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Ausgabe von Oktober 2021
Deutschland – BGH erklärt Vertragsgenerator Smart Law für zulässig
Am 9. September 2021 entschied der u. a. für das Wettbewerbsrecht zuständige I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs, dass ein juristischer Fachverlag einen digitalen Rechtsdokumentengenerator betreiben darf, mit dem anhand eines Frage-Antwort-Systems und einer Sammlung abgespeicherter Textbausteine Vertragsdokumente erzeugt werden.
Die Rechtsanwaltskammer Hamburg hatte geklagt, da der Verlag Wolters Kluwer im Internet einen digitalen Generator zur Erstellung von Verträgen und anderen Rechtsdokumenten bereitstellt. Dabei werden dem Kunden Fragen gestellt, die er – überwiegend im Multiple-Choice-Verfahren – beantwortet. Anhand der Antworten werden mithilfe einer Software aus einer Sammlung von Textbausteinen Vertragsklauseln generiert, die zu einem Vertragsentwurf zusammengestellt werden. Das Dokument kann vom Kunden dann erworben werden.
Die Klägerin sah darin eine wettbewerbswidrige Rechtsdienstleistung durch einen nicht anwaltlichen Legal-Tech-Anbieter und nahm die Beklagte auf Unterlassung in Anspruch.
Nachdem das Landgericht Köln der Klage zunächst am 8. Oktober 2019 stattgegeben hatte (s. hierzu Huff, PHi 2020, 4 ff), hat das Oberlandesgericht Köln am 19. Juni 2020 den Unterlassungsantrag in der Berufung abgewiesen. Der BGH wies die Revision der Klägerin nun ebenfalls zurück.
Das Erstellen eines Vertragsentwurfs auf Basis von Nutzerangaben mithilfe einer digitalen, im Internet bereitgestellten Software in Form eines Rechtsdokumentengenerators sei keine unerlaubte Rechtsdienstleistung nach §§ 2 Abs. 1 und 3 RDG, da es sich nicht um ein Tätigwerden in konkreten Angelegenheiten der Nutzer handele. Vielmehr fänden – ähnlich wie bei der Nutzung eines Formularhandbuches – die über den üblichen Fall hinausgehenden individuellen Verhältnisse des Anwenders durch die Arbeitsweise der Software mit den programmierten Reaktionen auf allgemeine Antworten des Kunden keine Berücksichtigung. Auch könne der Nutzer erkennen, dass keine rechtliche Prüfung seines konkreten Falls erfolge und erwarte dies entsprechend nicht. Diese objektive Empfängererwartung sei jedoch das für die Beurteilung des Vorliegens einer Rechtsdienstleistung entscheidende Kriterium.
Österreich – Produkthaftung bei Micro Scooter nach Vordergabelbruch
Das Handelsgericht (HG) Wien hat Anfang August 2021 den österreichischen Importeur eines Micro Scooters in einem Haftungsprozess um einen Produktfehler zu Schadensersatz verurteilt und es gleichzeitig abgelehnt, das Verzichten der Fahrerin auf Helm und jegliche weitere Schutzausrüstung als Mitverschulden in Bezug auf das aus dem Produktfehler eingeklagte Schmerzensgeld zu berücksichtigen.
Im Jahr 2013 hatte eine Konsumentin einen Scooter der Firma Micro Mobility Systems AG gekauft. In der Folge wurde dieser regelmäßig gewartet. Dennoch brach im Sommer 2015 während der Fahrt dessen Vordergabel. Ursache war eine zu schwache Ausführung ihrer Konstruktion. Beim durch den Gabelbruch verursachten Sturz zog sich die Frau schwerste Verletzungen – u. a. diverse Brüche, Rissquetschwunden und Prellungen – zu und musste einige Tage stationär im Krankenhaus verbringen.
Eine dafür verlangte Entschädigung wurde außergerichtlich abgelehnt. Daraufhin klagte der Verein für Konsumenteninformation (VKI) im Auftrag des Sozialministeriums gegen den Importeuer des Scooters, um die Frage nach der Haftung im Rahmen der Produkthaftung zu klären. Dieser Klage gab das HG Wien nun statt. Eine Haftung nach dem Produkthaftungsgesetz sei eindeutig gegeben. Der österreichische Importeur müsse haften, obgleich das Produkt in der Schweiz hergestellt worden sei, und Schadensersatz wegen eines Produktionsfehler leisten. Dabei sei kein Mitverschulden der Frau in Abzug zu bringen, weil diese ohne Helm, Ellbogen-, Hand- und Knieschützer gefahren sei. Dies sei zwar in der Bedienungsanleitung des Geräts vorgeschrieben gewesen, eine Beachtung in den Augen des Gerichts mangels entsprechender gesetzlicher Pflicht hierzu in Österreich allerdings nicht zwingend erforderlich. Die Summe des Schmerzensgelds und der Heilungskosten wurde auf mehr als EUR 10.000 festgelegt, zudem muss der Importeuer auch für zukünftige Folgeschäden haften, die nach den schweren Unfallfolgen nicht ausgeschlossen werden können. Das Urteil ist rechtkräftig.
