In der Vergangenheit wurde das Thema Unterversicherung immer mal wieder in Artikeln und Pressemitteilungen behandelt, aber es spielte aufgrund der niedrigen Inflationsraten nur eine untergeordnete Rolle. Hinzu kam, dass Versicherungsnehmer häufig die Gefahr unterschätzten, dass ihr Unternehmen einen Totalschaden erleiden könnte und daher eher eine niedrigere Versicherungssumme ansetzten. Insbesondere in der Betriebsunterbrechungsversicherung wurde die Wiederaufbauzeit häufig nicht in ausreichendem Maß bei der Festsetzung der Haftzeit berücksichtigt; anstatt notwendiger 18 oder 24 Monate begnügte man sich oft mit zwölf Monaten. Aufgrund der Marktbedingungen in den letzten Jahren wurde in vielen Versicherungsverträgen, insbesondere in sog. Manuskript-Wordings, also Policen, die speziell für ein bestimmtes Risiko formuliert wurden, eine bis dato bestehende Unterversicherungsklausel gestrichen oder mittels einer Unterversicherungsverzichtsklausel erst gar nicht vereinbart.
Die Inflation, der Krieg in der Ukraine, die schwankenden Wechselkurse sowie die steigenden Arbeits- und Materialkosten haben aber in den letzten Jahren dazu geführt, dass ein Teil‑, aber insbesondere ein Totalschaden zu einer erheblichen Unterversicherung führen kann. Dies hatte oft massive Folgen für das versicherte Unternehmen und seine Möglichkeiten, einen Schaden in vollem Umfang ersetzt zu bekommen. Vor diesem Hintergrund versuchen Versicherer nun, Klauseln zur Unterversicherung wieder in den Versicherungsbedingungen zu etablieren.
Der vorliegende Artikel beleuchtet das Thema Unterversicherung und die möglichen Formen der Unterversicherungsregelung. Wir zeigen die potenziellen Folgen einer Unterversicherung für den Versicherungsnehmer wie auch für den Versicherer/Rückversicherer auf und geben Hinweise zu deren Vermeidung.
Die Sachlage
In der Sachversicherung liegt eine Unterversicherung vor, wenn die Versicherungssumme niedriger ist als der Versicherungswert. Dies stellt ein nicht zu unterschätzendes Problem dar, denn die Folgen einer Unterversicherung können schwerwiegend sein. Werden die Versicherungssummen für Gebäude, Einrichtung und Vorräte sowie in der Betriebsunterbrechungsversicherung der erwartete Gewinn und die fixen Kosten während der versicherten Haftzeit zu niedrig angesetzt, werden bei einem Teil- oder Totalschaden die anfallenden Schäden und Kosten nicht in vollem Umfang durch den Versicherer ersetzt. Stattdessen wird die Entschädigungszahlung entsprechend der Proportion zwischen versicherter Summe und tatsächlichem Wert gekürzt. Das bedeutet, dass der Versicherungsnehmer möglicherweise nicht genug Geld erhält, um den Schaden vollständig zu beheben oder zu ersetzen.
Während die Festsetzung der notwendigen und sachlich richtigen Versicherungssumme bei kleineren gewerblichen Risiken überschaubar ist, stellt die Ermittlung und Bewertung der Versicherungssummen bei multinationalen Policen mit Standorten in der ganzen Welt eine Herausforderung dar.
Klassische Gründe für einen zu niedrigeren Versicherungswert können beispielsweise sein:
- die versicherte Summe wurde bei Vertragsabschluss nicht ausreichend ermittelt,
- Wiederbeschaffungspreise bzw. Reparaturkosten werden unterschätzt,
- die vereinbarte Haftzeit wurde zu niedrig angesetzt, z. B. längere Lieferzeiten für zu ersetzende Anlagen, was zu einer Verlängerung der Betriebsunterbrechung führt,
- der Wert des Objekts hat sich im Lauf der Zeit erhöht, aber der Versicherungsvertrag wurde nicht aktualisiert,
- Versicherungssummen bzw. Haftzeiten wurden von den Versicherungsnehmern bewusst zu niedrig angesetzt, um Versicherungsprämie zu sparen.
