Amokfahrten und Terroranschläge durch den Einsatz von Fahrzeugen
Nach der Amokfahrt von Graz am 20. Juni 2015 machte die Schlagzeile „Sieben Millionen Euro für Grazer Amok-Opfer“1 auch deutsche Kraftfahrthaftpflicht-Versicherer hellhörig. Gezahlt wird diese Summe von dem österreichischen Kfz-Versicherer, bei dem der Wagen des Täters haftpflichtversichert war.
Fahrzeuge werden längst nicht mehr „nur“ zu Amokfahrten missbraucht, sondern sind auch Werkzeuge des Terrors. Spätestens mit dem Anschlag von Nizza am 14. Juli 2016 hat der Terror auch in Europa eine neue Dimension bekommen. Es drängt sich die Frage auf, ob Versicherer die möglicherweise daraus resultierenden immensen Schäden tragen müssen.
Abgrenzung von Amok und Terror
Herkömmliche Unterscheidungen zwischen Terror und Amok verschwimmen heute.2
Amok ist ein Begriff, der aus der Psychologie stammt und einen psychischen Ausnahmezustand mit blindwütigem zerstörerischem Verhalten einer Person bezeichnet, die plötzlich und willkürlich andere angreift und verletzt oder tötet.
Beim Terrorismus ist die ausgeübte Gewalt hingegen politisch, religiös oder wirtschaftlich motiviert.3
Die Einordnung der Taten als Terror oder Amok ist in den Ländern relevant, in denen es wie in Frankreich einen Garantiefonds für die Opfer terroristischer Anschläge (FGTI – Fonds de garantie des victimes des actes de terrorisme et d’autre infractions) gibt oder – wie in Spanien – der Staat die Entschädigung übernimmt.
Nach den Anschlägen von Nizza hat der FGTI seine Eintrittspflicht zeitnah bestätigt – mit der Folge, dass der KH-Versicherer des gemieteten französischen Lkw entlastet ist (auch bei einem ausländischen Fahrzeug würde der Terror-Fonds eintreten).4
In Deutschland hat man sich nicht für die Herauslösung des Terrorrisikos aus der Haftpflichtversicherung entschieden.
Bereits die Anschläge vom 11. September 2001 in den USA machten deutlich, dass auch Terroranschläge versicherte Haftpflichtschäden auslösen können. Als Folge dieser Anschläge und aus Sorge vor versicherungstechnisch unkalkulierbaren Risiken führten die Versicherer in der Sachversicherung Terrorausschlüsse ein. Dort ist die Wahrscheinlichkeit deutlich höher, dass durch ein Ereignis zahlreiche Risiken mit jeweils hohen Versicherungssummen getroffen werden.5 Für den Bereich der Haftpflichtversicherungen sah man diese Notwendigkeit nicht, da bei Terrorakten kaum eine Mehrzahl von Haftpflichtigen eintrittspflichtig wird und es bei einer oder wenigen Deckungssummen bleibt. Lediglich die bis dahin üblichen unbegrenzten KH-Deckungen wurden in den nachfolgenden Jahren auf EUR 50 bzw. 100 Mio. reduziert.
Die jüngsten Ereignisse könnten aufgrund ihrer erhöhten Frequenz oder der veränderten Ausmaße eine neue Risikobewertung erforderlich machen. So soll der französische Terrorfonds allein für die Ereignisse vom 13. November 2015 in Paris EUR 350 Mio. zurückgestellt haben; eine Aufstockung des derzeit mit EUR 1,3 Mrd. gefüllten Fonds ist nach den Ereignissen in Nizza im Gespräch.6
Beispiel: Grazer Amokfahrt
In der Vergangenheit waren es primär Amokfahrten, die die KH-Versicherer beschäftigten. Die eingangs erwähnte Amokfahrt von Graz am 20. Juni 2015 war ein trauriger Höhepunkt. Ein 26-Jähriger fuhr in der Mittagszeit mit einem auf seinen Vater zugelassenen SUV mit hoher Geschwindigkeit durch die belebte Grazer Innenstadt und tötete hierbei drei und verletzte weitere 36 Passanten. An einem Supermarkt hielt er kurz an, stieg aus und verletzte zwei Personen mit einem Messer schwer. Anschließend setzte er die Fahrt fort, bis er schließlich von der Polizei gestellt werden konnte.
Wäre das Tatfahrzeug in Deutschland zugelassen gewesen, hätte sich eine Eintrittspflicht des deutschen KH-Versicherers aufgrund des „Grüne Karte“-Systems im Rahmen des österreichischen Haftungs- und Schadensersatzrechts ergeben.
Ein gleich gelagerter Fall könnte aber auch in Deutschland einen Anspruch gegen den KH-Versicherer begründen.
„Betrieb“ als Auslöser der StVG-Haftung
Die Haftung des Fahrers als Fahrzeugführer ergibt sich aus dem Straßenverkehrsrecht, § 18 Abs. 1 StVG (vermutetes Verschulden) i. V. mit § 7 Abs. 1 StVG im Rahmen der Höchsthaftung für Personenschäden beim Betrieb eines Kfz pro Ereignis begrenzt auf EUR 5 Mio. Darüber hinaus ergibt sich eine Haftung aus dem Bürgerlichen Recht, unbegrenzt wegen vorsätzlicher Tat nach § 823 BGB, § 16 StVG.
