Verfolgt man die Pressemitteilungen in den letzten Monaten und Jahren, wird deutlich, dass die Anzahl an Protesten und inneren Unruhen weltweit zugenommen haben,1 selbst in vermeintlich stabilen Ländern wie den USA oder Europa.
Besonders im Gedächtnis sind die sog. Gelbwesten-Proteste in verschiedenen französischen Städten im Jahr 2019, die Tumulte in einigen südamerikanischen Ländern, der Türkei und in Hongkong sowie die im Mai/Juni 2020 zu beobachtenden Proteste in den USA geblieben. Auch in Deutschland laufen Versammlungen und Demonstrationen nicht immer gewaltfrei ab und enden in Tumulten, Sachbeschädigungen und Plünderungen, wie die jüngsten Ausschreitungen in Stuttgart und Frankfurt im Juni/Juli 2020 gezeigt haben. Nicht selten geraten zunächst friedliche Versammlungen, Proteste oder Demonstrationen außer Kontrolle. Dies kann erhebliche Schäden für Versicherer bis hin zu Millionenschäden verursachen, da es entsprechende Deckungskonzepte gegen derartige Schäden gibt.
Die Wahrscheinlichkeit für den Eintritt politisch motivierter Sachschäden hat sich augenscheinlich vergrößert; sicherlich auch begünstigt durch Social Media, das dem Einzelnen ermöglicht, weltweit zu politischen Aktionen und Protesten aufzurufen (z. B. in Hongkong und den USA). Aber auch die zunehmenden sozialen Verwerfungen in den Gesellschaften einzelner Länder tragen dazu bei, dass die Schere zwischen Arm und Reich zunehmend aufgeht.
Die Auslöser für politisch motivierte Taten und Schäden sind sehr vielfältig und hängen von einer Vielzahl verschiedener Faktoren ab. Neben Art und Ort eines versicherten Betriebs spielen insbesondere Themen wie Umweltschutz (beispielsweise durch Produktionsprozesse verursachte Umweltverschmutzung, Veränderung der Landschaft oder der Verlust von Lebensraum) sowie wirtschaftliche, soziale und politische Umstände, z. B. Korruption, soziale Unruhen, Unterdrückung der Bevölkerung und veränderte finanzielle Rahmenbedingungen, eine einschneidende Rolle.
Als Ergebnis sind zunehmend Nachfragen nach entsprechenden Versicherungsprodukten für politisch motivierte Schadenereignisse festzustellen, sowohl für industrielle als auch gewerbliche Risiken. Klassische Sach- und Betriebsunterbrechungsversicherungen in vielen globalen Märkten decken Schäden durch politisch motivierte Aktionen nicht ab; lediglich die Folgen von inneren Unruhen, Streik oder Aussperrungen können teilweise mitversichert werden.
Für darüber hinausgehende Gefahren bestehen in verschiedenen Märkten spezielle Deckungsmöglichkeiten.
Dieser Artikel beleuchtet neben einer kurzen Schadenübersicht sowie einer Beschreibung der derzeit möglichen Deckungen am Beispiel Deutschland und den USA die verschiedenen Formen politisch motivierter Schadenereignisse. Zusätzlich sollen Ansätze für vorbeugende Maßnahmen zur Schadenreduzierung sowie bespielhafte Überlegungen zu einem Exposure-orientierten Underwriting gegeben werden. Die Versicherung politischer Risiken im Rahmen der Transportversicherung ist dabei nicht Gegenstand dieses Artikels.
Schadenübersicht
Genaue Zahlen über verursachte Sachschäden sind nur schwer zu bekommen. Wie mein Kollege Tim Fletcher in seinem Blog über die jüngsten Ereignisse in den USA hervorhebt, waren bis zu diesem Jahr die Unruhen in Los Angeles 1992 und 1965 die kostspieligsten Ereignisse, die nach heutigem Stand einen Schaden von USD 1.400 Mio. bzw. ca. USD 358 Mio. verursachten.
Die Gelbwesten-Proteste in Frankreich wegen der Steuererhöhung auf fossile Brennstoffe,2 die viele Monate andauerten (November 2019 bis März 2020), verursachten einen wirtschaftlichen Schaden von geschätzten USD 4,43 Mrd. und einen geschätzten versicherten Schaden von USD 220 Mio.