Zu niedrige Versicherungssummen oder zu geringe Haftzeiten führen dazu, dass im Hinblick auf den tatsächlichen Wert des Unternehmens und das damit verbundene Risiko eine zu niedrige Versicherungsprämie berechnet wird. Besondere Folgen kann dies bei einer nicht proportionalen Deckung für den Versicherer haben, denn neben der Tatsache, dass er eine zu niedrige Versicherungsprämie für den infrage stehenden Layer berechnet, werden der Attachment- sowie der Detachment-Punkt des Layers als vorteilhafter angesehen, als sie es in der Realität sind. Dies führt häufig zu einer Unterschätzung des möglichen Schadenexposures, z. B. PML/MFL (erwarteter Höchstschaden). Dies kann dazu führen, dass der Versicherer eine höhere Kapazität an einem Layer zeichnet, als er es unter normalen Umständen getan hätte.
Ferner kann eine Unterversicherung zu rechtlichen Problemen und Streitigkeiten zwischen dem Versicherungsnehmer und dem Versicherer führen, z. B. wenn sie im Schadenfall festgestellt wird und die Versicherungsgesellschaft die Auszahlung kürzt oder den Anspruch ganz ablehnt.
Verbreitung der Unterversicherung
Unterversicherung ist für den Sachversicherer, aber auch für den Versicherungsnehmer ein ernst zu nehmendes und oft ein weit verbreitetes Problem. So sollen im Vereinigten Königreich (VK) beispielsweise ca. 50 % der Unternehmen unterversichert sein.1 Ähnliches wird aus den USA berichtet.2
In den deutschsprachigen Ländern wird angenommen, dass Unternehmen im Durchschnitt zu 20 % bis 30 % unterversichert sind.3
In individuell vereinbarten Sachversicherungsverträgen (Manuskript-Wordings) kann ein Unterversicherungsverzicht vereinbart sein. Kommt es in so einem Fall zu einem Schaden, wird auf die Prüfung der vereinbarten Versicherungssumme und des tatsächlichen Versicherungswertes verzichtet. Der Versicherer übernimmt den Schaden bis zur vereinbarten Versicherungssumme. Dies kann sich für den betroffenen Sachversicherer sehr nachteilig auswirken, da er in diesem Fall einen Teilschaden ggf. bis zur vereinbarten Versicherungssumme entschädigen muss, obwohl er aufgrund der zu niedrigen Versicherungssumme eine zu geringe Versicherungsprämie berechnet hat.
Maßnahmen zur Vermeidung von Unterversicherung
Um eine Unterversicherung zu vermeiden, ist es wichtig, dass der Versicherungsnehmer spätestens bei Abschluss des Versicherungsvertrags eine genaue Schätzung des Werts des zu versichernden Objekts vornimmt. Dabei können Gutachter oder Experten helfen. Bei einem bestehenden Versicherungsvertrag ist es wichtig, diesen regelmäßig zu überprüfen und zu aktualisieren, um sicherzustellen, dass die versicherte Summe dem aktuellen Wert des Objekts entspricht.
Vonseiten der Sachversicherer bestehen im Rahmen der Gestaltung des Versicherungsvertrags verschiedene Möglichkeiten, einer eventuellen Unterversicherungssituation vorzubeugen.
Vereinbarung einer Unterversicherungsklausel
Im Wesentlichen sieht eine Unterversicherungsklausel vor, dass die Versicherungsleistung proportional zum Umfang der Unterversicherung gekürzt wird, wenn der Wert der versicherten Sache zum Zeitpunkt des Schadens höher ist als der Betrag, für den sie versichert wurde. Wenn ein Gebäude beispielsweise für EUR 500.000 versichert ist, sein tatsächlicher Wert aber EUR 1 Mio. beträgt und bei einem Brand an diesem Gebäude ein Schaden von EUR 200.000 entsteht, wird die Versicherungsleistung um 50 % (also auf EUR 100.000) gekürzt.
Eine typische Unterversicherungsklausel4 im deutschsprachigen Raum lautet:
- Ist die Versicherungssumme niedriger als der Versicherungswert unmittelbar vor Eintritt des Versicherungsfalles, so besteht Unterversicherung. Im Fall der Unterversicherung wird die Entschädigung nach Nr. 1 in dem Verhältnis von Versicherungssumme zum Versicherungswert nach folgender Berechnungsformel gekürzt:
Entschädigung = Schadenbetrag multipliziert mit der Versicherungssumme dividiert durch den Versicherungswert.
