Der Arbeiter
Das Aufkommen einer Basistechnologie führt zu einer zunehmenden Automatisierung des Arbeitsplatzes, die zwei Auswirkungen auf die menschliche Arbeit hat. Erstens ersetzt Automatisierung menschliche Arbeit, die bisher auf Aufgaben beschränkt war, die vollständig formalisiert und kodifiziert werden können. Ein Beispiel dafür ist der Einsatz von PCs, die Aufgaben nach vorgegebenen Regeln ausführen – eine Einschränkung, die für die generative KI nicht gilt.9 Zweitens ergänzt Automatisierung menschliche Arbeit, indem sie menschliche Fähigkeiten erweitert, die Problemlösung, Anpassungsfähigkeit und Kreativität beinhalten.10 Bei der Entscheidungsfindung ergänzt der Einsatz von PCs menschliche Arbeit, indem Informationen zur Verfügung gestellt werden; es bleibt jedoch dem Menschen überlassen, Zusammenhänge zu finden, Schlüsse zu ziehen und Ermessen auszuüben.
Generative KI hat das Potenzial, menschliche Arbeit bei Aufgaben der Entscheidungsvorbereitung zu ersetzen und bei Aufgaben der Entscheidungsfindung zu ergänzen. LLMs können eingesetzt werden, um das für eine Entscheidung relevante Wissen aufzubereiten, sei es im Zusammenhang mit einem Versicherungsantrag, einem Schadensfall oder einem Versicherungsvertrag, um dann dem Entscheidungsträger eine Auseinandersetzung mit diesem Datenmaterial zu ermöglichen.11 Generative KI kann Assoziationen herstellen und Schlussfolgerungen ziehen, wodurch diese Systeme in die Lage versetzt werden, Entscheidungsentwürfe in Situationen zu liefern, die über die Daten, auf denen sie trainiert wurden, hinaus verallgemeinert werden können.12
In den letzten zwei Jahrhunderten hat Automatisierung menschliche Arbeit bei Routineaufgaben zunehmend ersetzt, und Menschen konnten einen immer größeren Teil ihrer Arbeitszeit für Entscheidungen einsetzen. Damit einher geht eine zunehmende Knappheit an hoch qualifizierten Arbeitskräften, deren Fähigkeiten durch akademische Bildung, Berufsausbildung und Industrieerfahrung erworben werden. Es wurde die These aufgestellt, dass generative KI diese Knappheit verringern kann, indem sie die Entscheidungsfindung auf weniger hoch qualifizierte Arbeitskräfte verlagert und Arbeitskräfte von Entscheidungsunterstützung auf Entscheidungsfindung umverteilt.13 Auf diese Weise hat die generative KI das Potenzial, den Mangel an hoch qualifizierten Arbeitskräften zu verringern.
Der Versicherer
Auf der Ebene des Versicherungsunternehmens setzt eine Basistechnologie einen Prozess der Entdeckung zur produktiven Nutzung in Gang. Die Fähigkeit der generativen KI, Aufgaben zu übernehmen, die bisher der menschlichen Intelligenz vorbehalten waren, bietet Möglichkeiten zur Substitution auf Aufgabenebene. Obwohl generative KI auf der Aufgabenebene Produktivitätsvorteile bringen kann, liegt der Wert einer Basistechnologie vor allem in der Substitution auf Systemebene. Eine Basistechnologie zeichnet sich dadurch aus, dass sie Innovationen ergänzt und gleichzeitig die finanzielle Rendite der Entwicklung neuer Produktionsprozesse, Organisationsstrukturen und Produkte erhöht. Dieser Prozess der begleitenden Innovation schafft eine Rückkopplungsschleife zwischen der nachgelagerten Anwendung der Basistechnologie und der Technologie selbst. Die Rückkopplungsschleife entfaltet sich über einen längeren Zeitraum, wie die Einführung der Elektrizität und in jüngerer Zeit des PCs zeigt.14
Das Aufkommen einer Basistechnologie kann die Heterogenität von Unternehmen erhöhen. Es ist nur begrenzt vorhersehbar, wie ein neue Basistechnologie angenommen wird, und Unternehmen können sich in ihren Wegen zur Entdeckung der Anwendungsmöglichkeiten unterscheiden. Auch die Kosten und der Nutzen von begleitenden Innovationen können aufgrund von Unterschieden in der Organisationsstruktur von Unternehmen innerhalb einer Branche variieren.15 Eine empirische Studie über die Einführung von Human-Capital-Management (HCM)‑Software in Unternehmen zeigt die Rolle von Komplementaritäten und die Bedeutung von begleitenden Innovationen.16 Die Studie analysiert Daten auf Unternehmensebene über die Implementierung von HCM, Anreizsystemen und Praktiken im Zusammenhang mit Human-Resources (HR)‑Analysen und belegt, dass Unternehmen tendenziell eine höhere HCM‑Software-Einführungsrate aufweisen, wenn sie auch leistungsbezogene Vergütungs- und HR‑Analysepraktiken eingeführt haben. Die Studie zeigt, dass die Einführung von HCM mit deutlichen Produktivitätssteigerungen verbunden ist, wenn es als Teil eines umfassenden Systems organisatorischer Anreize eingesetzt wird, aber weniger, wenn es alleinstehend verwendet wird.
