Geht es Ihnen auch so? Irgendwie scheint es ruhiger geworden zu sein im Umfeld der Kfz-Versicherung. Außer den aktuellen Auswirkungen von Covid-19 auf die Branche scheinen alle spezifischen Themen einmal durch den Gesamtmarkt gefegt zu sein, ohne allzu große fundamentale Auswirkungen auf die gewohnte Geschäftsumgebung hinterlassen zu haben. „Business as usual“ ist angesagt, Evolution, Revolution oder gar Disruption – bisher weitestgehend Fehlanzeige.
Nimmt man so manche Berater- oder Zukunftsforscherpräsentation aus der Jahrtausendwende zur Hand, dürfte es uns Kfz-Versicherer in heutiger Form und Struktur insgesamt gar nicht mehr geben. Fairerweise gilt es hierbei anzumerken, dass die damaligen Protagonisten in vielen Bereichen wie der Telekommunikations-, Fotografie-, Musik- bis hin zur Filmbranche richtig gelegen haben: Nokia, Agfa, CDs, Videotheken – alles beispielhafte Institutionen, die heutige Digital Natives eher aus Geschichtsbüchern kennen.
Was aber macht unsere Branche so resistent gegenüber Veränderungen? Oder sind wir gar nicht so unangreifbar, wie der eine oder andere Marktteilnehmer es derzeit vielleicht vermutet? Dieser Artikel widmet sich einerseits der aktuellen Situation in der Kfz-Versicherung und versucht andererseits Erklärungsansätze der bisherigen, im Vergleich zu anderen Branchen eher langsamen und behäbigen Veränderungsrate aufzuzeigen. Dabei darf ein Blick in mögliche Zukunftsszenarien natürlich nicht fehlen.
Beginnen wir mit der Skizzierung der derzeitigen Situation der Kfz-Versicherung: Hierfür liegt es nahe, sich auf objektive Statistiken, Zahlen, Trends bis hin zu aktuariellen Fakten zu konzentrieren.
Beitragseinnahmen wachsen in zehn Jahren um 8 Mrd. Euro
Sehr erfreulich ist die Entwicklung der Brutto-Beitragseinnahmen für die Kfz-Versicherung, die mit ca. 28,5 Mrd. Euro für das jüngst abgelaufene Jahr 2019 einen neuen Rekordwert aufweist. Nachdem die Einnahmen über viele Jahre hinweg nominal um 20 Mrd. Euro (bzw. 40 Mrd. DM) zirkulierten, zeigt sich seit 2010 ein beachtlicher kontinuierlicher Anstieg um mehr als 8 Mrd. Euro, von denen nur ungefähr ein Viertel auf inflationäre Anpassungen zurückzuführen ist.
Unter vollständiger Berücksichtigung der Euro-Inflationskomponente in allen Jahren relativiert sich der absolute Einnahmenrekord aus 2019 allerdings erheblich, da dieses Niveau inflationsbereinigt bereits 2003 schon einmal erreicht wurde. Auch das inflationsbereinigte Allzeithoch der letzten 30 Jahre ist nicht der heutigen Zeit, sondern dem lange zurückliegenden Jahr 1995 zuzuschreiben. In Summe ist der Kfz-Versicherungsmarkt daher eher einem stagnierenden Marktumfeld zuzuordnen – vielleicht sogar mit volkswirtschaftlich leicht rückläufiger Tendenz.
Alles andere als stagnierend entwickelt sich die Anzahl der Risiken. Jahr für Jahr wächst die Zahl versicherter Kraftfahrzeuge um nahezu stabile + 1,5 % an. In absoluten Zahlen betrachtet kommen jedes Jahr ungefähr eine Million Risiken in das Versichertenkollektiv hinzu, sodass der Bestand an Fahrzeugen im Jahr 2019 insgesamt auf über 64 Mio. Stück angestiegen ist. Dieses Wachstum resultiert keineswegs aus neu hinzugekommenen Risikogruppen wie beispielsweise jüngst die Elektro-Kleinstfahrzeuge, vielmehr wächst auch die Anzahl klassischer Pkws in gleicher Relation, sodass alleine aus diesem Segment Jahr für Jahr mehr als 500.000 Fahrzeuge neu hinzukommen.