Ist die Entschädigung für einen Teil der in einer Position versicherten Sachen auf bestimmte Beträge begrenzt, so werden bei Ermittlung des Versicherungswertes der davon betroffenen Sachen höchstens diese Beträge berücksichtigt. Ergibt sich aus dem so ermittelten Versicherungswert eine Unterversicherung, so wird die Entschädigung nach Nr. 1 entsprechend gekürzt. - Ob Unterversicherung vorliegt, ist für jede vereinbarte Position gesondert festzustellen.
- Die Bestimmungen über den Selbstbehalt nach Nr. 6 und Entschädigungsgrenzen nach Nr. 7 sind im Anschluss an a) und b) anzuwenden.
In anderen Ländern, z. B. USA, Vereinigtes Königreich, Südafrika und Australien, ist eine Unterversicherungsklausel als „Average Clause“, „Pro Rata Condition of Average“, „Condition of Average“, „Underinsurance Clause“ oder „Principle of Average“ bekannt. Alle zielen darauf ab sicherzustellen, dass der Versicherungsnehmer einen ausreichenden Wert für die versicherten Sachen sowie die Betriebsunterbrechungsversicherung festsetzt. Sollte dieser Versicherungswert zum Zeitpunkt des Verlusts oder der Beschädigung niedriger sein als ihr tatsächlicher Wert, reduziert die Versicherungsgesellschaft die Zahlung proportional zur festgestellten Differenz zwischen gemeldetem und tatsächlichem Versicherungswert.
Margin-Klausel
Eine Margin-Klausel ist eine nicht standardisierte Bestimmung in der gewerblichen Sachversicherung. Sie besagt, dass der Versicherungsnehmer bei einem Schaden an einem bestimmten Ort zu einem angegebenen Versicherungswert einen festgesetzten Prozentsatz über den für diesen Ort in der Wertaufstellung des Versicherten angegebenen Versicherungswert erhalten kann. Das heißt, bei einem Schaden zahlt der Versicherer nicht mehr als einen bestimmten Prozentsatz des im Versicherungsvertrags festgesetzten Versicherungswerts.
Der versicherte Höchstbetrag wird normalerweise als Prozentsatz angegeben, der größer als 100 % ist, z. B. 110 % oder 125 %. Eine Margin-Klausel kann allein oder zusammen mit einer weiteren Bestimmung zur Haftungsbeschränkung pro Ereignis oder pro versichertem Ort verwendet werden. Werden beide zusammen verwendet, erhöht die Margin-Klausel den Betrag, den der Versicherungsnehmer einfordern könnte. Beide Klauseln werden in der Regel an Policen mit pauschalen Höchstbeträgen angehängt, sodass sie im Wesentlichen pauschale Höchstbeträge in spezifische, standortbezogene Höchstbeträge umwandeln.
Die Wirksamkeit einer Margin-Klausel hängt von mehreren Faktoren ab, u. a. von der Klarheit des Wortlauts, der Genauigkeit der zur Bestimmung der Einhaltung des Schwellenwerts verwendeten Messgrößen und der Durchsetzbarkeit der in der Klausel festgelegten Folgen. Generell kann die Margin-Klausel ein wirksames Mittel zum Risikomanagement sein und sicherstellen, dass der Versicherungsnehmer seiner Verpflichtung nachkommt, die Versicherungswerte seiner Objekte regelmäßig zu prüfen und zu melden.
Co‑Insurance-Klausel
Bei einer typischen Co‑Insurance-Klausel erklärt sich der Versicherungsnehmer bereit, das versicherte Objekt bis zu einem bestimmten Prozentsatz seines Werts zu versichern. Dieser liegt in der Regel bei 80 %, 90 % oder 100 %. Versichert der Versicherungsnehmer das Objekt zu einem geringeren als dem festgelegten Prozentsatz, kann er mit einer Vertragsstrafe oder einer Kürzung der Schadenzahlung belegt werden. Bei Letzterem wird die Schadensumme mit dem Verhältnis zwischen der gemeldeten (dem Versicherungslimit) und der erforderlichen Versicherungssumme (dem Wert des Versicherungsobjekts zum Zeitpunkt des Schadens multipliziert mit dem Mitversicherungsprozentsatz) abzüglich des Selbstbehalts multipliziert.
