Rechtliche Verbundenheit i. S. einer Tilgungsgemeinschaft- Zweckgemeinschaft
- Gleichstufigkeit
lassen sich zum Teil § 421 BGB entnehmen oder folgen aus speziellen Normen, z. B. § 427 BGB, der die Gesamtschuld bei gemeinschaftlich geschlossenen Verträgen regelt. Eine Regelung für deliktische Ansprüche wird in § 840 BGB getroffen.
In anderen Gesetzen finden sich weitere Regelungen, z. B. in § 5 ProdHaftG, der die Haftung mehrerer Hersteller für denselben Schaden als Gesamtschuldner festlegt.
Im Falle des § 840 Abs. BGB wird eine Gesamtschuldnerschaft als gegeben vorausgesetzt, wenn die Voraussetzungen des § 840 Abs. 1 BGB vorliegen. Die Vorschrift enthält in ihrem Abs. 1 keine eigenständige Anspruchsgrundlage, sondern setzt vielmehr eine bereits bestehende Ersatzpflicht voraus.9 Abs. 1 ordnet an, dass nebeneinander verantwortliche Täter einer unerlaubten Handlung im Außenverhältnis, d. h. dem Geschädigten gegenüber, als Gesamtschuldner haften und verweist damit auf die §§ 421-425 BGB.
IV. Lösung
1. Nebeneinander verantwortlich
a) Die Herstellerseite
Die eine der oben aufgeworfenen Fragen beantwortet sich aus dem Gesetzeswortlaut. Nebeneinander Verantwortliche haften als Gesamtschuldner. Anspruchsgegner können sein der Hersteller des Medizinprodukts, der Aufbereiter, der Betreiber, der Anwender und dessen Hilfspersonen sowie die benannte Stelle sowie im Rahmen eines Amtshaftungsanspruchs die für ihre Akkreditierung zuständige Behörde.
In diesem Zusammenhang ist allerdings § 20 Abs. 3 S. 3 MPG zu beachten: Ansprüche auf Schadenersatz entfallen, soweit aus der nach § 20 Abs. 1 Nr. 9, Abs. 3 MPG obligatorischen Probandenversicherung im Rahmen einer klinischen Prüfung aus der Versicherung geleistet wurde. Bei klinischen Prüfungen sind die Ansprüche aus Vertrag und Delikt daher vornehmlich für den Ersatz des immateriellen Schadens relevant, da diese Schäden in der Regel nicht von der Versicherung mit abgedeckt sind.
Die Haftung des Herstellers gegenüber dem Patienten erfolgt nach den §§ 1ff. ProdHaftG bzw. § 823 Abs. 1 oder Abs. 2 i. V. m. einem Schutzgesetz. Bei § 1 ProdHaftG handelt es sich um eine Gefährdungshaftung, daher ist kein Verschulden erforderlich. Der Hersteller haftet wegen Schaffung einer Gefahrenlage durch Inverkehrbringen eines fehlerhaften Produktes; nach § 5 ProdHaftG haften mehrere Hersteller für denselben Schaden als Gesamtschuldner. § 5 ProdHaftG findet allerdings keine Anwendung, wenn eine weitere Person aus einem anderen Rechtsgrund, etwa aus Vertrag oder aus § 823 Abs. 1 BGB, ersatzpflichtig ist. Anderes gilt wieder – als Ausnahme von der Ausnahme – wenn zusätzlich auch die Haftung nach den §§ 1, 4 ProdHaftG gegeben ist.
Ist die Haftung eines Dritten ausschließlich aus Vertrag oder Delikt außerhalb des ProdHaftG gegeben, ist der Regelungsgehalt des § 6 Abs. 2 ProdHaftG eröffnet. Das führt im Ergebnis allerdings ebenfalls dazu, dass die Regeln der Gesamtschuld über solidarische Außenhaftung und Binnenregress nach Verantwortungsanteilen Anwendung finden.10 Insoweit verweist § 5 S. 2 ProdHaftG auf die §§ 421ff. sowie § 426 BGB.
b) Die Anwenderseite
Erfolgt die Heilbehandlung unter Einsatz von Medizinprodukten, so haftet der Arzt für Defekte und fehlerhafte Bedienung aus § 823 Abs. 1 BGB und wegen Verletzung des Behandlungsvertrags. Eine Haftung aus § 1 ProdHaftG bzw. Anwendung der Grundsätze der deliktischen Produzentenhaftung kommt nicht in Betracht, weil der Arzt weder Hersteller noch Quasi-Hersteller oder Importeur der Produkte ist. Hätte der Arzt den Fehler des Produkts erkennen müssen, haftet er selbstständig aus Behandlungsvertrag und § 823 Abs. 1 BGB, also lediglich verschuldensabhängig.