Im aktuellen Jahr wird der Zuwachs an Risiken und Beitragseinnahmen in üblicher Höhe allerdings ausbleiben. Dies ist weniger auf eine Trendwende als auf die Covid-19-Pandemie zurückzuführen. Sowohl der mehrwöchige „Lockdown“ als auch die andauernde unsichere wirtschaftliche Situation in den kommenden Monaten dürfte die Anzahl an Fahrzeug-Neuzulassungen erheblich reduzieren. Hinzu kommen gewerbliche Fahrzeug-Stilllegungen bedingt durch die sich abzeichnende Rezession sowie temporäre Außerbetriebsetzungen während der Lockdown-Phase. In Summe dürfte der relativ stabile Ausbau des Versicherungsbestands in seiner Dynamik erheblich einbüßen, sodass anstelle der üblichen 1,5 % zusätzlicher Risiken in diesem Jahr nur ungefähr die Hälfte hinzukommen dürfte – in Vollkasko wohl noch weniger, in Teilkasko etwas mehr. Auch bei den Beiträgen scheinen Versicherer ihren Kunden kulant entgegenzukommen, sei es durch beitragsfreie Ruheversicherungen, durch nachträgliche tarifrelevante Kilometerkorrekturen oder durch in Aussicht gestellte Beitragsrückerstattungen. Im Wesentlichen dürften diese Effekte allerdings die zu Beginn dieses Jahres vorgenommenen Beitragsanpassungen lediglich reduzieren. Damit würden die Beitragseinnahmen unter Einrechnung aller Sondereffekte in der Summe noch ungefähr um weitere 100 Mio. Euro ansteigen.
Keine Spur von Shared Economy – Fuhrpark steigt kontinuierlich weiter
Das – abgesehen vom Covid-19-Sondereffekt – anhaltende Bestandswachstum liefert eine erste gravierende Diskrepanz zwischen theoretischen Zukunftsstudien aus vergangenen Jahren und den aktuellen Gegebenheiten. Die dort häufig skizzierte Bewegung der „Shared Economy“, die keinen Wert auf Fahrzeugbesitz legt, die dem Smartphone mehr Bedeutung zuweist als dem Auto und die sich ausschließlich ökologisch und ökonomisch optimiert von A nach B bewegt, hat bis heute keinerlei Einfluss auf den Fahrzeugbestand. Im Gegenteil: Dieser wird weder reduziert noch eingefroren – nein, der Fuhrpark wächst Jahr für Jahr weiter an.
Natürlich soll dies nicht als Gegenthese verstanden werden, dass alle Prognosen und gesellschaftlichen Veränderungsprozesse nicht irgendwann eintreten könnten. Fakt ist jedoch, dass sie bis in die heutige Zeit keinerlei Auswirkungen auf die Kfz-Versicherung besitzen und – sollten Auswirkungen spürbar werden – deutlich langsamer Einzug in unsere Branche halten.
Hinzu kommen einige aktuelle Gegebenheiten, die sogar dafür sprechen, dass die Gefahr des „Risikofortfalls“ auch im mittelfristigen Zeithorizont eher gering einzuschätzen ist. An erster Stelle ist hierbei die Elektrifizierung der Fahrzeuge zu nennen. Bedingt durch begrenzte Reichweiten werden Elektrofahrzeuge dazu führen, bisherige Fuhrparks weitestgehend zu ergänzen statt diese zu ersetzen. Gerade in der Übergangsphase vom Verbrenner hin zum Elektrofahrzeug ist eher von einer Anschaffung als Zweit- oder gar Drittfahrzeug auszugehen, um nicht vollständig von der neuen Technologie abhängig zu sein. Auch die hohen Anschaffungspreise der E-Fahrzeuge dürften eher gut situierte Haushalte ansprechen, die vor Investitionen in (weitere) Zusatzfahrzeuge nicht zurückschrecken.
Weiterhin wird in der derzeitig durch Covid-19 ausgelösten Krisensituation sehr deutlich, welche Schlüsselrolle der Automobilindustrie in Deutschland zukommt und wie sehr an langjährigen Fahrzeugabsatzwerten festgehalten wird. Bereits jetzt ist absehbar, dass Deutschland diese weltweite Vormachtstellung mit allen (politischen) Möglichkeiten so lange wie möglich verteidigen wird. Und obwohl die Kfz-Versicherer nicht aktiv eingegriffen haben, profitieren sie hiervon erheblich – denn jeder Fahrzeugabsatz ist auch künftig mit einer Kfz-Versicherungspolice verbunden. Ob dieses Festhalten am Status quo auch in 50 Jahren noch Aussicht auf Erfolg haben kann, bleibt unbeantwortet. Letztlich führt es aber unweigerlich sowohl heute als auch zukünftig dazu, den Evolutionsprozess bei der Entwicklung alternativer Mobilitätskonzepte deutlich zu verlangsamen.
Schadenhäufigkeit sinkt Jahr für Jahr weiter
Die zweite existenzielle Komponente zum Erhalt der Kraftfahrtversicherung liefert das Schadenaufkommen, das mittels Äquivalenzprinzip unmittelbaren Einfluss auf die Beitragsentwicklung besitzt. Hier zeigt sich relativ schnell die Ursache des Beitragsanstiegs der letzten Jahre, der zu einem großen Teil auf eine überinflationär bedingte Steigerung des Schadendurchschnitts zurückzuführen ist. Doch es gibt auch erfreuliche Nachrichten aus dem Schadenbereich: Nachdem es lange danach aussah, als könne die Schadenhäufigkeit nicht weiter absinken, lässt sich in den letzten drei Jahren wieder ein deutlicherer Rückgang beobachten.