Liegt beispielsweise der Versicherungswert bei EUR 10 Mio., der Versicherungsnehmer versichert aber nur EUR 8 Mio. mit einer Co‑Insurance von 90 %, ist im Schadenfall der Versicherungsnehmer zu 10 % unterversichert, d. h., bei einem Schaden von EUR 1 Mio. würde er nur EUR 0,9 Mio. erhalten. Der Betrag, der aufgrund der Nichteinhaltung der Co‑Insurance-Klausel nicht an den Versicherungsnehmer zu zahlen ist, wird gemeinhin als Penalty bezeichnet. In der gewerblichen Sachversicherung ist es manchmal möglich, die Penalty durch eine vereinbarte Erstrisikosumme zu vermeiden.
Weitere Möglichkeiten zur Vermeidung der Folgen einer Unterversicherung
Zur Vermeidung einer Unterversicherung können Versicherer weitere Bestimmungen in den Versicherungsvertrag aufnehmen, die den Wert des zu versichernden Objekts festlegen. Diese können Folgendes umfassen:
Preisindex‑/ Wertzuschlagklausel / Index Linking
Mit dieser Klausel wird ein bestimmter Wert für das versicherte Objekt festgelegt, der zwischen dem Versicherer und dem Versicherungsnehmer vereinbart wird. Im Schadenfall zahlt der Versicherer den vereinbarten Betrag, unabhängig vom tatsächlichen Wert des Objekts.
Die Vereinbarung einer Wertzuschlagsklausel ist möglich für Gebäude sowie die technische und kaufmännische Betriebseinrichtung. Dabei wird die bei Vertragsabschluss vereinbarte Versicherungssumme jährlich mit einem Wertzuschlag anhand eines vereinbarten Preisindexes, z. B. des Verbraucherpreisindexes, an die aktuelle Wertentwicklung angepasst. Die Anpassung erfolgt meist automatisch und ohne dass der Versicherungsnehmer aktiv tätig werden muss. Normalerweise muss damit nicht jedes Jahr die Versicherungssumme neu festgelegt werden, sofern keine wesentlichen Zusatzinvestitionen getätigt wurden. Zweck der Wertzuschlagsklausel ist es, dass trotz aufgrund von Preissteigerungen gestiegener Versicherungswerte im Schadenfall der volle Schadenausgleich gegeben ist. Die Wertzuschlagsklausel gibt es in zwei verschiedenen Ausprägungen: ohne und mit Einschluss von Bestandserhöhungen; in letzterem Fall müssen die jeweiligen Bestandserhöhungen jedoch zeitnah dem Versicherer gemeldet werden. Die Festsetzung der Versicherungssumme wird dabei zunächst auf ein Basisjahr unter Verwendung eines Indizes, beispielsweise des Statistischen Bundesamts (Deutschland) heruntergerechnet, entweder auf Basis des Neupreises im Anschaffungsjahr oder des Neupreises eines Wertgutachtens zu einem bestimmten Stichtag. Auf der Grundlage dieser Grundsumme werden dann anhand der entsprechenden Indizes die Werte vom Basisjahr auf das jeweilige geltende Versicherungsjahr hochgerechnet. Da die Indizes jedes Jahr neu berechnet werden, kann damit die Versicherungssumme jeweils auf das neue Versicherungsjahr hochgerechnet werden. Trotzdem kann es auch bei einer vorhandenen Wertzuschlagsklausel zu einer Unterversicherung kommen, wenn beispielsweise die Gebäude oder Maschinen jeweils mit erheblichen Preisnachlässen errichtet oder angeschafft wurden oder sich die Anschaffungspreise für bestimmte Anlagen überdurchschnittlich entwickelt haben. In einigen Fällen kann es dann erforderlich sein, die Versicherungssumme manuell anzupassen. Letztlich muss sichergestellt sein, dass bei Vorliegen der Wertzuschlagsklausel Investitionen und Bestandserhöhungen zeitnah in der gemeldeten Versicherungssumme berücksichtigt werden.