In Chile wurden die Schäden, die in der Folge von Unruhen wegen Fahrpreiserhöhungen im öffentlichen Nahverkehr (Oktober bis November 2019) entstanden, allein aufgrund der Zerstörung einiger Haltestellen auf ca. USD 370 Mio. geschätzt. Der gesamte wirtschaftliche Schaden dieser Unruhen wurde auf über USD 4 Mrd. geschätzt,3 u. a. verursacht durch großflächige Plünderungen von Supermärkten. Allein eine Supermarktkette erlitt dadurch einen Schaden von ca. USD 500 Mio.1 Weitere Ereignisse waren die Anti-Regierungsdemonstrationen in Kolumbien im November/Dezember 20195 und in Ecuador im Oktober 2019.
Weltweit ist in den letzten Jahren eine zunehmende Anzahl von politisch motivierten Ereignissen festzustellen. So listet Verisk6 in seiner Datenbank zurzeit 47 Staaten, in denen eine deutliche Zunahme politisch motivierter Taten7 zu verzeichnen ist, darunter Chile, Hongkong, Frankreich, Libanon, Nigeria, Sudan, Haiti, Chile, Ecuador und Venezuela. Diese Konflikte stellen für die Wirtschaft eine wachsende Bedrohung dar, zumal sich Absatzmärkte und Produktionsstandorte heutzutage oft auf mehrere Kontinente verteilen. Dabei durchziehen Lieferketten teilweise Regionen, die politisch sehr instabil sind.
Formen politisch motivierter Schadenereignisse
Politisch motivierte Schadenereignisse sind vielfältig. Das Spektrum reicht von terroristischen Akten über Sabotageakte, Unruhen, Streiks, innere Unruhen, Staatsstreiche, Revolutionen, Rebellionen, Enteignungen, Verstaatlichungen, Kriege, Bürgerkriege oder Aufstände. Teilweise ist es schwierig, ein Ereignis diesen verschiedenen Formen zuzuordnen, da die Situationen nicht immer klar sind, die Formen ineinander übergehen und eine zunächst friedliche Demonstration in inneren Unruhen und Aufruhr enden kann.
Es gibt folgende Formen politisch motivierter Ereignisse:
- Böswillige Beschädigung: physischer Verlust/Beschädigung als Folge einer böswilligen politischen Handlung, die während einer öffentlichen Unruhe begangen wurde
- Aufstand, Revolution und Rebellion: bewusster, organisierter bewaffneter Bürgerwiderstand gegen die Gesetze einer souveränen Regierung
- Staatsstreich, Meuterei: plötzlicher, gewaltsamer und illegaler Sturz einer souveränen Regierung; Widerstand von Angehörigen legal bewaffneter oder friedenserhaltender Streitkräfte gegen einen vorgesetzten Offizier
- Krieg, Bürgerkrieg: Konflikt zwischen zwei oder mehreren souveränen Nationen, erklärt oder nicht erklärt; ein Krieg, der zwischen gegnerischen Bürgern desselben Landes oder derselben Nation geführt wird
- Streiks: jede vorsätzliche Handlung eines Streikenden/ausgeschlossenen Arbeitnehmers während eines Streiks; jede Handlung einer rechtmäßigen Behörde zur Unterdrückung oder Minimierung der Folgen des Streiks
- Unruhen, bürgerliche Unruhen: jede politische Handlung, die im Zuge einer Störung des öffentlichen Friedens durch eine Gruppe von Personen begangen wird; jede Handlung einer rechtmäßigen Behörde zur Unterdrückung oder Verharmlosung eines Aufruhrs
- Terroristischer Akt: eine Handlung oder eine Reihe von Handlungen, einschließlich der Anwendung von Gewalt oder Gewalttätigkeit, durch eine Person oder Personengruppe(n), unabhängig davon, ob sie allein oder im Namen einer Organisation für politische, religiöse oder ideologische Zwecke handelt
- Sabotage: jede vorsätzliche physische Beschädigung oder Zerstörung, die aus politischen Gründen von bekannten oder unbekannten Personen verübt wird
Umstritten ist, inwieweit diese vorstehenden Begriffe in den einzelnen Rechtsordnungen als fest definierte Begriffe angesehen werden. In der Regel ist es aufgrund der Vielzahl unterschiedlicher Urteile schwierig, im Vorfeld festzustellen, wie ein entsprechendes Ereignis zu werten ist, z. B. als gewalttätige Demonstration oder als innere Unruhe. Da dieses Thema zunächst einer juristischen Klärung bedarf, wird es hier nicht weiter diskutiert.