USA – Bayer-Konzern erringt Sieg in Prozess um Glyphosat
In den USA hat Bayer am 5. Oktober 2021 einen juristischen Sieg in einem Glyphosat-Prozess verbuchen können. Eine Geschworenen-Jury in Los Angeles entschied, dass der Glyphosat-haltige Unkrautvernichter Roundup der Bayer-Tochter Monsanto nicht Ursache der Lymphdrüsenkrebserkrankung eines Minderjährigen sei. Der Junge war dem Pestizid ausgesetzt, als seine Mutter damit arbeitete. Die Jury sah keine Beweise für einen Zusammenhang mit der Erkrankung.
Während der Bayer-Konzern darin keinen überraschenden Ausgang sah – wissenschaftliche Erkenntnisse aus vier Jahrzehnten haben bereits bewiesen, dass Glyphosat bei sachgemäßer Anwendung sicher sei –, erwägen die Anwälte der Klägerseite in Berufung zu gehen. Ob dies erfolgversprechend ist, ist allerdings fraglich. Annähernd alle Zulassungsbehörden gehen aufgrund der aktuellen Studienlage davon aus, dass Glyphosat nicht krebserregend ist. Einzig eine Krebsforschungsagentur der WHO kam im Jahr 2005 zu dem Schluss, dass es „wahrscheinlich krebserregend“ sei.
Im Rahmen der daraus resultierenden Klagewelle gegen Monsanto in den USA verlor Bayer dennoch drei Verfahren erst- oder zweitinstanzlich (s. hierzu PHi 2021, 129) und soll dabei bis zu EUR 78 Mio. Schadensersatz zahlen. Das Urteil ist daher ein Hoffnungsschimmer für die stark gebeutelte Aktie des Konzerns sowie im Rahmen der bisher noch nicht durch Beilegung oder durch das rund acht Milliarden Euro große Vergleichspaket ausgeschlossenen Klagen (vgl. PHi Newsletter – Juli 2020).
Für den Bayer-Konzern ist auch die anstehende Entscheidung des höchsten US‑Gerichts in einem anderen Fall, in dem Bayer im Sommer 2021 beim Supreme Court Revision eingelegt hat, von großer Bedeutung. Bayer hofft, durch ein Urteil zu seinen Gunsten eine grundlegende Trendwende im Umgang der Gerichte mit diesen Fällen herbeiführen zu können.
USA – Neues kalifornisches Gesetz droht Schmerzensgeld bei Klagen von Überlebenden drastisch zu erhöhen
Der Gouverneur von Kalifornien hat mit Wirkung zum 1. Oktober 2021 das Gesetz SB 447 in Kraft gesetzt, das den Umfang der erstattungsfähigen Schäden in sog. Überlebensklagen deutlich erhöht. So können nun auch persönliche Vertreter oder Rechtsnachfolger eines Verstorbenen Schmerzensgeld verlangen.
Zuvor konnte nach der Fassung von Abschnitt 377.34 der kalifornischen Zivilprozessordnung Schmerzensgeld nur im Namen der Person verlangt werden, die die Körperverletzung erlitten hatte. Der Umfang des den Rechtsnachfolgern zukommenden Schadensersatzes beschränkte sich dabei „auf den Verlust oder Schaden, den der Erblasser vor seinem Tod erlitten hat, einschließlich etwaiger Strafen oder Punitive Damages, auf den der Erblasser Anspruch gehabt hätte, wenn er noch gelebt hätte” (Civ. Proc. Code, § 377.34 a. F.).
Nun kann in einer Klage oder einem Verfahren des persönlichen Vertreters oder Rechtsnachfolgers eines Verstorbenen der zu erstattende Schadensersatz auch Schmerzensgeld umfassen, wenn der Klage oder dem Verfahren vor dem 1. Januar 2022 ein Vorrang gemäß Abschnitt 36 gewährt wurde oder sie am oder nach dem 1. Januar 2022 und vor dem 1. Januar 2026 eingereicht wurde (Civ. Proc. Code, § 377.34 n. F.).
Insgesamt droht damit ein Anstieg der Schadensersatzsummen. Nach Ansicht von Befürwortern wird damit die in nur noch fünf Bundesstaaten bestehende Situation behoben, dass Täter durch das Entfallen von Klagemöglichkeiten „belohnt“ und Angehörige keine Entschädigungen für immaterielle Schäden erhalten, wenn es den Beklagten gelingt, das Gerichtsverfahren in die Länge zu ziehen, bis das Opfer verstorben ist. Gegner des Gesetzes hatten dagegen argumentiert, dass mit der bereits bestehenden Möglichkeit von Punitive Damages in Überlebensklagen die Zulassung von Schmerzensgeld darin nun eine doppelte Entschädigung bedeute.
Ausgabe von August 2021
Australien – Sammelklage wegen verunreinigten Saatguts abgewiesen
Im ersten Verfahren unter der Sammelklagenregelung in Teil 13A der Zivilprozessordnung von Queensland (Civil Proceedings Act 2011 (Qld)) hat der Oberste Gerichtshof von Queensland am 9. April 2021 einen langwierigen Rechtsstreit um unkrautkontaminiertes Saatgut durch Klageabweisung beendet (Mallonland Pty Ltd. v. Advanta Seeds Pty Ltd. [2021] QSC 74).
Etwa 120 Farmer hatten sich der Klage gegen den Hersteller Advanta Seeds Pty Ltd., früher Pacific Seeds, angeschlossen. Sie machten rein wirtschaftliche Schäden in Millionenhöhe wegen erhöhter Betriebskosten und verringerter Erntemengen geltend, die durch die Lieferung kontaminierten Saatgut der Sorte MR43 mit Unkraut entstanden seien. Da die Saatgut-Säcke als zu 99 % rein beworben wurden, seien sie unter Verletzung der geschuldeten Sorgfalt und mit unzureichenden Warnhinweisen verkauft worden.