Vereinbarung einer Vorsorgeversicherungssumme
Die Vereinbarung einer Vorsorgeversicherungssumme für Neu- und Ersatzinvestitionen hat zum Ziel, einer möglichen Unterversicherung vorzubeugen – wenn beispielsweise im Laufe einer Versicherungsperiode neue Maschinen hinzugekauft werden und zu erwarten ist, dass dadurch die ursprünglich im Versicherungsvertrag vereinbarte Versicherungssumme nicht mehr ausreicht. Die neuen Risiken müssen bis zur nächsten Beitragszahlung bzw. zur neuen Vertragslaufzeit, spätestens jedoch bei erneuter Risikoabfrage durch den Versicherer angezeigt werden. In der Regel wird für diese Fälle eine sog. feste Vorsorgeversicherungssumme oder ein Prozentsatz der Gesamtversicherungssumme (z. B. 30 %) vereinbart. Spätestens bei Beendigung der Versicherungsperiode wird die mögliche Inanspruchnahme der Vorsorge durch den Versicherer abgefragt und ggf. bei der Festsetzung der finalen Versicherungsprämie für die abgelaufene Versicherungsperiode berücksichtigt.
Wiederbeschaffungskosten-Klausel
Diese Klausel stellt sicher, dass der Versicherungsnehmer für die Kosten des Ersatzes des beschädigten oder zerstörten Eigentums durch neues Eigentum ähnlicher Art und Qualität entschädigt wird. Dies kann auch die Kosten für erforderliche Arbeiten, Material und andere Ausgaben umfassen.
Inflationsschutzklausel, auch „Day One“ oder „Uplift“ genannt
Sie soll eine mögliche Unterversicherung, verursacht durch Inflation in der Zeit zwischen Versicherungsbeginn (oder Erneuerung) und dem Schadenereignisdatum, verhindern. Üblicherweise gilt ein Prozentsatz von 10 % bis 50 %. Beträgt beispielsweise der Wert bei Versicherungsbeginn oder Erneuerung EUR 10 Mio. und die Inflationsrate für einen neun Monate später eintretenden Schaden 5 %, liegt der Versicherungswert zum Zeitpunkt des Schadens tatsächlich bei EUR 10,5 Mio. Mit dieser Klausel wird also der Versicherungswert des Versicherungsobjekts im Laufe der Zeit automatisch an die inflationsbedingten Änderungen des Marktwerts angepasst.
Nachhaftungsvereinbarung / Declaration Link
Die Vorhersage der Geschäftsentwicklung für die Festsetzung der Betriebsunterbrechungsversicherungssumme ist nicht unproblematisch. Dies versucht man durch eine Declaration-Link-Vereinbarung zu lösen. Dazu gibt zu Beginn eines jeden Versicherungsjahrs und vor jeder Erneuerung der Versicherungsnehmer eine Erklärung ab, in der er den geschätzten Bruttogewinn angibt, der in dem Geschäftsjahr, das dem Versicherungszeitraum am nächsten liegt, voraussichtlich erzielt wird. Die Prämie zu Beginn des Versicherungsjahrs wird vom Versicherer dann auf der Grundlage des geschätzten Bruttogewinns berechnet und kann bei einer zu hohen Schätzung durch eine Prämienrückerstattung und bei einer zu niedrigen Schätzung durch eine zusätzliche Prämie am Ende einer Versicherungsperiode angepasst werden. Normalerweise wird die Erklärung innerhalb von sechs Monaten nach Ablauf des Versicherungsjahrs von den Rechnungsprüfern des Versicherungsnehmers bestätigt. Die Haftung des Versicherers beläuft sich (normalerweise) auf den geschätzten Bruttogewinn zuzüglich des im Versicherungsvertrag vereinbarten Zuschlags (z. B. 30 %) für den Fall, dass die Schätzung zu niedrig war.
Besonders wichtig ist, dass es bei deklarationsgebundenen Policen keine Unterversicherungsklausel gibt. Der vereinbarte Zuschlag wird zur Verfügung gestellt, um unvorhergesehene Erhöhungen des Bruttogewinns auszugleichen. Er darf nicht dazu verwendet werden, eine absichtlich zu niedrig angesetzte Deklaration zu ermöglichen, um eine niedrigere Prämie zu erzielen.
