Der Abschluss von Versicherungen gestaltet sich für viele Versicherungskunden und Vermittler mühsam – ebenso schwierig kann die Leistungsregulierung sein. Kunden sind häufig unsicher, wann und wie sie einen Schaden melden sollen. Der gesamte Prozess kommt ihnen bestenfalls langwierig vor und ist im schlimmsten Fall belastend. Die Kundenorientierung wird immer wichtiger, und so suchen Versicherungsunternehmen nach Möglichkeiten, das Kundenerlebnis auch bei der Schadenmeldung zu verbessern. Dieser kundenorientierte Ansatz ist ein Balanceakt für Versicherer, da sie einerseits den Wunsch ihrer Kunden nach einem vereinfachten und schnellen Verfahren mit günstigem Ausgang erfüllen möchten, andererseits Schadenmeldungen gründlich – und damit in der Regel zeitintensiv – prüfen müssen.
Die Digitalisierung könnte Lösungen bieten, um die Bedürfnisse beider Parteien gleichermaßen zu befriedigen. Ähnlich wie Underwriter digitale Daten nutzen können, um das Kundenerlebnis zu verbessern und das Risiko des einzelnen Kunden besser einzuschätzen, könnten auch Leistungsabteilungen auf digitale Informationen – z. B. Smartphone-Daten, Internetaktivität und Social-Media-Interaktionen – zugreifen, um gemeldete Schäden zu bewerten und Betrugsfälle aufzudecken.
Schadenmeldung
Während die meisten Versicherer für die Schadenanzeige noch immer Papierformulare oder den Weg über Vermittler nutzen, gibt es bereits viele Unternehmen, die digitale Alternativen ausprobieren. Beispiele hierfür sind:
- Online-Formulare: Die Bereitstellung von Formularen als digitale Online-Version erleichtert den Zugriff und den Meldeprozess, da Anspruchsteller die Formulare direkt nach dem Ausfüllen elektronisch absenden können. In vielen Fällen ist dies ein Schritt in die richtige Richtung, jedoch müssen Schadennachweise (z. B. Arztberichte, Krankenakten, Sterbeurkunden) weiterhin manuell eingereicht werden.
- Digitale Schadenportale: Über ein Online-System können Anspruchsteller Informationen zum Leistungsfall und Schadennachweise über eine sichere Onlineverbindung an ihre Versicherung senden. Das Versicherungsunternehmen kann diese in digitaler Form vorliegenden Informationen nutzen, um den gemeldeten Schaden zu bearbeiten – oftmals mit einem gewissen Grad an Automatisierung.
- Apps für Mobilgeräte: Anspruchsteller haben hiermit die Möglichkeit, Schäden praktisch jederzeit und von überall zu melden. Eine gut entwickelte App kann so den Leistungsregulierungsprozess erheblich vereinfachen und beschleunigen. Für Versicherer bieten Apps zudem das Potenzial, ihre Fragen im Rahmen der Informationserhebung durch Datenanalyse anzupassen. Damit kann erreicht werden, den Prozess passgenau auf den Anspruchsteller zuzuschneiden und alle erforderlichen Informationen gleichzeitig anzufordern.
- Live-Chat: Einige Versicherer bieten auf ihren Websites eine Chat-Funktion an, mit der Kunden Fragen in Echtzeit stellen können. Manche Fragen können möglicherweise sogar von einem Chatbot, also einem Computerprogramm, das in der Lage ist, mit Menschen zu kommunizieren, beantwortet werden. Erst wenn dieser Bot eine Frage nicht beantworten kann, wird der Anspruchsteller an einen Berater weitergeleitet. So kann der Versicherungskunde vom Chatbot oder vom Berater durch den gesamten Leistungsregulierungsprozess geführt werden, indem Informationen zum Schaden aufgenommen werden und der Kunde aufgefordert wird, entsprechende Nachweise hochzuladen.
Erhebung von Schadennachweisen
In Märkten, in denen Patientendaten in elektronischer Form vorliegen, könnten Kunden einwilligen, dass Versicherer direkten Zugriff auf diese Daten bekommen. Dadurch können die Prüfung einer eventuellen Anzeigepflichtverletzung und die Gesamtbewertung des Leistungsfalls erheblich beschleunigt werden, da dem Leistungsregulierer auch alle erforderlichen medizinischen Daten zur Verfügung stehen.
In einigen Märkten haben Kunden die Möglichkeit, Fitness- und Gesundheitsdaten von ihrem Smartphone bzw. Wearable über eine handelsübliche App oder eine eigens für diesen Zweck vom Versicherer entwickelte Anwendung bereitzustellen. Dies kann für das Management potenzieller Langzeitschäden nützlich sein, da es die Früherkennung und Auswahl der besten Behandlungsstrategie und zugleich die Bewertung der Therapietreue des Kunden ermöglicht. Einige Versicherer möchten diese Form der kontinuierlichen Kundenkommunikation vielleicht auch nutzen, um einer Invalidität von Kunden mit bekannten Gesundheitsrisiken vorzubeugen. So könnte ein Versicherungsunternehmen einen Kunden nach einem Versicherungsfall wegen eines Herzinfarkts in der Critical-Illness-Versicherung über eine App zu einem gesunden Lebensstil motivieren, um künftig derartige Leistungsfälle zu vermeiden.