Das Gericht stellte jedoch fest, dass die Saatgutsäcke einen Haftungsausschluss enthielten, der jegliche Sorgfaltspflicht des Saatgutherstellers gegenüber den Landwirten zur Vermeidung wirtschaftlicher Verluste durch Unkrautbefall ausschloss.
Die Landwirte stützten ihre Klage neben der Sorgfaltspflichtverletzung auf „irreführendes und täuschendes Verhalten“ (misleading or deceptive conduct) des Saatgutherstellers, weil dieser Kenntnis vom kontaminierten Saatgut gehabt und geschwiegen habe. Der Richter stellte jedoch fest, dass es keine ausreichenden Beweise für eine Kenntnis des Saatgutherstellers von der Verunreinigung zum maßgeblichen Zeitpunkt gebe.
Die Entscheidung stellt für Hersteller und Erzeuger eine Orientierungshilfe hinsichtlich des Umfangs der Sorgfaltspflichten und der erforderlichen Informationen gegenüber den Endverbrauchern ihrer Produkte dar. Gleichzeitig zeigt sie die weitreichenden Folgen eines Haftungsausschlusses auf. Die Kläger haben am 7. Mai 2021 Berufung eingereicht.
Deutschland – Verbandssanktionengesetz vorerst gescheitert
Das durch einen Regierungsentwurf vom 16. Juni 2020 eingebrachte geplante „Gesetz zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft“ (kurz Verbandssanktionengesetz), ist vorerst gescheitert.
Das Gesetz sollte die Sanktionierung von Verbänden, deren Zweck auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist, auf eine eigenständige gesetzliche Grundlage stellen, dem Legalitätsprinzip unterwerfen und mittels neuem Sanktionsrahmen eine Ahndung von Verbandstaten ermöglichen. Zugleich sollte es Compliance-Maßnahmen fördern und für Unternehmen Anreize bieten, mittels interner Untersuchungen dazu beizutragen Straftaten aufzuklären.
Nach zwei vorgelegten Referentenentwürfen, einem Regierungsentwurf, dem die Koalition im Herbst 2020 noch zugestimmt hatte, und zahlreichen kritischen Auseinandersetzungen wurde Mitte Juni bekannt, dass die Union das Vorhaben nicht mehr mitträgt. Ausschlaggebend soll vor allem der vorgesehene Umgang mit internen Untersuchungen gewesen sein. Neben der obligatorisch vorgesehenen Trennung von Untersuchungsführer und Verteidiger des Unternehmens, welche die Untersuchungsergebnisse dem Privileg der Beschlagnahmefreiheit des § 97 StPO entzogen, und damit eher Anreize zur Nicht-Aufklärung geschaffen hätte, stand die mögliche Strafmilderung selbst bei Erfüllung der Mitwirkungspflichten nach dem Wortlaut noch im Ermessen der Staatsanwaltschaft.
Ob und inwieweit es in Deutschland nun noch zu einem vergleichbaren Regelungsregime kommen wird, bleibt vor allem auch aufgrund der anstehenden Bundestagswahlen fraglich.
Deutschland – Bundesrat stimmt Maßnahmen zum Insektenschutz zu – Verbot von glyphosathaltigen Pflanzenschutzmitteln
Der Bundesrat hat am 25. Juni 2021 der Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung als Teil des Aktionsprogramms Insektenschutz der Bundesregierung zugestimmt (BR-Drs. 305/21). Nach zwei formalen Änderungen kann die Verordnung nun sofort verkündet werden und am nächsten Tag in Kraft treten.
Zum besseren Schutz der Artenvielfalt bei Insekten wird der Einsatz von Glyphosat im Ackerbau und auf Grünland auf Fälle beschränkt, in denen es keine alternativen Möglichkeiten gibt – beispielsweise bei schwer zu bekämpfenden Unkräutern oder auf erosionsgefährdeten Flächen. Ein Anwendungsverbot gibt es auf Flächen, die der Allgemeinheit dienen sowie im Haus- und Kleingartenbereich.
Nach Auslaufen der EU-Wirkstoffgenehmigung Ende 2022 und einer anschließenden einjährigen Abverkaufs- und Aufbrauchfrist dürfen dann ab 2024 keine nationalen Zulassungen für glyphosathaltige Pflanzenschutzmittel mehr erteilt und diese Mittel auch nicht mehr angewendet werden.
Geändert werden muss u. a. noch, dass künftig über das neue Bundesrecht hinausgehendes Landesrecht weiter gelten soll. Damit soll verhindert werden, dass in den Ländern bereits getroffene Vereinbarungen zwischen Naturschutz und Landwirtschaft hinfällig werden.
In einer begleitenden Entschließung weist der Bundesrat auf weiteren Handlungsbedarf hin und bittet die Bundesregierung, in Abstimmung mit den Ländern zusätzliche Vorschläge zu Schutz und Stärkung der Artenvielfalt zu erarbeiten – u. a. durch weitere Reduktion des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln.
