden von gewohnten Denkkategorien lösen, da Versicherer bisher primär in der Rolle als Schadenregulierer wahrgenommen werden? Und inwiefern ist der Kunde bereit, sich nicht nur digital vermessen, sondern gegebenenfalls auch „gängeln“ zu lassen, nämlich wenn die Prävention umschlägt in – je nach Anreizen – mehr oder weniger verpflichtende Vorgaben, zum Beispiel zum Fahrstil, zum Ernährungsverhalten etc.
Werden diese Problemstellungen gelöst, steht dem Weg zum hilfreichen „Lebensbegleiter“ rund um Mobilität, Gesundheit oder auch Wohnen prinzipiell nichts im Weg, zumindest mit Blick auf die Akzeptanz der Kunden. Dies eröffnet den Versicherern nicht nur ganz neue Geschäftsmodelle, sondern kann auch durch die hinzugewonnenen Kontaktpunkte und eine Abkehr von bislang vorwiegend negativen Kontexten – nämlich Rechnung und Schaden – der Kundenbeziehung eine ganz neue Qualität vermitteln.
BUaktuell: Herr Professor Müller‑Peters, wir danken Ihnen für dieses Gespräch!