Vorliegen einer Werttaxierung
In diesem Fall werden die in einem Unternehmen vorhandenen Werte jährlich durch die Anfertigung einer Taxe durch anerkannte und vereidigte Sachversicherer ermittelt. Diese Werte werden dann für die Festsetzung der Versicherungssumme im Versicherungsvertrag herangezogen. Da im Rahmen einer solchen Taxierung die tatsächlich vorhandenen Werte ermittelt wurden, kann es, wenn nicht zwischenzeitlich nach Erstellung der Taxe zusätzliche Investitionen getätigt wurden, zu keiner Unterversicherung kommen.
Eine Taxierung zur Festsetzung der Versicherungssumme wird normalerweise für Gebäude, Ausrüstungen, Inventar und alle anderen Vermögenswerte eines Unternehmens angefertigt. Dabei müssen auch in einem Schadenfall anfallende zusätzliche Kosten wie Architektenhonorare, eventuelle Behörden- oder Planungskosten und, falls erforderlich, die Mehrwertsteuer sowie Inflation und Wertzuwachs berücksichtigt werden. Deshalb ist es wichtig, diese Bewertung/Taxe regelmäßig zu überprüfen und zu aktualisieren, um sicherzustellen, dass sie alle Änderungen oder Verbesserungen, die am Eigentum vorgenommen wurden, widerspiegeln. Im Laufe der Zeit kann der Wert von Vermögenswerten und damit auch die Kosten für den Wiederaufbau oder den Ersatz von Vermögenswerten steigen. Ferner sollte darauf geachtet werden, dass der Spitzen- und nicht der Durchschnittsbestand, z. B. bei den Vorräten, berücksichtigt wird, da sich im Laufe eines Versicherungsjahrs durch saisonale Einflüsse oder eine erhöhte Vorratshaltung die erforderliche Versicherungssumme ändern kann.
Festlegung und Definition der Versicherungssumme für die Betriebsunterbrechung
Um im Rahmen einer Betriebsunterbrechungsversicherung mögliche Unklarheiten oder Missverständnisse für die Festsetzung der erforderlichen Versicherungssumme zu vermeiden, haben die Sachversicherer entsprechende Klarstellungen im Versicherungsvertrag aufgenommen oder geben dem Versicherungsnehmer entsprechende Hilfestellungen für deren Ermittlung an die Hand, denn die Ermittlung des für die Versicherungssumme erforderlichen jährlichen Bruttogewinns unterscheidet sich von dem in der Buchhaltung üblichen Verfahren. Bei der Festsetzung der Betriebsunterbrechungs-Versicherungssumme sollten neben dem versicherten Bruttogewinn auch die künftig zu erwartenden Kosten und Gewinne berücksichtigt werden, um eine mögliche Unterversicherung zu vermeiden.
Festlegung der Haftzeit im Rahmen der Betriebsunterbrechungsversicherung
Viele Unternehmen unterschätzen, wie lange es in einem Schadenfall bis zur technischen oder vollständigen kaufmännischen Wiederherstellung des Betriebs dauern kann. In der derzeitigen Marktsituation beispielsweise stellt sich immer wieder heraus, dass eine Haftzeit von zwölf Monaten nicht ausreicht, um den Betrieb so wiederherzustellen, als wenn sich der Schaden nicht ereignet hätte. Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn ein Unternehmen in einem historischen oder ungewöhnlichen Gebäude untergebracht ist, dessen Wiederaufbau länger dauern kann, oder wenn der Betrieb über Spezialausrüstungen verfügt, deren Wiederbeschaffung Zeit in Anspruch nehmen kann. Darüber hinaus verlängern Markttrends wie längere Lieferketten und Wiederaufbauzeiten aufgrund des Fachkräftemangels im Bausektor die Wiederherstellungszeiten. Insofern ist es angeraten, eine sachorientierte, realistische, den jeweiligen Marktbedingungen angepasste Haftzeit für die Betriebsunterbrechungsversicherung festzusetzen.