Der Beschluss ist hier einsehbar: https://www.bundesrat.de/SharedDocs/drucksachen/2021/0301-0400/305-21(B).pdf?__blob=publicationFile&v=1; die Verordnung hier: https://www.bundesrat.de/SharedDocs/drucksachen/2021/0301-0400/305-21.pdf?__blob=publicationFile&v=1.
Europa – Vorschlag für eine Verordnung über die allgemeine Produktsicherheit vorgelegt
Die Überarbeitung der Richtlinie 2001/95/EG über die allgemeine Produktsicherheit (RaPS) zur Verbesserung der Sicherheit der in der EU in Verkehr befindlichen Produkte nimmt Gestalt an. Am 30. Juni 2021 veröffentlichte die EU-Kommission in Form des „Entwurfs für eine Verordnung über die allgemeine Produktsicherheit“ (General Product Safety Regulation, GPSR), die den derzeitigen EU-Rechtsrahmen für die Produktsicherheit aufheben und reformieren soll, einen ersten konkreten Vorschlag. Dieser beinhaltet grundlegende Überarbeitungen des bestehenden EU-Rechtsrahmens für Produktsicherheit.
Unter anderem gibt es Änderungen beim Anwendungsbereich: So werden zentrale Begriffe wie der des „Wirtschaftsakteurs“ und des „Produkts“ ausgeweitet und spezifische Pflichten von Online-Marktplätzen geregelt. Weiterhin gibt es neue Verfahrensvorschriften und Rechtsbehelfe für Verbraucher: Bei Beschwerden über die Sicherheit der Produkte müssen Hersteller diese entgegennehmen und untersuchen sowie interne Prozesse für die Produktsicherheit vorhalten. Ferner soll es ein allgemeines „Recht auf Abhilfe“ für den Verbraucher im Falle eines Produktrückrufs geben. Auch strengere Meldepflichten bei Unfällen mit Produkten sind vorgesehen, zudem ein Recht auf Eingreifen durch die Kommission selbst sowie ein Schiedsmechanismus und Sanktionsfestlegungen durch die Mitgliedstaaten bei Verstößen gegen die Verordnung.
Während des nun folgenden Gesetzgebungsverfahren muss der GPSR-Entwurf nun insbesondere noch dem Europäischen Parlament und dem Rat vorgelegt und von diesen genehmigt werden. (Siehe hierzu Laschet, Alter Wein in neuen Schläuchen oder eine echte Reform? Die Neufassung des Produktsicherheits- und Marktüberwachungsrechts, PHi 2021, 110 ff.)
International – Formale Absichtserklärung zur Beschränkung von per- und polyfluorirten Stoffen veröffentlicht
Am 15. Juli 2021 haben die nationalen Behörden Deutschlands, der Niederlande, Norwegens, Schwedens und Dänemarks formal ihre Absicht erklärt, bis zum 15. Juli 2022 einen Beschränkungsvorschlag zu per- und polyfluorierten Stoffen (PFAS) bei der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) einzureichen. Die Erklärung wurde – zusammen mit Kurzzusammenfassungen der bisher zusammengetragenen Informationen und einem Fragebogen, um die aktuelle Marktsituation möglichst gut abzubilden und verbleibende Datenlücken zu schließen, – auf der Internetseite der ECHA veröffentlicht.
PFAS sind eine große Familie künstlich hergestellter Chemikalien, die z. B. in Textilien, Elektronikgeräten, Lebensmittelkontaktmaterialien, Medizinprodukten, usw. enthalten sind. Der geplante Beschränkungsvorschlag wird Herstellung, Inverkehrbringen und Verwendung abdecken. Ausnahmen (mit Bedingungen) für bestimmte Verwendungen sind unter bestimmten Umständen möglich, z. B. wenn die Interessenvertreter nachweisen können, dass die Emissionen über den gesamten Lebenszyklus durch geeignete Maßnahmen minimiert werden und dass die weitere Verwendung von PFAS in der jeweiligen Anwendung für die Gesellschaft wichtig ist.
Mit dem Fragebogen angesprochen sind vor allem von der Beschränkung betroffene Industrieverbände und Unternehmen, aber auch Unternehmen, die Alternativen zu PFAS herstellen oder Kenntnisse darüber haben.
Ausgabe von Mai 2021
Deutschland – Corporate Social Responsibility: Das Lieferkettengesetz kommt
Am 3. März 2021 wurde der Entwurf eines Lieferkettengesetzes beschlossen, Drs. 19/28649 v. 19. April 2021. Dieser entspricht im Wesentlichen dem informellen Referentenentwurf aus dem Jahr 2020 (s. hierzu Bomsdorf, PHi 2020, 192 ff.). Nach seinem Inkrafttreten am 1. Januar 2023 soll das neue Lieferkettengesetz in Deutschland ansässige Unternehmen mit mehr als 3.000 Mitarbeitern, ab dem Jahr 2024 solche mit mehr als 1.000 Mitarbeitern erfassen (konzernweite Betrachtung).