Der Begriff „Betrieb“ wird sehr weit ausgelegt. Er knüpft nicht an ein Verschulden an und wird damit auch nicht durch ein vorsätzliches Handeln ausgeschlossen.
Die vom Fahrzeug ausgehenden Gefahren müssen bei der Entstehung mitgewirkt haben. Es genügt ein naher zeitlicher und örtlicher Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebsvorrichtung des Kfz.7
Das Auto, eingesetzt um Menschen zu verletzen oder zu töten, verliert auch nicht seine Qualität als Fahrzeug. Im technischen Sinn ist ein Fahrzeug keine Waffe, aber auch die Verwendung „wie eine Waffe“ ist dem Fahrzeugbetrieb zuzuordnen.8
Auch ein zwischenzeitliches kurzes Verlassen des Fahrzeugs, z. B. um Verlorenes aufzuheben, kann zum Betrieb gehören, ein Weggehen vom Fahrzeug (z. B. um Messerangriffe auf Passanten auszuüben) dagegen nicht.9
Die Zuordnung zum „Betrieb“ löst auch den Versicherungsschutz in der KH-Versicherung aus. Die KH-Versicherung deckt Schäden aus dem „Gebrauch des Fahrzeugs“ (§ 1 PflVG), der noch über den Fahrzeug„betrieb“ hinausgeht.10
Dieser Ansatz ist in den EU-Ländern uneinheitlich. In Spanien z. B. wird die vorsätzliche Begehung eines Verbrechens nicht als Vorgang des Straßenverkehrs angesehen.11 Bei Terrorakten würde dort der Staat nach dem Gesetz über die Anerkennung und den umfassenden Schutz von Terroropfern12 für die Entschädigung eintreten.
Die Haftung des Fahrzeughalters
Regelmäßig werden die Ansprüche gegen den Fahrer mangels Vermögen und Versicherungsschutz ins Leere gehen, sodass die Geschädigten den Weg über den kraftfahrthaftpflichtversicherten Halter suchen werden, sofern er vom Fahrer personenverschieden ist.
Der Halter ist weder Mittäter noch Gehilfe, er haftet jedoch verschuldensunabhängig für während des Betriebs mit seinem Fahrzeug verursachte Schäden, § 7 Abs. 1 StVG. Davon macht das Gesetz eine Ausnahme, wenn:
- sein Fahrzeug ohne sein Wissen und seinen Willen benutzt wurde (sog. „Schwarzfahrt“), § 7 Abs. 3 S. 1 StVG,
- es sei denn, er hat die Benutzung durch sein Verschulden ermöglicht.
- Der Haftungsausschluss gilt auch nicht, wenn es sich um einen für den Betrieb des Kfz Angestellten handelt bzw. ihm das Fahrzeug vom Halter überlassen wurde, § 7 Abs. 3 Satz 2 StVG.
Eine verschärfte Haftung könnte eintreten, wenn der Halter die Benutzung des Kfz zwar nicht erlaubt, aber durch sein Verschulden ermöglicht hatte, z. B. wenn er den Schlüssel im Zündschloss stecken ließ.
Stand das Verschulden des Fahrzeughalters in ursächlichem Zusammenhang mit dem Schaden selbst, könnte ihn über die StVG-Haftung hinaus eine unbegrenzte Haftung nach § 823 Abs. 1 oder Abs. 2 BGB treffen. Die nach § 14 Abs. 2 Satz 2 StVO vorgeschriebene Sicherung des Fahrzeugs gegen unbefugte Benutzung gilt als sog. Schutzgesetz i. S. von § 823 Abs. 2 BGB,13 z. B. wenn der Halter Hinweise auf die Absichten des Täters hatte.
In vielen Fällen handelt es sich um verliehene oder vermietete Fahrzeuge, wodurch die Haltereigenschaft auch nicht enden würde. Dies träte erst beim endgültigen Verlust der Verfügungsgewalt ein.14
Die Berufung auf höhere Gewalt
Auch bei einer krankheits- oder rauschbedingten Tat könnte sich der Halter nicht auf höhere Gewalt berufen.
Höhere Gewalt nach § 7 Abs. 2 StVG wird nur unter engsten Voraussetzungen anerkannt, und zwar – so die Rechtsprechung – bei von außen kommenden, betriebsfremden Ereignissen. Innere Vorgänge des Fahrers werden nicht als höhere Gewalt anerkannt, nicht einmal ein Herzinfarkt des Fahrers.15
KH-Versicherungsschutz für den Fahrer
In Deutschland hat der vorsätzlich handelnde Fahrer und Halter keinen Versicherungsschutz, § 103 VVG. Damit entfällt der Direktanspruch des Geschädigten gegen den Versicherer nach § 115 Abs. 1 VVG, da keine Obliegenheitsverletzung, sondern ein subjektiver Risikoausschluss vorliegt – von vorneherein also fällt ein solcher Schadensfall nicht unter den Schutz des Versicherungsvertrags.16
Bei Vorsatztaten im Straßenverkehr wäre dann der dem Verein Verkehrsopferhilfe e. V. zugewiesene gesetzliche Entschädigungsfonds für Schäden aus Kraftfahrzeugunfällen eintrittspflichtig, § 12 Abs. 1 Nr. 3 PflVG.