Versicherung innerer Unruhen am Beispiel von Deutschland und den USA
Nicht immer sind politisch motivierte Schadenereignisse und daraus resultierende Sachschäden versichert. In vielen Ländern gehören sie aber zum normalen Deckungsumfang einer Sachversicherungspolice. In den USA sind durch o. g. Vorkommnisse verursachte Schäden, z. B. durch Feuer, herabfallende Gegenstände, Vandalismus oder Aufruhr, gedeckt. Ähnliches gilt für die Hauseigentümerversicherung. Dort sind Schäden am Eigentum der Hausbesitzer durch Feuer, Explosion, Aufruhr, Vandalismus oder böswillige Beschädigung versichert. Ist das Haus nicht mehr bewohnbar, können auch die dadurch verursachten zusätzlichen Kosten, z. B. für eine Hotelunterbringung oder Restaurantverpflegung, geltend gemacht werden.
Erleidet ein Unternehmen einen physischen Sachschaden an seinen Gebäuden und Anlagen durch Feuer, Aufruhr, Unruhen oder Vandalismus , sind diese Schäden in den USA im Rahmen der Geschäftsinhaberpolice (engl. Abkürzung BOP – Business Owner Policy) gedeckt. Auch eine entsprechende Betriebsunterbrechung als Folge eines Sachschadens und daraus resultierende Einnahmeverluste sind in der Regel gedeckt. Sollte der Zugang zu einem bestimmten Gebiet durch behördliche Anordnung und damit der Zugang zu einem Unternehmen gesperrt werden, können daraus resultierende Einnahmeverluste ebenfalls mitversichert werden.
Im Gegensatz zu den USA gelten Schäden durch innere Unruhen in Deutschland als schwer kalkulierbares Risiko und sind daher in den meisten Sachversicherungen bedingungsseitig ausgeschlossen. Sie können aber nach den geltenden ECB (Extended-Coverage-Bedingungen, Version 2008) eingeschlossen werden, wenn versicherte Sachen unmittelbar durch Gewalthandlungen im Zusammenhang mit inneren Unruhen zerstört oder beschädigt werden oder abhandenkommen. Dabei ist die Definition, wann innere Unruhen gegeben sind, nicht ganz eindeutig. Nach den Versicherungsbedingungen ist dies der Fall, wenn zahlenmäßig nicht unerhebliche Teile der Bevölkerung in einer die öffentliche Ruhe und Ordnung störenden Weise in Bewegung geraten und Gewalt gegen Personen oder Sachen verüben. Voraussetzung hierbei ist, dass es sich um Menschenansammlungen handelt, die aus der Masse heraus Schäden verursachen. Ist nur eine überschaubare Gruppe unterwegs, die fremdes Eigentum beschädigt, fällt dies in der Regel unter Vandalismus.
Insgesamt ist oft nur juristisch zu klären, welche Form der politisch motivierten Tat vorliegt und inwieweit diese Tat auch als Deckungstatbestand in einem entsprechenden Sachversicherungsvertrag beschrieben ist, um eine Entschädigungszahlung auszulösen. Hierzu sind in verschiedenen Ländern bereits eine Vielzahl von juristischen Entscheidungen ergangen und werden sicherlich auch in Zukunft zu erwarten sein.
Teilweise ist für eine entsprechende Haftung erforderlich, dass der Staat die schadenauslösenden Ereignisse als politisch motiviert erklärt und entsprechend den obigen Begriffsbestimmungen einordnet. In solchen Fällen ist damit meist ein Hinweis gegeben, wer für die Schäden haftet und wie eine mögliche Entschädigungszahlung aussieht. Anderseits sind Fälle bekannt, in denen es Staaten vermeiden, eine Tat als konkretes Ereignis zu deklarieren, um keine entsprechende Leistungsverpflichtungen des Staats auszulösen.8
Der Deckungstatbestand wird daher vielfach von der jeweiligen Einzelsituation des betroffenen Versicherungsnehmers und des zugrunde liegenden Versicherungsvertrags abhängen. Die Unsicherheit hinsichtlich des Deckungsumfangs wird zusätzlich durch die Schwierigkeiten bei der Beweisführung erschwert, die erforderlich ist, um die wahre Ursache oder den wahren Zweck bestimmter Störungen festzustellen.