Mit dem Gesetz werden – abgestuft nach Einflussmöglichkeit der Unternehmen auf den Verletzungsverursacher sowie die unterschiedlichen Stufen der Lieferkette – zahlreiche menschenrechts- und umweltbezogene Sorgfaltspflichten für Unternehmen in Bezug auf ihre Lieferketten festgelegt. „Lieferkette“ i. S. des Gesetzes umfasst danach alle Produkte und Dienstleistungen eines Unternehmens sowie alle Schritte im In- und Ausland, die zur Herstellung der Produkte und zur Erbringung der Dienstleistungen erforderlich sind. Zu den Sorgfaltspflichten gehören u. a.: Einrichtung eines Risikomanagements mit regelmäßigen Analysen (§ 4 f. RegE), die Verabschiedung einer Grundsatzerklärung über die Menschenrechtsstrategie (§ 6 Abs. 2 RegE) sowie Präventions- (§ 6 RegE) und ggf. Abhilfemaßnahmen (§ 7 RegE), Einrichtung eines Beschwerdeverfahrens (§ 8 RegE), Sorgfaltspflichten gegenüber mittelbaren Zulieferern (§ 9 RegE) sowie Dokumentations- und Berichterstattungspflichten (§ 10 RegE).
Der Referentenentwurf wurde geändert und ergänzt, insbesondere:
- Neugliederung und -fassung des „menschenrechtlichen Risikos“, § 2 Abs. 2 RegE;
- Benennung von Kriterien für die Angemessenheit des Handelns, um die Sorgfaltspflichten zu erfüllen, § 3 Abs. 2 RegE;
- Begrenzung der Geldbuße für Verstöße auf max. 2 % des Umsatzes des Unternehmens bei juristischen Personen oder Personenvereinigungen (wirtschaftliche Einheit) von mehr als EUR 400 Mio. Jahresumsatz, § 24 Abs. 2, 3 RegE.
Die Verabschiedung durch den Bundestag ist noch vor der Sommerpause vorgesehen.
Deutschland – Bundeskabinett beschließt Änderungsanträge zum Finanzmarktintegritätsstärkungesetz
Das Bundeskabinett hat die Änderungsanträge zum Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Finanzmarktintegrität (Finanzmarktintegritätsstärkungsgesetz – FISG) beschlossen, Drs. 19/26966 vom 24. Februar 2021. Die relevanten Änderungen betreffen besonders die künftigen Aufgaben, Struktur und Organisation der BaFin und sehen u. a. folgende Neuerungen vor:
- Die BaFin soll gesetzlich ermächtigt werden, als Maßnahme zur Sicherung kollektiver Verbraucherinteressen auch verdeckte Testkäufe (sog. Mystery Shopping) bei Finanzdienstleistern durchzuführen (Art. 4 Nr. 1a zu § 4 Abs. 1a Finanzdienstleistungsaufsichtsgesetz, FinDAG).
- Die Organisation der BaFin soll flexibilisiert werden, um Anpassungen auf neue Marktgegebenheiten zu erleichtern. Die bisherige gesetzliche Einteilung der BaFin in die fünf Geschäftsbereiche Innere Verwaltung und Recht, Bankenaufsicht, Versicherungs- und Pensionsfondsaufsicht, Wertpapieraufsicht/Asset-Management sowie Abwicklung wird aufgehoben (Art. 4 Abs. 1 Nr. 1c lit b zur Streichung von § 6 Abs. 4 FinDAG).
Das Gesetz soll in den kommenden zwei Monaten abschließend im Bundestag behandelt werden und voraussichtlich am 1. Juli 2021 in Kraft treten. Aufgrund des politischen Handlungsdrucks im Fall Wirecard ist nunmehr davon auszugehen, dass die wesentlichen Inhalte des Gesetzesvorschlags beibehalten und Anpassungen nur punktuell erfolgen werden.
EU/Belgien – NGO erhebt Klage gegen Zentralbank wegen angeblicher Klimaversäumnisse
Im weltweit ersten gegen eine Zentralbank wegen angeblicher Klimaversäumnisse angestrengten Fall hat die Nichtregierungsorganisation ClientEarth die Belgische Nationalbank (BNB) verklagt, weil die Bank bei der Umsetzung des von der Europäischen Zentralbank (EZB) aufgelegten Programms zum Ankauf von Unternehmensanleihen und dem in dessen Rahmen getätigten Kauf von Vermögenswerten gegen Umwelt- und Menschenrechtsgesetze verstoßen habe.
Die Käufe der BNB lenkten effektiv Kapital in Sektoren, die die Klimakrise anheizen, da mehr als die Hälfte der im Rahmen des Programms angekauften Anlagen von treibhausgasintensiven Branchen emittiert würden – so die Kläger.
ClientEarth fordert die belgischen Gerichte auf, dem Europäischen Gerichtshof die Frage vorzulegen, ob die Entscheidung der EZB, das Kaufprogramm im Jahr 2016 einzurichten, gültig war, obwohl dies gegen internationale Verpflichtungen wie die Berücksichtigung der Erfordernisse des Umweltschutzes und die Achtung der Grundsätze der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verstoße. Deshalb soll der BNB auch untersagt werden, Käufe im Rahmen des Programms vorzunehmen. Gleichzeitig wurde die EZB gebeten, die laufende Überprüfung ihrer geldpolitischen Strategie zu nutzen, um das Ankaufprogramm mit den Zielen des Pariser Abkommens in Einklang zu bringen, indem Unternehmen ausgeschlossen werden, deren Aktivitäten eindeutig nicht mit dem Erreichen der Ziele des Pariser Abkommens vereinbar oder mit einem hohen Übergangsrisiko verbunden sind und den Kauf von Anleihen von kohlenstoffintensiven Unternehmen einzustellen oder einzuschränken, wenn diese keine glaubwürdige, am Pariser Abkommen ausgerichtete Strategie zur Erreichung von Netto-Null-Emissionen bis Januar 2023 verfolgen und die geldpolitischen Portfolios und Aktivitäten mit den Pariser Zielen in Einklang bringen.