2. Homogenität der Anspruchsgrundlagen
Größere Probleme wirft die Frage nach der Handhabung nicht homogener Anspruchsgrundlagen auf. § 840 BGB spricht eindeutig davon, dass der Schaden aus einer unerlaubten Handlung entstanden sein muss. Insoweit ist zunächst die Haftung des Medizinprodukteherstellers zu hinterfragen.
Das MPG enthält – anders als das AMG – keine spezifischen Haftungsnormen; § 6 Abs. 4 MPG stellt lediglich klar, dass die Durchführung von Konformitätsbewertungsverfahren die zivil- und strafrechtliche Verantwortlichkeit des Verantwortlichen nach § 5 MPG unberührt lässt. Die Haftung ergibt sich vielmehr aus dem allgemeinen Haftungsrecht: aus Vertrag und aus § 823 Abs. 1 BGB wegen unerlaubter Handlung (Produzentenhaftung), aus § 823 Abs. 2 BGB wegen Verletzung eines Schutzgesetzes (insb. §§ 4, 6, 9, 11 Abs. 2 und 12 MPG), aus § 831 BGB wegen Haftung für die unerlaubte Handlung eines Verrichtungsgehilfen und aus § 1 ProdHaftG.
Weder Verträge, noch Gefährdungshaftungstatbestände sind indessen als unerlaubte Handlungen, als Delikt anzusehen. Der Begriff der unerlaubten Handlung in Abs. 1 ist allerdings nach herrschender Lehrmeinung und Rechtsprechung weit auszulegen.11 Gegen den Wortlaut der Norm werden alle Fälle einer gesetzlich geregelten Schadensersatzpflicht12 einschließlich der Tatbestände der Gefährdungshaftung inner- (§ 833 S. 1 BGB) und außerhalb des BGB (etwa ProdHaftG, StVG, UmweltHaftG) erfasst: „Seine Anwendbarkeit wird auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass einen der deliktisch Verantwortlichen gleichzeitig eine vertragliche Ersatzpflicht trifft. Abs. 1 ist darüber hinaus von seinem Rechtsgedanken heranzuziehen, wenn für denselben Schaden ein Schuldner aus Vertrag und ein anderer aus unerlaubter Handlung haftet“.13 Noch weitergehend wird Absatz 1 zumindest entsprechend auf den Fall angewendet, dass bezüglich derselben Schadensursache die eine Person deliktisch und die andere aus dem Gesichtspunkt der Aufopferung haftet.14
3. Kausalität für die Schadensentstehung
Im Fall der Nebentäterschaft kann der Schaden auch aus mehreren unerlaubten Handlungen resultieren, wenn diese den Gesamtschaden und nicht bloß separate Teilschäden verursacht haben. Anzuwenden sind die allgemeinen Kausalitätsanforderungen der Äquivalenz und Adäquanz.15 Resultierend aus der Conditio-sine-qua-non-Formel ist eine kumulative Kausalität ausreichend. Liegt sie vor, ist § 830 Abs. 1 S. 2 BGB anzuwenden. Dem Kausalitätserfordernis ist auch genüge getan, wenn zeitlich getrennte Einzelhandlungen zum Entstehen des gesamten Schadens adäquat kausal beigetragen haben.16
4. Schädiger müssen nebeneinander für den Schaden verantwortlich sein
Nebeneinander verantwortlich sind nicht nur Mittäter (§ 830 Abs. 1 S. 1 BGB), Teilnehmer (Anstifter und Gehilfe: § 830 Abs. 2 BGB) sowie Beteiligte i. S. v. § 830 Abs. 2 S. 1 BGB, sondern auch Nebentäter, wenn sie den Gesamtschaden verursacht haben.17
Ist die Haftung eines Beteiligten ausgeschlossen oder subsidiär, besteht eine parallele Verantwortlichkeit nicht.18