KH-Versicherungsschutz für den Fahrzeughalter
Allerdings wirkt der Risikoausschluss nicht zugleich gegen den Halter und Versicherungsnehmer, dem selbst kein vorsätzliches Verhalten zur Last fällt.17 Der Halter könnte in diesem Fall die Geschädigten auch nicht an den Verein Verkehrsopferhilfe e. V. verweisen, da dessen Eintrittspflicht nur subsidiär ist. Denn trotz Vorsatztat des Fahrers wäre der Entschädigungsfonds nach § 12 Abs. 1 Nr. 3 PflVG nicht eintrittspflichtig,18 da der Geschädigte vom Halter, der verschuldensunabhängig nach § 7 Abs. 1 StVG haftet, Ersatz seines Schadens zu erlangen vermag, § 12 Abs. 1 Satz 2 PflVG.
Einschränkungen des Versicherungsschutzes
Im Fall einer Haftung wird der KH-Versicherer prüfen, ob der Halter vertragliche Pflichten/Obliegenheiten verletzt hat, die die Leistungspflicht des Versicherers einschränken könnten.
§ 5 Abs. 1 Nr. 3 KPflVV bestimmt als Obliegenheit die Verpflichtung, das Fahrzeug nicht unberechtigt zu gebrauchen oder wissentlich gebrauchen zu lassen, s. a. D.1.2 AKB 2008 i. V. mit § 28 Abs. 2 VVG z. B. bei nachlässigem Umgang mit den Fahrzeugschlüsseln.
Wurde diese Pflicht grob fahrlässig verletzt, kann der Versicherer seine Leistung maximal um EUR 5.000 kürzen.
Wichtiger als dieser begrenzte Regressanspruch erscheint jedoch die durch D.3.3 S.2 AKB 2008 i. V. mit § 117 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1 VVG eingeräumte Begrenzung der Leistungspflicht des Versicherers auf die gesetzlichen Mindestversicherungssummen (Anlage 2 zu § 4 Abs. 2 PflVG Nr. 1a, bei Personenschäden EUR 7,5 Mio. je Schadenfall). Da hier mögliche Schadenszenarien weit über die Mindestversicherungssummen hinaus betrachtet werden, könnte diese Limitierung für den Halter existenzbedrohende Auswirkungen haben.
Sonderfall der Tatbegehung durch einen angestellten Fahrer
Häufig hat man es nicht nur mit Privatpersonen zu tun, sondern mit angestellten Fahrern, z. B. Paketzusteller, Bus- oder Taxifahrer. Der Arbeitgeber ist dann auch Halter des Fahrzeugs.
Nutzte der Fahrer für die Tat ein Fahrzeug seines Arbeitgebers, könnte eine Haftung des Halters für den Verrichtungsgehilfen nach § 831 Abs. 1 BGB gegeben sein.
Der Schaden muss dann „in Ausführung der Verrichtung“ und nicht nur „bei Gelegenheit“ zugefügt worden sein. Auch eine vorsätzliche Straftat schließt das nicht aus.19 (Nicht eingeschlossen wären Straftaten mit einem vom Arbeitgeber für die Tatbegehung entwendeten Fahrzeug.)20
Der Halter müsste den Beweis führen, dass er im Hinblick auf Auswahl und Überwachung des Verrichtungsgehilfen das Erforderliche getan hat, sog. Exkulpation.
Bei der Auswahl sind die Anforderungen umso strenger, je schwieriger oder verantwortungsvoller die Tätigkeit ist (Führungszeugnis, persönliches Gespräch).21 Im Hinblick auf die Überwachung können persönliche Kontrollen erforderlich sein.
Zusammenfassung
Nur wenn Fahrer und Halter personenverschieden sind, kommt bei vorsätzlichen Amok- oder Terrorfahrten eine Eintrittspflicht der KH-Versicherung für den Halter über den Direktanspruch in Betracht, sonst tritt der Verein Verkehrsopferhilfe als Entschädigungsfonds ein.
Es ist möglich, dass berechtigte Fahrer, z. B. Entleiher, Mieter oder Angestellte, ein fremdes Fahrzeug für ihre Taten nutzen. Besonders problematisch sind dabei die Fälle, bei denen dem Halter eine Fahrlässigkeit vorgeworfen werden kann. Sie kann zu einer unbegrenzten Haftung und einer Deckung im Rahmen der vereinbarten Versicherungssummen führen.
Die Zahl der Fälle ist im Verhältnis zur Gesamtzahl der Verkehrsunfälle nicht signifikant. Dennoch sind Szenarien mit bedeutendem Schadenaufwand aufgrund der Schwere der Personenschäden und/oder der Anzahl der Betroffenen denkbar. Auch kann die Schadenbearbeitung wegen der Komplexität der Fälle eine große Herausforderung darstellen.