Mit einem Urteil in der Sache sind potenziell große Auswirkungen auf die Finanzmärkte verbunden, wenn die EZB ihre Wertpapierkäufe auf diejenigen Sektoren oder Unternehmen beschränken müsste, die bestimmte Kriterien erfüllen.
UK/Schottland – Erstinstanzliche Entscheidung im Fall Hastings v. Finsbury Orthopaedics Ltd. und Stryker UK Ltd. bestätigt
Am 26. Januar 2021 hat das Inner House of the Court of Session in Schottland (Berufungsinstanz beim obersten schottischen Zivilgericht) in der Berufungssache Hastings gegen Finsbury Orthopaedics Ltd. und Stryker UK Ltd. die erstinstanzliche Entscheidung ([2019] CSOH 96) zugunsten der beklagten Hersteller bestätigt. Das Urteil hat Auswirkungen auf die Versicherer im Vereinigten Königreich.
Der Kläger hatte behauptet, dass die Metall-auf-Metall-Hüftprothesen, die ihm implantiert worden waren, fehlerhaft seien. In der Berufung ging es u. a. um die Qualität der Beweise, auf die sich der Kläger berief; um die Frage, ob der Richter in der ersten Instanz den Verbraucherrechten angemessenes Gewicht beigemessen hatte und darum, ob den Ansätzen der maßgeblichen englischen Urteile zum Produkthaftungsrecht (Wilkes v. DePuy International Ltd. ([2016] EWHC 3096 (QB) und Gee et al. v. DePuy International Ltd. ([2018] EWHC 1208) gefolgt werden solle. Bei der Entscheidung, ob die Produkte den relevanten Sicherheitsstandard nach dem Consumer Protection Act 1987 erfüllten, bestätigte die Kammer, dass das richtige Vorgehen darin besteht zu beurteilen, ob das fragliche Produkt eine schlechtere Sicherheitsbilanz aufweist als andere vergleichbare Produkte. Letztlich waren ihr – wie dem englischen Gericht in Gee – trotz des für den Kläger streitenden Anscheinsbeweises – die vom Kläger vorgelegten Beweise nicht stichhaltig genug. Damit setzte sich der allgemeine Trend der jüngsten Produkthaftungsentscheidungen zugunsten der Hersteller von Medizinprodukten fort.
Ausgabe von März 2021
Deutschland/Frankreich – Französisches Berufungsgericht verurteilt TÜV Rheinland im Verfahren um minderwertige Brustimplantate
Im Fall um Silikon-Brustimplantate des mittlerweile insolventen Herstellers Poly Implant Prothèse (PIP) hat ein französisches Berufungsgericht in Aix-en-Provence den TÜV Rheinland Mitte Februar 2021 zur Zahlung von Schadensersatz in Millionenhöhe verurteilt und damit als erstes Gericht eine Haftung des TÜVs in dieser Sache angenommen. Das Gericht sah es, wie die Vorinstanzen, als erwiesen an, dass der TÜV bei der Zertifizierung des Qualitätssicherungsverfahrens des Implantatherstellers seine Prüfpflichten verletzt hat. Der TÜV selbst sieht sich als Opfer einer Täuschung des Herstellers und kündigte angesichts einer anderslautenden Entscheidung eines Berufungsgerichts in Versailles von Mitte Januar 2021 an, die Berufung beim Kassationshof zu prüfen.
Die Implantate sind Schätzungen zufolge weltweit zwischen 40.000 und 100.000 Frauen eingesetzt worden, darunter auch Frauen aus Deutschland.
Nach Ansicht des Berufungsgerichts verpflichte die europäische Verordnung über Medizinprodukte den TÜV Rheinland, auch die Herkunft der zur Produktion verwendeten Materialien zu überprüfen. Dabei wäre die Diskrepanz zwischen der Menge des vom einzigen zugelassenen Lieferanten bezogenen Gels und der Anzahl hergestellter Brustprothesen aufgefallen. Der TÜV ist hingegen der Ansicht, er sei nicht für die Zertifizierung der Produkte, sondern nur für die der Abläufe im Unternehmen zuständig gewesen und habe stets pflichtgemäß im Einklang mit allen Vorschriften geprüft. Die Vorgänge seien von PIP planmäßig verschleiert worden.
Das Verfahren in Aix-en-Provence ist das größte von mehreren gegen den TÜV Rheinland in Frankreich anhängigen. In einem anderen hatte das Berufungsgericht von Versailles eine Haftung des TÜV zuletzt verneint. In einem dritten Verfahren wird im Mai eine Entscheidung erwartet. Auch in Toulon läuft noch ein Verfahren, in dem im Sommer ein Urteil fallen soll.