Nebentäterschaft ist die Schadensrealisierung durch schuldhaftes aber ohne bewusstes Zusammenwirken durch selbständige unerlaubte Handlungen. Eine nebentäterschaftliche Verantwortlichkeit ist begründet, wenn die Nebentäter nicht nur einen abgrenzbaren Teilschaden verursachen, sondern eine zurechenbare Bedingung für den Gesamtschaden setzen.19 Ein naher zeitlicher Zusammenhang zwischen den Handlungen der Einzelschädiger und dem Gesamtschaden ist nicht erforderlich.20
5. Verantwortlichkeit
Die Schuldform ist für die gesamtschuldnerische Haftung unerheblich. Daher liegt eine Verantwortlichkeit mehrerer nach § 840 BGB auch dann vor, wenn nur ein Schädiger vorsätzlich, der andere fahrlässig gehandelt hat oder wenn fahrlässiges Handeln beider Schädiger gegeben ist bzw. wenn Verschuldens- und Gefährdungshaftung zusammentreffen.21
6. Umfang der Verantwortlichkeit
Sind die Beteiligten für den Schaden in gleichem Umfang verantwortlich, folgt daraus auch eine gesamtschuldnerische Haftung zu gleichen Anteilen. Schwieriger gestalten sich regelmäßig die Fälle, in denen die Schädiger in unterschiedlichem Umfang für den Schaden einzustehen haben. Eine gesamtschuldnerische Haftung ist dann nur in Höhe derjenigen Ersatzpflicht gegeben, in deren Höhe sich die Verpflichtungen der Schädiger decken. Für den überschießenden Betrag haftet im Übrigen der Beteiligte, der für den entstandenen Schaden in größerem Umfang verantwortlich und deshalb auch höher ersatzpflichtig ist, allein.22
Für die Parteien war die Haftung als (Teil-)Gesamtschuldner mit unterschiedlichen Haftungsanteilen insbesondere dann von Bedeutung, wenn eine Haftung nach allgemeinen Vorschriften des BGB mit einer solchen nach Gefährdungshaftung, die nur materielle Schäden erfasste und in der Höhe begrenzt war, zusammentraf.23
Mit der Schaffung von Schmerzensgeldansprüchen in § 8 ProdHaftG n. F. ist das Problem weithin obsolet geworden. Eine unterschiedlich hohe Haftungsquote kann sich aber weiterhin aus § 10 Abs. 1 ProdHaftG, der einen Haftungshöchstbetrag festsetzt, ergeben.
Darüber hinaus kann sich auch bei der Bestimmung der Höhe des Schmerzensgeldes nach § 253 Abs. 2 BGB und der Billigkeitswiedergutmachung i. S. des § 829 BGB ein unterschiedlicher Haftungsumfang ergeben. Hierbei wird nämlich unter anderem die wirtschaftliche Situation und das Einkommen des zum Ersatz Verpflichteten berücksichtigt und kann für das Ergebnis bedeutsam sein.
V. Ausgleich im Innenverhältnis
1. Grundregel
Die Ausgleichspflicht untereinander bestimmt sich nach § 426 BGB. Soweit nichts anderes bestimmt ist, sind die Schädiger demnach im Innenverhältnis zu gleichen Teilen verpflichtet.
Sowohl § 840 Abs. 2 als auch § 840 Abs. 3 BGB modifizieren den Grundsatz des § 426 BGB, nach welchem die Gesamtschuldner im Verhältnis zueinander zu gleichen Teilen verpflichtet sind. Primär haftet nach dem Gesetz aber stets derjenige, der den Schaden vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt hat, vollständig. Die bloße Gefährdung führt, wie auch das nur vermutete Verschulden, zu einer nachrangigen Haftung.24 § 840 Abs. 3 BGB bezieht sich allerdings nur auf die §§ 833 bis 838 BGB. Eine analoge Anwendung des § 840 Abs. 3 BGB auf die zahlreichen Gefährdungshaftungstatbestände außerhalb des BGB, wie etwa § 1 HPflG kommt nicht in Betracht und greift daher zwischen Arzt und Hersteller nicht.