Vereinbarung einer festen Versicherungssumme bzw. einer Höchstentschädigung
Versicherungsnehmer können in ihrem Versicherungsvertrag eine feste Versicherungssumme bzw. eine Höchstentschädigung vereinbaren. Ein möglicher Schaden wird dann bis zur vereinbarten Versicherungssumme reguliert. Sollte sich herausstellen, dass die vereinbarte Versicherungssumme nicht ausreicht, ist der darüber hinausgehende Teil des Schadens unversichert und muss vom Versicherungsnehmer getragen werden. Deshalb ist es notwendig, in einem solchen Fall die Versicherungssumme im Einklang mit dem bestehenden Versicherungsvertrag regelmäßig zu überprüfen, um eine möglicherweise drohende Unterversicherung zu vermeiden.
Des Weiteren sollten Versicherungsnehmer regelmäßig ihren Versicherungsvertrag auf mögliche Deckungslücken überprüfen, um zu vermeiden, dass sie im Schadenfall den Schaden selbst tragen müssen, da er nicht unter den vereinbarten Versicherungsschutz fällt. Das heißt, ein Betrieb sollte seinen Versicherungsschutz darauf überprüfen, ob er weiterhin mit den Betriebsaktivitäten übereinstimmt, denn im Laufe der Zeit entstehen neue Risiken (z. B. Cyber), oder es werden neue Betriebsprozesse eingeführt, z. B. anstelle einer reinen Metallverarbeitung werden die hergestellten Produkte durch eine neu angeschaffte Galvanikanlage veredelt, die in der Regel ein höheres Gefahrenpotenzial mit sich bringt. Dies kann, wenn dem Versicherer die Änderungen nicht bekannt sind, im Schadenfall zu einer Diskussion über die Entschädigungspflicht aus dem vereinbarten Versicherungsvertrag führen. Insofern ist es notwendig, dass ein Versicherungsnehmer während der Versicherungsvertragsdauer regelmäßig die bestehende Risikosituation überprüft, mit dem Versicherungsvertrag abgleicht und bei festgestellten Abweichungen das Gespräch mit seinem Versicherungsvermittler/Versicherer sucht, um entsprechende Deckungslücken zu vermeiden bzw. zeitnah abzusichern.
Underwriting-Tipps
Unterversicherung kann sowohl für den Versicherungsnehmer als auch für den Versicherer aus verschiedenen Gründen problematisch werden. Der Versicherungsnehmer kann im Schadenfall bei einer bestehenden Unterversicherung auf einem Teil seines Schadens sitzenbleiben. Der Versicherer hat, solange kein Schaden eingetreten ist, eine zu geringe Prämie für das relevante Exposure berechnet sowie ggf. eine zu große Kapazität gegeben. Daher ist es wichtig, sich als Sachversicherer mit dem Thema der Unterversicherung zu beschäftigen und es in die Underwriting-Überlegungen einzubeziehen.
Wesentliche Fragestellungen zu dieser Thematik sind:
- Liegt das Wording für das betreffende Risiko vor?
- Wie lauten die Definitionen für die dem Versicherungsvertrag zugrunde liegenden Versicherungswerte (Neuwert‑/ Zeitwert, Marktwert, Buchwert)?
- Sind die gemeldeten Versicherungswerte aktuell, oder liegt die letzte Ermittlung schon einige Zeit zurück? Unterscheiden sich die im Besichtigungsbericht erwähnten Versicherungssummen und Haftzeiten von den im Versicherungsvertrag vorgesehenen Versicherungssummen und Haftzeiten?
- Wie ist die Regelung für die Entschädigungsberechnung (beispielsweise wird in manchen Policen als Versicherungssumme der Zeitwert angegeben, als Entschädigungswert gilt aber der Neuwert als versichert)?
- Ist die Höhe der für das betreffende Risiko angegebenen Versicherungswerte nachvollziehbar? Dies lässt sich, beispielsweise bei Gebäuden oder Anlagen, anhand von Tools überprüfen oder mit Erfahrungswerten vergleichen. Im Rahmen der Betriebsunterbrechungsversicherung sollte man bedenken, wie die Preise für Rohwaren, aber auch die Verkaufspreise durch Inflation, Gewinnspanne sowie gestiegene Energiekosten beeinflusst werden, was sich direkt auf die BU‑Werte auswirkt, die im Laufe der Policenperiode sinken oder steigen können. Sind die gemeldeten BU‑Werte an die zu erwartende Geschäftsentwicklung angepasst und werden u. a. Aufwendungen für Marketing bzw. die Einführung neuer Produkte in den Markt berücksichtigt? Insbesondere ein Blick auf die Entwicklung der Umsatzzahlen der letzten Jahre, neue Standorte und Investitionen kann ggf. Hinweise für die Adäquanz der gemeldeten Versicherungssummen geben.