In Deutschland hatte der Bundesgerichtshof (BGH) bereits 2015 dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) die Frage vorgelegt, ob der TÜV Rheinland generell für die fehlerhaften Silikonimplantate haften könne. Dies bejahte der EuGH im Grundsatz1 auch gegenüber Patienten, sofern Hinweise darauf vorgelegen hätten, dass die Produkte fehlerhaft gewesen seien. In der Schadensersatzklage, die Anlass für die Vorlage war, entschied der BGH im Jahr 2017, dass keine Pflichtverletzung des TÜV vorgelegen habe.2 In einer Revision der AOK Bayern gegen den TÜV wurde später zwar grundsätzlich eine deliktische Haftung der Prüfer für die Verletzung von Kontrollpflichten nicht ausgeschlossen, eine vertragliche Haftung jedoch verneint.3 Dort muss nun das Oberlandesgericht Nürnberg über die deliktischen Haftungstatbestände entscheiden. Einer Haftung des deutschen Versicherers des Herstellers PIP für die von Patientinnen erlittenen Schäden hatte der EuGH im Jahr 2020 eine Absage erteilt.4
Österreich – OGH: Müsliriegel dürfen Kern- und Schalenteile enthalten
Der österreichische Oberste Gerichtshof (OGH) hat in einem Beschluss vom 4. November 2020 die Revision gegen ein produkthaftungsrechtliches Urteil des Handelsgerichts Wien5 zurückgewiesen und dem Kläger die Kosten für die Revisionsbeantwortung auferlegt.6
Das Verfahren in den Vorinstanzen hatte sich um die Frage gedreht, ob ein Müsliprodukt, bei dessen Verzehr kleine Teile von noch vorhandenen Mandelschalen die Zähne des Klägers beschädigt hatten, fehlerhaft i. S. von § 5 des österreichischen Produkthaftungsgesetzes (PHG) sei.
Grundvoraussetzung für die Fehlerhaftigkeit ist nach der Vorschrift die Enttäuschung einer „berechtigten Sicherheitserwartung“. Was diese umfasst, bestimmt sich nach der Rechtsprechung anhand eines objektiven Maßstabs, dessen Konkretisierung im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände vorzunehmen ist.7
Diesbezüglich schloss sich der OGH der Beurteilung der Vorinstanzen an. Es entspreche der allgemeinen Lebenserfahrung des Konsumenten, dass in Müsliprodukten, denen eine gewisse Kernigkeit und Stückigkeit immanent sei, Kern- und Schalenteile enthalten sein könnten, weil nicht völlig auszuschließen ist, dass beim Schälen von Nüssen oder Mandeln Teile der Schalen am geschälten Teil zurückbleiben. Eine Warnpflicht hinsichtlich der Gefahr durch im Produkt möglicherweise enthaltene sehr kleine Teile von Mandelschalen, die geeignet sind, wie im streitgegenständlichen Fall geschehen, die Zähne der Konsumenten zu beschädigen, bestehe damit nicht.
Die Konkretisierung der berechtigen Sicherheitserwartung durch die Vorinstanzen stelle damit keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung dar und begründe auch die Verneinung der Warnpflicht und damit keine nach § 502 Abs. 1 österreichische Zivilprozessordnung (ZPO) für eine ordentliche Revision erforderliche erhebliche Rechtsfrage.
Ukraine – D&O Versicherungen in der Ukraine eingeführt
Am 20. Januar 2021 hat das ukrainische Ministerkabinett CMU die Resolution Nr. 28 „Über die Änderung des Verfahrens zur freiwilligen Haftpflichtversicherung von Managern und Aufsichtsratsmitgliedern staatlicher Einheitsunternehmen und Gesellschaften, an deren Stammkapital mehr als 50 % der Anteile (Beteiligungen) im Staatsbesitz sind“ verabschiedet.
Diese führt folgenden Regeln ein:
- Aufhebung der Beschränkungen für den Höchstbetrag der Kosten von Versicherungsprämien aus Versicherungsverträgen für Manager und Mitglieder des Aufsichtsrats, die zuvor durch das CMU festgelegt wurden.
- Erfordernis, dass die maximale Höhe der Ausgaben für Versicherungsprämien aus dem Versicherungsvertrag den im Finanzplan der jeweiligen Gesellschaft oder im Budget der Bank festgelegten Ausgaben für Versicherungen entsprechen muss.
- Aufsichtsratsmitglieder, deren Haftung versichert werden soll, werden nicht länger vom Staat bestimmt.
USA – McKinsey stimmt Vergleich in Höhe von USD 573 Mio. wegen seiner Rolle in Opioidkrise zu
Zur Abwehr zivilrechtlicher Klagen in verschiedenen US-amerikanischen Bundesstaaten hat McKinsey im Februar 2021 einem Vergleich über USD 573 Mio. zugestimmt. Damit sollen Klagen gegen den Vorwurf, die Opioidkrise in den USA geschürt zu haben, beigelegt werden. Zudem sollen zwei Mitarbeiter des Unternehmens entlassen werden, die im Rahmen der Untersuchungen eine Löschung von Dokumenten in Betracht gezogen hätten.
Geklagt hatten mehr als 40 US-Bundesstaaten wegen McKinseys Beratung des Schmerzmittelherstellers Purdue Pharma, durch die der Hersteller viele Jahre lang bei der Verkaufssteigerung des süchtig machenden Schmerzmittels Oxycontin unterstützt wurde. McKinsey wurde vorgeworfen, die Suchtgefahr des Opioids gezielt zu verharmlosen bzw. eine Verharmlosung zu unterstützen. Das Unternehmen habe an Strategien gearbeitet, den Oxycontin-Verkauf anzukurbeln, indem es Purdue beriet, die Zahl der Verkaufsanrufe bei Ärzten zu erhöhen, die als großzügige Verschreiber bekannt waren, und Beschränkungen für höhere Dosierungen, die die Behörden auferlegen wollten, zu unterlaufen. Damit habe McKinsey dazu beigetragen, die Opioid-Krise zu verschärfen. McKinsey habe diese Baratung nicht allein auf Purdue Pharma beschränkt, sondern auch anderen Unternehmen dieses Vorgehen empfohlen und damit hohe Gewinne erzielt.