Damit bleibt es bei § 426 Abs. 1 BGB, sodass die Gesamtschuldner im Innenverhältnis nach Kopfteilen haften. Ein anderes im Sinne des § 840 Abs. 1 S. 1 BGB wird durch den Rechtsgedanken des § 254 BGB bestimmt. Für den Umfang des Regressanspruchs sind somit die Verursachungs- und Verschuldensanteile maßgeblich.
Im Ergebnis haften Gesamtschuldner im Außenverhältnis verbunden auf das Ganze, im Innenverhältnis nur nach einer – ggf. mit Hilfe des § 287 ZPO zu schätzenden – Quote, also als Teilschuldner.25
Eine völlige Freistellung eines im Außenverhältnis verantwortlichen Schädigers im Innenverhältnis ist denkbar, wenn die Verursachungs- und Verschuldensanteile eines Beteiligten derart groß sind, dass sie den Beitrag des anderen deutlich übersteigen.26
2. Gestörte Gesamtschuld
Zu untersuchen bleibt, ob die Regeln der sogenannten gestörten Gesamtschuld zur Anwendung kommen, wenn der Hersteller insolvent ist, und demzufolge als Schuldner ausfällt und nicht haftet. Eine gestörte Gesamtschuld liegt vor, wenn ein Gesamtschuldner ausfällt, weil es eine gesetzliche oder zumindest eine vertragliche Haftungsverlagerung gibt. Die Folgen sind strittig. Es bleibt bei § 421 BGB, oder die anderen Gesamtschuldner haften auch im Außenverhältnis nur nach ihren Quoten oder sie haften im vollen Umfang, ohne Ausgleichsmöglichkeit. Die herrschende Lehrmeinung und die Rechtsprechung bevorzugen die Haftungsbeschränkung der anderen Schuldner auf ihre Quote auch im Außenverhältnis.
Im Fall der Herstellerinsolvenz finden diese Rechtsgedanken allerdings keine Anwendung, weil es sich um eine tatsächliche Haftungsverlagerung handelt und nicht um eine auf einer gesetzlichen oder vertraglichen Grundlage beruhende. Außerdem entspräche das Ergebnis nicht der gesetzgeberischen Intention, die ja gerade dahin geht, das Ausfallrisiko vom Gläubiger auf die Schuldner zu übertragen. Demzufolge gibt es auch keine einschlägige Rechtsprechung.
VI. Prozessuale Erwägungen
Der Patient ist frei in seiner Entscheidung, wen von mehreren Mitverursachern er auf Schadensersatz in Anspruch nehmen will. Er kann sich unter Abwägung prozessökonomischer Gesichtspunkte den zahlungskräftigeren und liquideren Anspruchsgegner aussuchen.
Dass bei einer Inanspruchnahme des Arztes der Patient einen schuldhaft begangenen Behandlungsfehler – mit Hilfe von Sachverständigen – darlegen und beweisen muss, spricht vielleicht dafür, bevorzugt den Hersteller in Anspruch zu nehmen. Das ist allerdings nicht ratsam, wenn dieser insolvent ist und keine Haftpflichtversicherung abgeschlossen hat. Hierin liegt eine der Schwächen des Medizinprodukterechts, das eine Pflicht zum Abschluss einer Haftpflichtversicherung nicht kennt.
VII. Schluss
Der Beitrag hat gezeigt, dass immer an die Gesamtschuld bei der Haftung von Medizinprodukteherstellern und Ärzten gedacht werden sollte. Sie ermöglicht unter bestimmten Umständen die Inanspruchnahme des Schuldners mit der schwächsten Haftungsgrundlage. Zu denken ist aber auch daran, sie verstärkt für Ansprüche gegen unabhängig voneinander haftende Ärzte und Krankenhausträger fruchtbar zu machen, auch wenn der zuletzt genannte Aspekt hier entfällt.