Versicherungsformen
So zahlreich die politischen Risiken sind, so unterschiedlich sind auch die Versicherungslösungen in den einzelnen Märkten hinsichtlich des Deckungsumfangs. Im Wesentlichen unterscheidet man:
- Die SRCC-Versicherung (Strike, Riot and Civil Commotion) bietet Deckung für Verluste oder Schäden, die unmittelbar durch Streikende, ausgesperrte Arbeiter, die Beteiligung von Personen an Arbeitsunruhen und Unruhen verschiedener Art oder durch einen Aufstand einer großen Zahl von Personen verursacht werden, die durch ihr gemeinsames Handeln Menschen oder Eigentum Schaden zufügen.
- Die Sach-Terrorismus-Versicherung bietet Deckung für Sachschäden und Betriebsunterbrechungen, die sich aus gewalttätigen Handlungen ergeben können, die politisch, religiös oder ideologisch motiviert sind.
- Die Versicherung gegen politische Gewalt (beispielhafte Formen sind Political Violence Insurance (PVI) bzw. Political Risk Insurance (PRI)9) bieten Deckung im Zusammenhang mit Krieg, Bürgerkrieg, Rebellion, Aufstand, Aufruhr, Staatsstreich und anderen bürgerlichen Unruhen, wobei ggf. auch Terrorismus mit eingeschlossen sein kann.
Die Versicherung gegen politische Gewalt beinhaltet damit in der Regel einen sehr weit gefassten Versicherungsschutz und umfasst als Deckungstatbestand viele politische Risiken, die zu entsprechenden Sachschäden und Folgeschäden führen können. Während die übliche Terrordeckung Krieg, militärische Aktionen, Invasion, Rebellion, Bürgerkrieg usw. ausschließt (siehe beispielsweise LMA 3030 Lloyds Sabotage & Terrorism Only Form)10, werden im Rahmen einer Full Political Risk/Violence-Deckung Sachschäden11 aus nahezu allen politisch motivierten Taten gedeckt, einschließlich Rebellion, Staatsstreich, Bürgerkrieg, Terrorismus, Revolution, und Krieg.
Vorbeugende Schutzmaßnahmen
Vorbeugende Maßnahmen gegen politisch motivierte Schäden sind nur schwerlich umzusetzen, da die jeweiligen Schadensituationen in der Regel unerwartet auftreten – auch in vermeintlich politisch stabilen Ländern. Weder der Zeitpunkt noch die Art des Ereignisses oder die zu erwartenden Auswirkungen lassen sich somit vorhersagen. Damit sind im Vorfeld keine validen Vorhersagen für mögliche und wirksame Schutzmaßnahmen zu treffen. Dennoch gibt es einige Möglichkeiten, bei Auftreten eines politisch motivierten Schadenereignisses den Schaden zu begrenzen.
- Zugang zum Risiko
Der Zugang zum Risiko spielt eine nicht unerhebliche Rolle. Ein Unternehmen, dessen Zugang von außen durch eine Zaunanlage geschützt ist, ist weniger gefährdet als ein Unternehmen, das frei zugänglich ist. Ist zusätzlich eine Bewachung gegeben, wird die Wahrscheinlichkeit eines möglichen Übergriffs reduziert. Für Geschäfte und Unternehmen, die an einer Straßenfront liegen und ggf. über großflächige Schaufenster verfügen, hat sich der Schutz der Fenster und Zugänge auf der zugänglichen Straßenseite durch massive Metallrolladen bewährt. - Business Continuity Management (BCM)
Sollte es zu einem Schadenereignis im Unternehmen gekommen sein, z. B. durch Vandalismus und Plünderungen, hat es sich bewährt, auf einen Business Continuity Plan (BCP) zurückgreifen zu können, in dem mögliche Notfall- und Wiederanlaufmaßnahmen beschrieben sind, um die Geschäftstätigkeit schnellstmöglich wiederaufnehmen zu können.12 - Supply Chain Management
Um bei länger andauernden politischen Auseinandersetzungen nicht Gefahr zu laufen, nicht mit den notwendigen Rohstoffen, Halb- oder Fertigwaren beliefert zu werden und damit die Produkte nicht mehr herstellen oder verkaufen zu können, sollte die Abhängigkeit von Zulieferern und Kunden in gefährdeten Gebieten verringert werden. Es ist daher notwendig, zunächst die bestehende Lieferkette und deren Bedrohungspotenzial durch politisch motivierte Taten zu analysieren und zu bewerten. Hierzu bieten entsprechende Risikokarten zur politischen Stabilität eines Landes, wie sie vielfältig im Internet zu finden sind, erste Anhaltspunkte. Auch ein Blick in die vergangenen Jahre eines betreffenden Landes geben Hinweise auf ein möglicherweise vorhandenes Exposure. Darüber hinaus können Informationen von staatlichen Stellen, z. B. des jeweiligen Außenministeriums eines Landes oder von Privatunternehmen, die sich auf die Beratung von Krisensituationen und zur Krisenintervention spezialisiert haben, die vorliegenden Informationen ergänzen. Daraus lassen sich entsprechende Handlungsoptionen zur Minimierung der Gefährdung des eigenen Geschäftsbetriebs durch im eigenen oder im Ausland begangene politisch motivierte Taten ziehen.