Weitere wichtige Quellen von Schadendaten sind das Internet und die sozialen Medien. Viele Versicherer laden ihre Kunden ein, sich im Social Web mit ihnen zu vernetzen. Dies kann eine zusätzliche wertvolle Informationsquelle sein. So könnte ein Versicherungsunternehmen in den sozialen Netzwerken Anhaltspunkte dafür finden, dass der Anspruchsteller einen wesentlich aktiveren Lebensstil hat als bei der Schadenmeldung angegeben, was sich auf den Ausgang der Leistungsentscheidung auswirken könnte. Versicherer könnten ihre Social-Media-Profile auch nutzen, um Kunden über ihr Leistungsangebot in den Bereichen Gesundheit, Rehabilitation und berufliche Wiedereingliederung zu informieren und Erfolgsgeschichten anderer Anspruchsteller zu veröffentlichen. Bevor ein Versicherer soziale Netzwerke für die Kundenkommunikation einsetzt, sollte er selbstverständlich sicherstellen, dass diese Art der Kontaktaufnahme in seinem Markt zulässig ist und eine erforderliche Einwilligung eingeholt wurde.
Einige Versicherungsunternehmen gehen einen Schritt weiter und nutzen Daten, um noch vor einer Schadenmeldung zu erfahren, dass ein Kunde einen Leistungsfall erlitten hat. So besteht beispielsweise die Möglichkeit, dass ein Versicherer einen Vertrag mit einem Krankenhaus schließt, damit dieses den Versicherer informiert, sobald einer seiner Kunden zur Behandlung eingeliefert wird. Auf diese Weise empfängt der Versicherer alle erforderlichen Nachweise für die Leistungsfallabwicklung direkt vom Krankenhaus und muss sich mit dem Versicherten nur noch in Verbindung setzen, um die Zahlung der Versicherungsleistung zu bestätigen. Ebenso kann der Versicherer im Falle eines Anspruchs auf eine Versicherungsleistung die bereits vorliegenden Informationen nutzen, um einen Leistungsfall einer anderen Police zu bearbeiten, der vom Kunden noch gar nicht angezeigt wurde. Wird etwa eine Leistung im Bereich der Krankenversicherung geltend gemacht und ausgezahlt, liegen dem Versicherer dadurch möglicherweise bereits ausreichend Informationen vor, um auch eine Leistung in der Critical-Illness-Versicherung zu bewilligen. Dies bedeutet, dass der Kunde keine weiteren Formulare ausfüllen und (häufig bereits vorliegende) Nachweise nicht erneut einreichen muss. Auch in diesem Fall müssen sich Versicherungsunternehmen sorgfältig mit den geltenden Datenschutzgesetzen befassen, um sicherzustellen, dass eine solche Herangehensweise in ihrem Markt zulässig ist.
Nach Eintritt des Leistungsfalls
Viele Versicherungsunternehmen nutzen die Datenanalyse heute bereits, um Versicherungsbetrug aufzudecken und zu regulieren. Die Datenanalyse bietet darüber hinaus die Möglichkeit, Schadentrends anhand verschiedener Merkmale wie Region oder Zeitraum zu erkennen. Neben der Betrugsvermeidung können solche Trendinformationen auch für die Risikoprüfung genutzt werden. Stellt ein Versicherungsunternehmen beispielsweise eine unerwartet hohe Schadenhäufigkeit bei einer bestimmten Erkrankung fest und kann ein Betrug ausgeschlossen werden, sollte die Risikoprüfung auswerten, ob im Antragsprozess die richtigen Fragen gestellt werden, um die jeweilige Krankheit noch vor Vertragsabschluss festzustellen.
Fazit
Eine weit verbreitete Ansicht lautet, dass der Leistungsregulierungsprozess aufgrund seiner häufig emotionalen und belastenden Natur zwingend einer menschlichen Komponente bedarf. In diesem Zusammenhang darf jedoch nicht vergessen werden, dass die Digitalisierung nicht darauf abzielt, den Menschen vollständig aus dem Leistungsregulierungsprozess auszuschließen. Vielmehr geht es darum, möglichst viele verschiedene Kommunikationsmittel anzubieten, um den verschiedenen Bedürfnissen und Vorlieben von Kunden Rechnung zu tragen. Die Digitalisierung bietet außerdem das Potenzial für eine offenere transparentere Kommunikation.
Manche befürchten, dass der Leistungsregulierer durch den zunehmenden Einsatz digitaler Lösungen am Ende womöglich vollständig durch Maschinen ersetzt wird. Interessanterweise haben Versicherer, die bereits einen Großteil ihrer Abläufe in der Leistungsfallabwicklung digitalisiert haben, jedoch festgestellt, dass ihre Leistungsregulierer durch die Automatisierung einfacher administrativer Abläufe mehr Zeit haben – sowohl für die Kommunikation mit den Kunden als auch für die Bearbeitung komplexer Leistungsfälle.
Wie Sherlock Holmes, die berühmte Romanfigur von Sir Arthur Conan Doyle, einmal sagte: „Daten! Daten! Daten! Wie soll ich ohne Lehm Ziegelsteine herstellen?!“ Anders gesagt: Die Analysen von Versicherungsunternehmen sind nur so gut wie die Daten, die ihnen zugrunde liegen. Dementsprechend haben immer mehr Versicherungsunternehmen damit begonnen, ihre Abläufe, Prozesse und Systeme zu aktualisieren, um die Digitalisierung von Daten voranzubringen. Gen Re freut sich darauf, diese spannende Reise gemeinsam mit Ihnen anzutreten.