- Enthält der Versicherungsvertrag eine Unterversicherungsregelung bzw. Bestimmungen, die für einen Ausgleich der Unterversicherung im Schadenfall stehen können, z. B. Wertzuschlagsklausel, Vorsorgeversicherung?
- Wie sind die entsprechenden Bestimmungen definiert, und wie würden sie sich im Schadenfall auswirken?
- Sind beim Versicherer Prozesse vorgesehen, bei denen gegen Ende der Policenlaufzeit der Versicherungsnehmer aufgefordert wird, eine entsprechende Inanspruchnahme der vereinbarten Vorsorgeversicherung anzugeben, um eine angefallene Mehrprämie berechnen zu können?
- Werden im Rahmen des Underwriting bestehende oder zu erwartende Inflationseinflüsse auf die gemeldeten Versicherungssummen bzw. im Schadenfall für die Feststellung einer Entschädigungsleistung berücksichtigt?
- Ist die angefragte Haftzeit für die Betriebsunterbrechungsversicherung realistisch, und wenn ja, wurde die damit verbundene Versicherungssumme an die Haftzeit angepasst? Es ist nicht unüblich, dass in Versicherungsslips die Summe als Zwölf-Monats-Summe angegeben wird, in dem Versicherungsvertrag aber eine Haftzeit von mehr als zwölf Monaten. Dies kann beim Underwriter dazu führen, dass die Prämien- und Exposurebetrachtungen auf der falschen Grundlage beruhen.
Zusammenfassung
Von Unterversicherung spricht man bei Sachversicherungen, wenn die Versicherungssumme zum Zeitpunkt des Versicherungsfalls erheblich niedriger ist als der Versicherungswert. Liegt eine solche vor, sind die Folgen für einen Versicherungsnehmer gravierend, denn sie führt im Schadenfall zu einem Abzug beim Schadensersatz im gleichen Verhältnis, wie die Versicherungssumme zu niedrig ist. Beim Totalschaden stellt die Versicherungssumme den maximalen Ersatz dar.
Auch wenn in der Vergangenheit von vielen Versicherungsnehmern und Versicherern das Thema der Unterversicherung eine untergeordnete Rolle spielte, ist dessen Bedeutung durch die derzeit deutlich gestiegenen Wiederbeschaffungskosten im Schadenfall sowie die nicht unerhebliche Inflationsentwicklung wieder stärker in den Vordergrund gerückt. Will man die Folgen einer Unterversicherung vermeiden und im Schadenfall nicht einen Teil des Schadens selbst tragen, ist es für den Versicherungsnehmer wichtig, die Versicherungssumme für ein zu versicherndes Objekt richtig zu bemessen. Darüber hinaus können mit weiteren Bestimmungen im Versicherungsvertrag eventuelle nicht erkannte Unterversicherungspotenziale abgemildert oder sogar ganz vermieden werden. Insofern ist es essenziell, sowohl die Versicherungssummen als auch die Haftzeit in der Betriebsunterbrechungsversicherung dem tatsächlichen Wert bzw. der tatsächlich nach einem Schadenfall zu erwartenden Unterbrechungsdauer anzupassen, wenn man die Folgen einer Unterversicherung in der Sachversicherung vermeiden möchte.
Endnoten
- https://www.aviva.co.uk/risksolutions/news-and-insights/2021/03/underinsurance---the-rising-threat/.
- https://amtrustfinancial.com/blog/small-business/risks-dangers-of-being-underinsured.
- https://www.ggw.de/news/unterversicherung-oft-erst-im-schadenfall-ein-thema/.
- https://www.gdv.de/resource/blob/6066/85284e0424e1d3a5cd4b50df1b2d88fc/01-allgemeine-bedingungen-fuer-die-feuerversicherung--afb-2010--data.pdf.