Hinweise zum Underwriting
Während man das Risiko eines Sachschadens sowie einer Betriebsunterbrechung durch klassische Gefahren abschätzen kann, ist es extrem schwierig, politische Risiken hinsichtlich ihrer Eintrittswahrscheinlichkeit einzuschätzen und ihre Folgen zu bewerten. Die jeweilige politische Lage in einem Land kann sich schnell ändern, einzelne beabsichtigte Änderungen, z. B. im Steuerrecht, können auch in vermeintlich politisch stabilen Ländern schnell in Demonstrationen und weiterführende Begleiterscheinungen umschlagen, wie erst kürzlich in Frankreich geschehen.
In stabilen Ländern ist zu erwarten, dass die Deckung politischer Risiken keine besondere Nachfrage erfährt. Sollte sich aber die Stimmung ändern, ist auch hier mit einer Zunahme des Risikobewusstseins und ggf. einer Zunahme von Deckungsanfragen für politische Risiken zu rechnen. Insofern ist es für einen Versicherer wichtig, derartige Strömungen und Veränderungen der politischen Situation aufzunehmen und im Rahmen des Underwriting zu berücksichtigen. In Zeiten zunehmender politischer Instabilität geht damit auch eine entsprechende Prämienanhebung im Zeitverlauf einher bzw. die Reduzierung eines möglichen Kumulszenarios durch Einschränkung des Deckungsumfangs bis hin zur Aufgabe des Versicherungsprodukts.
Während in der Vergangenheit Terrorismus und terroristische Akte im Fokus standen, hat sich durch die politisch motivierten Schadenereignisse der letzten Jahren nach unserer Ansicht das Bild gewandelt. Politisch motivierte Schadenereignisse und ihre Folgen rücken zunehmend in den Vordergrund, und Versicherungen für solche Ereignisse werden zunehmend nachgefragt. Daher ist es notwendig, neben Terrorismus auch das Exposure durch politisch motivierte Taten im Underwriting zu berücksichtigen. Dies gilt nicht nur, wenn eine explizite Versicherung für solche Taten nachgefragt wird, sondern auch für mehr oder weniger standardisierte Sachversicherungspolicen, denn häufig gelten Folgeschäden durch Feuer im Zusammenhang mit politisch motivierten Taten als gedeckt. Im Folgenden werden einige Unterwriting-Hinweise aufgezählt:
- Lokation
Prüfung der versicherten Lokation in Bezug auf die politische Stabilität und die Möglichkeit des Staats bei Ausschreitungen einzugreifen. Ein Blick in einschlägige Risikokarten,13 z. B. Political Risk Map, gibt einen ersten Überblick über die jeweilige örtliche Gefährdungslage. Sie wird von verschiedenen Organisation jährlich erstellt und ist in der Regel im Internet kostenfrei zugänglich. Analysiert man Schadenfälle, stellt man fest, dass sowohl die Schadenhöhe als auch die Anzahl an Schäden in Ballungsräumen deutlich höher ist als in ländlichen Gegenden. Eine Rolle spielt auch die Zugänglichkeit zu dem zu versichernden Betrieb. Weiterhin von Interesse ist, ob der Betrieb mit seinen Gebäuden direkt an einer Straßenfront liegt (direkt zugängliche Fenster, Schaufensteranlage usw.). - Staatshaftung
In manchen Ländern bestehen gesetzliche Vorgaben, wann und inwieweit der Staat Schäden durch politisch motivierte Taten ersetzt, z. B. für terroristische Akte. Im Vereinigten Königreich existiert hierzu der Riots Act 1886.14 Insbesondere ist zu klären, wann der Staat haftet und was die entsprechende Entschädigung beinhaltet. Ggf. wird bei Vorliegen eines Versicherungsvertrags keine Entschädigung fällig oder nur ein Differenzbetrag. - Wording