Der Markt
Auf dem Versicherungsmarkt herrscht ein Gleichgewicht zwischen der Nachfrage der Verbraucher nach Versicherungsschutz und dem Angebot. Die daraus resultierenden Preise und Mengen bestimmen in hohem Maße den gesellschaftlichen Wert, den die Versicherungsbranche schafft. Automatisierte, algorithmische Entscheidungsfindung der Versicherer können das Wettbewerbsverhalten und das daraus resultierende Marktergebnis negativ beeinflussen. Dies kann der Fall sein, wenn Preisfindungsalgorithmen stillschweigend Absprachen zwischen Wettbewerbern treffen, indem sie das Preisfindungsverhalten der anderen in die eigene Preisfindung einbeziehen. Der Diskurs über die Auswirkungen der algorithmischen Preisgestaltung auf das Marktergebnis geht über bestimmte Branchen hinaus und spiegelt sich in in mehreren von Regierungsbehörden herausgegebenen Diskussionspapieren wider.17
Ein Team von Wirtschaftswissenschaftlern hat eine empirische Studie über die Auswirkungen der algorithmischen Preisbildung auf das Marktergebnis durchgeführt. Untersuchungsgegenstand ist der deutsche Einzelhandelsmarkt für Motorenkraftstoff, auf dem seit 2017 Software für automatisierte Preisbildung weit verbreitet ist.18 Der Einzelhandelsmarkt für Kraftstoff ist ein lokaler Markt. Auf der Suche nach einer Alternative zur nächstgelegenen Tankstelle müssen die Verbraucher Entfernungen überwinden und dabei Reisekosten in Kauf nehmen. Diese Reisekosten verleihen den Tankstellen eine gewisse Marktmacht in geografischen Gebieten, die von einer einzigen Tankstelle (Monopol) oder zwei Tankstellen in der Nähe, aber weit entfernt von allen anderen Tankstellen (Duopol) bedient werden. Die Studie zeigt, dass die algorithmische Preisgestaltung die Gewinnspannen in duopolistischen und (zuvor) wettbewerbsorientierten Märkten erhöht; in diesen Märkten reagieren die Algorithmen auf die Preisentscheidungen anderer Tankstellen. Auf monopolistischen Märkten, auf denen eine solche Interaktion nicht stattfindet, wurde kein Anstieg der Marge beobachtet. Obwohl diese empirischen Ergebnisse nicht über den deutschen Einzelhandelsmarkt für Motorenkraftstoff hinaus verallgemeinert werden können, zeigt die Studie, dass die algorithmische Preisgestaltung das Potenzial hat, das Marktergebnis in negativer Weise zu verändern.
Schlussfolgerung
Wie der MIT‑Wirtschaftswissenschaftler David Autor feststellte, waren die gesellschaftlichen Anpassungen an frühere Wellen des technologischen Fortschritts weder schnell noch automatisch noch billig, aber sie haben sich ausgezahlt.19
Die historische Erfahrung zeigt, dass die erfolgreiche Einführung generativer KI ein zielgerichtetes Vorhaben ist, das eine Investition erfordert und Zeit braucht. Darüber hinaus deuten Analysen älterer Basistechnologien darauf hin, dass der Großteil der Produktivitätssteigerungen durch generative KI eher auf neu gestaltete Arbeitsabläufe als auf Verbesserungen auf Aufgabenebene zurückzuführen sein wird.