47 Bundesstaaten, fünf Territorien und der District of Columbia haben sich dem Vergleich angeschlossen. Das daraus stammende Geld soll für die Finanzierung von Drogenbehandlungen und anderen Maßnahmen zur Bekämpfung der Opioidkrise verwendet werden. Separate Vereinbarungen mit zwei weiteren Staaten erhöhen die in dieser Angelegenheit von McKinsey gezahlte Gesamtsumme auf insgesamt fast USD 600 Mio.
McKinsey hatte sich während der Vergleichsverhandlungen zwar darauf berufen, dass seine Arbeit rechtlich nicht zu beanstanden gewesen sei. Die Unternehmensleitung räumte jedoch ein, McKinsey habe die schrecklichen Auswirkungen des Opioidmissbrauchs „nicht angemessen anerkannt“.
Auch Purdue Pharma, das im Zentrum der US-amerikanischen Opioidkrise stehende Unternehmen, hatte bereits im Oktober 2020 die Förderung der Lieferung von Medikamenten „ohne legitimen medizinischen Zweck" und Zahlung von Schmiergeldern an Ärzte und andere Personen für die Verschreibung der Medikamente zugegeben und sich zur Zahlung von USD 8,3 Mrd. bereit erklärt. Aufgrund seiner Insolvenz ist aber unklar, wie viel davon tatsächlich ausgezahlt wird.
Nach Schätzungen sind vier von fünf Heroin-Konsumenten in den USA durch ärztlich verschriebene Schmerzmittel süchtig geworden. Seit 1999 sind vermutlich mehr als 450.000 Menschen an den Folgen einer Opioidüberdosis gestorben. Der nun geschlossene Vergleich ist der neuste von mehr als 3.000 damit in Zusammenhang stehenden gegen Medikamentenhersteller und andere ins Opioidgeschäft involvierte Unternehmen.8
Vereinigtes Königreich – Sammelklagentourismus vor englischen Gerichten
In den letzten Jahren hat es vor englischen Gerichten eine Reihe hochkarätiger Berufungsverfahren in Fällen von sog. Sammelklagentourismus gegeben. Ausländische Kläger erheben dabei vor den englischen Gerichten Sammelklagen gegen ein in England ansässiges Unternehmen eines multinationalen Konzerns und berufen sich auf angebliches Fehlverhalten einer ausländischer Tochtergesellschaft. Die Zuständigkeit der englischen Gerichte versuchen die Kläger damit zu begründen, dass sie eine Sorgfaltspflichtverletzung seitens des in Großbritannien ansässigen Hauptbeklagten behaupten und die ausländische Tochtergesellschaft sodann als notwendige oder richtige Partei in diese Klage einbeziehen.
In einem solchen Fall (Okpabi v. Royal Dutch Shell), in dem der Supreme Court im Juni 2020 die Berufung verhandelt hat, wird nun bald ein Urteil erwartet. Man hofft, dass es Klarheit und Orientierung zu den Umständen liefern wird, unter denen eine solche direkte Sorgfaltspflicht des in England ansässigen verklagten Unternehmens für Handlungen ausländischer Tochtergesellschaften gegeben ist.
In der Zwischenzeit haben zwei Entscheidungen des High Court dazu beigetragen, den Möglichkeiten, solche Ansprüche vor englischen Gerichten zu verfolgen, Grenzen zu setzen. Eine Entscheidung vom August 2020 deutet darauf hin, dass Fälle von Sammelklagentourismus im Allgemeinen nicht mit dem „Opt-out“-Verfahren für Stellvertreterklagen gem. 19.6 der Zivilprozessordnung (CPR) durchgeführt werden können. Der zweite Fall vom November 2020, zeigt, dass solche Klagen wegen Rechtsmissbräuchlichkeit nicht ohne Weiteres zugelassen werden, wenn es im Ausland eine parallele Klage gibt, die dieselben Fragen behandelt und viele der Kläger einbezieht, die die gleiche Entschädigung für die gleichen angeblichen Schäden fordern.
Endnoten
- EuGH, Urt. v. 16.2.2017, Az. C-219/15.
- BGH, Urt. v. 22.6.2017, Az. VII ZR 36/14.
- BGH, Urt. v. 27.2.2020, Az. VII ZR 151/18.
- EuGH, Urt. v. 11.6.2020, Az. C-581/18; vgl. dazu bereits PHi Newsletter Juli 2020.
- HG Wien, Urt. v. 2.3.2020, Az. GZ 1 R 210/19g-55 (Vorinstanz: Bezirksgericht Wien, Urt. v. 16.5.2019, Az. GZ 7 C 445/17t-51).
- OGH, Beschl. v. 4.11.2020, Az. 3 Ob 107/20m, ECLI:AT:OGH0002:2020:0030OB00107.20M.1104.000.
- Vgl. OGH, Beschl. v. 8.4.2014, Az. 3 Ob 8/14v m. w. N.; RIS-Justiz RS0107605.
- Vgl. auch PHi 2020, 92, Staat New York verklagt Mallinckrodt wegen Betrugs.
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