Insbesondere bei Allgefahren-Wordings sollte untersucht werden, inwieweit ein Ausschluss für Schäden aus SRCC-Gefahren bzw. politisch motivierte Gewaltakte in den Bedingungen zu finden ist. Aber auch sog. benannte Gefahrenpolicen (z. B. Flexa – Fire, Lightning, Explosion, Aircraft Impact) sind nicht immer unkritisch, wenn im Rahmen eines politisch motivierten Ereignisses ein versicherter Folgeschaden verursacht wird, beispielsweise ein Brand, und in den Versicherungsbedingungen ein absoluter Ausschluss für direkte und indirekte Folgeschäden für SRCC/politisch motivierte Ereignisse fehlt. Neben dem unmittelbaren Schaden durch versicherte Schadenereignisse können zusätzliche Kosten , z. B. durch die Deckung bei Zugangsbeschränkungen (Denial of Access) mitgedeckt sein, unabhängig davon, ob das versicherte Risiko direkt durch den Schaden betroffen wird oder indirekt durch ein Schadenereignis in der Umgebung oder durch behördliche Anordnungen (Public Authority) entstehen. - Versicherungssumme
Welche Versicherungssumme für politisch motivierte Gefahren ist vereinbart und was ist die Basis für ihre Berechnung? - Deckungsumfang
Welche Gefahren und Deckungsvereinbarungen sind versichert, z. B. innere Unruhen, Streik, Denial of Access, Loss of Attraction? Wie sind die Gefahren definiert? Bezieht sich die Deckung nur auf die Entschädigung eines Sachschadens oder ist auch der finanzielle Schaden mitversichert?
Weiterhin betrachtet werden sollte, wie die Haftung definiert ist, beispielsweise als „each and every loss at each and every location“ oder als „Occurence“-Deckung mit einer Stundenklausel. Von Bedeutung ist zudem, ob ein Jahresaggregat oder welche Regelung hinsichtlich Wiederauffüllungen vereinbart wurde. - Sublimit
Erstreckt sich die Haftung bis zur vereinbarten Versicherungssumme oder ist ein Sublimit vereinbart? - Extensions/Erstrisikosummen
Hierzu gehören beispielsweise vereinbarte Schadenminderungskosten, Aufräumkosten, Sachverständigenkosten, Mehrkosten. - Ausschlüsse
Der sicherlich beste Weg wäre, das Exposure aus politisch motivierter Gewalt auszuschließen. Um auf der sicheren Seite zu sein, müsste ein solcher Ausschluss als absoluter Ausschluss formuliert sein, der sowohl direkte Schäden als auch indirekte Folgeschäden ausschließt, denn in den meisten Fällen ist beispielsweise der Feuerschaden als Folgeschaden einer politisch motivierten Gewalt mitgedeckt. - Selbstbehalte
Der Selbstbehalt sollte ausreichend bemessen zu sein, um Kleinschäden auszuschließen. In der Betriebsunterbrechungsversicherung sollte ein zeitlicher Selbstbehalt vereinbart sein, z. B. drei Tage. - Betriebsart
Als besonders gefährdet hinsichtlich Plünderungen und Diebstählen gelten Supermärkte, Elektronikmärkte, Einzelhandelsgeschäfte, Kaufhäuser, Baumärkte, aber auch Läger, insbesondere wenn hochwertigere Waren vorhanden sind, z. B. hochpreisige Mode- oder Elektronikartikel. Ein höheres Exposure ist sicherlich auch bei städtischen Risiken, beispielsweise Infrastrukturrisiken, Polizeistationen, Gebäude der öffentlichen Verwaltung, Botschaften usw. anzunehmen. - Risikomanagementkultur des zu versichernden Unternehmens
Ist sich das betreffende Unternehmen der möglichen Gefährdung durch eine politisch motivierte Tat bewusst und welche Abwehr- und Vorsichtsmaßnahmen wurden von dem Unternehmen getroffen? Auch klassische Schutzmaßnahmen wie Zaun- und Perimetersicherungsanlagen, mechanische Einbruchsicherungen, Bewachung, Videoüberwachung oder auch klassische Brandschutzmaßnahmen wie automatische Löschanlagen können hilfreich sein, um zumindest einige der durch politische Taten verursachten Folgeschäden, z. B. Einbruch oder Brand, zu verhindern oder zu minimieren. - Exposure durch Wechsel- und Rückwirkungsschäden
Welche Abhängigkeiten des Unternehmens bestehen von anderen Unternehmensteilen bzw. von Zulieferern und Abnehmern in weniger stabilen politischen Systemen, und gibt es Reservekapazitäten oder alternative Beschaffungsmöglichkeiten, z. B. weitere Zulieferer in einem anderen Land? - Schadenhistorie
Hierzu zählen neben Schadenanzahl und Schadenhöhe auch der Standort, zusammen mit allen früheren Schäden, die direkt oder indirekt mit politisch motivierten Ereignissen zusammenhängen. - Maximum Foreseeable Loss (MFL)
Was ist ein mögliches Worst-Case-Szenario (Probable Maximum Loss (PML)/MFL) bei einem politisch motivierten Schadenereignis, und mit welcher Dauer der zu erwartenden Einstellung der Geschäftstätigkeit und daraus resultierender Betriebsunterbrechung ist zu rechnen? Hierzu gehört es, neben dem möglichen Sachschaden Überlegungen zu Betriebsunterbrechungsschäden sowie eine Vergrößerung des finanziellen Schadens durch versicherte Erstrisikosummen miteinzurechnen. - Business Continuity Management (BCM)
Besteht für das Unternehmen ein BCM inklusive Business Continuity Plan (BCP), um im Schadenfall die Geschäftstätigkeit so schnell wie möglich wiederaufnehmen zu können? Wird das BCM regelmäßig auf seine Aktualität und mögliche Wirksamkeit überprüft und ggf. adjustiert? - Versicherungsprämie
Ist bei einer Versicherung für politisch motivierte Schadenereignisse eine ausreichende Prämie unter Berücksichtigung des vorhandenen Exposures berechnet worden? - Kumulbetrachtung
Schäden durch politisch motivierte Schadenereignisse können in einem bestehenden Portefeuille eines Versicherers kumulieren, insbesondere wenn regionale Konzentrationen versicherter Risiken gegeben sind. Je nach Versicherungsvertrag können zunächst einzelne Schäden durch eine Vielzahl gleichzeitig betroffener Unternehmen für den Versicherer kumulieren und damit einen beträchtlichen Schaden nach sich ziehen. Bei Franchise-Unternehmen und Handelsketten, z. B. landesweit oder international agierende Supermarktketten, die typischerweise unter einer Masterpolice versichert werden, können bei ausufernden Protesten durch eine Vielzahl von Einzelschäden erhebliche Kumulbelastungen für den Versicherer entstehen.
Zusammenfassung
Schäden aus politisch motivierten Taten steigen seit Jahren an. Dabei sind nicht nur politisch instabile Länder betroffen.
Aus versicherungstechnischer Sicht ist festzustellen, dass die Deckung von SRCC-Gefahren im Underwriting teilweise nur eine untergeordnete Rolle spielt und nicht selten ohne adäquaten Prämienzuschlag eingeschlossen wird. Dabei können diese Gefahren ein nicht unerhebliches Exposure darstellen und zu erheblichen Schadenzahlungen führen. Insbesondere gilt dies, wenn die Deckung über SRCC-Gefahren hinaus auf weitere politische Gefahren ausgedehnt wird.
Hinzu kommt, dass Definitionen in Wordings nicht immer gerichtsfest sind, da in vielen Rechtsordnungen abweichende juristische Definitionen bestehen, die zu Rechtsstreitigkeiten und unerwarteten Ergebnissen führen können.
Es ist daher erforderlich, beim Underwriting den Focus auf diese, in vielen Sachpolicen als Nebengefahren klassifizierten Erweiterungen zu lenken und im Rahmen der Kapazitätsfestsetzung und bei der Preisgestaltung stärker zu berücksichtigen. Daneben sollte auch das mögliche Kumulexposure innerhalb einer Einzelpolice mit einer Vielzahl von Versicherungsorten bzw. eines Versicherungsportefeuilles nicht vernachlässigt werden.