So bettet sich das Schadengeschehen für die Kraftfahrt-Haftpflichtversicherung im jüngst abgelaufenen Jahr 2019 hervorragend in den langfristig beobachteten Trend der Vorjahre ein (siehe Grafik 2). Der Rückgang der Schadenhäufigkeit liegt mit - 2 % gegenüber 2018 ziemlich nah an der mittleren Veränderungsrate der drei Vorjahre 2015 bis 2018. Der Schadendurchschnitt steigt im Jahr 2019 mit + 3 % ein weiteres Jahr im überinflationären Rahmen. Auch dieser Anstieg entspricht der beobachteten mittleren Veränderungsrate vorangegangener Jahre – in diesem Fall sogar von sechs Vorjahren.
Dieser äußerst stabile Schadenverlauf legt eigentlich nahe, den vorherrschenden Trend in das aktuelle Jahr 2020 als Prognose zu übertragen. Die aktuelle Covid-19-Situation überlagert diesen Trend allerdings erheblich und führt im Ergebnis zu ungewöhnlich hohen Schadenentlastungen. Auswertungen von Handy-Bewegungsdaten ergaben im März 2020 bereits einen Rückgang der Mobilität von 20 %, im Lockdown-Monat April ging diese sogar um bis zu 40 % zurück. Unter der Annahme weiterer Mobilitätseinschränkungen bis Ende Juni (15 % im Mai sowie 10 % im Juni) und einer direkten Übertragung der Mobilitätsreduktion auf die Fahrzeugnutzung würde die gemeldete Schadenanzahl des Jahres 2020 im Gesamtjahresvergleich um beachtliche 8 % zurückgehen. Sollte Covid-19 auch Auswirkungen auf das zweite Halbjahr besitzen – was nicht unwahrscheinlich ist –, könnte die Anzahl an Schäden sogar um bis zu 13 % gegenüber dem Vorjahr zurückgehen – und hierbei wäre ein etwaiger zweiter Lockdown noch nicht einmal berücksichtigt.
Abgesehen von der temporären Mehrwertsteuerabsenkung bis zum Ende des Jahres 2020 sind Auswirkungen von Covid-19 auf den Schadendurchschnitt eher weniger zu erwarten. Dabei dürfte der eingeräumte Steuervorteil für die Kfz-Versicherung weitaus geringer ausfallen als der rein rechnerische Effekt von 1,3 %. Fiktive Abrechnungen bleiben hiervon vollständig unberührt; darüber hinaus bleibt offen, inwieweit Entschädigungsleistungen gemäß Steuervorteil vollumfänglich reduziert werden. In Summe dürfte der langjährige Trend der Schadendurchschnittsentwicklung mit + 3 % pro Jahr leicht abgemildert werden, sodass sich unter Einrechnung des Mehrwertsteuereffektes eine Schätzung von + 2,5 % für 2020 ergibt.
Hieraus resultiert ein Covid-19-bedingter Rückgang des Schadenbedarfes um mindestens 5%. Sollten auch in der zweiten Jahreshälfte jeden Monat 10% weniger Schäden auftreten, würde die Schadenbedarfsreduktion sogar auf 10 % ansteigen.
Langfristig nimmt die Bedeutung des Schadenbedarfs signifikant ab
Neben der Schadenentwicklung jüngerer Jahre wird in der Grafik auch die langfristige Entwicklung der Kraftfahrt-Haftpflichtversicherung in den letzten 30 Jahren seit der deutschen Wiedervereinigung dargestellt. Hintergrund dieser Betrachtung sind von Zeit zu Zeit aufkommende Studien zur Zukunft der Kfz-Versicherung, die diese aufgrund stark rückläufiger Schadenaufkommen zunehmend infrage stellen. Um die dort enthaltenen Ableitungen und Ergebnisse besser einordnen zu können, hilft ein Blick auf die Schadenstatistik der letzten 30 Jahre, die im Gegensatz zu Studien keinen Modellcharakter besitzt, sondern auf gemessenen Zahlen basiert.
So ist die Schadenhäufigkeit in den letzten 30 Jahren um mehr als 40 % zurückgegangen, und gerade die beobachteten Rückgänge jüngerer Jahre legen eine ungebremste Fortsetzung dieses Trends nahe. Sollten Zukunftsstudien zur Schlussfolgerung gelangen, dass Schäden gravierend zurückgehen könnten, ist dieses keineswegs ein Horrorszenario, sondern ergibt sich rein durch Fortschreibung der letzten 30 Jahre. Interessanterweise ist über diese lange Periode hinweg auch der Schadendurchschnitt allenfalls in Höhe der normalen Verbraucherinflation gestiegen und liegt nach 30 Jahren inflationsbereinigt gerade einmal wenige Prozentpunkte oberhalb des Startwerts von 1991. Damit relativiert sich die zu Beginn der Jahrtausendwende aufgeworfene Befürchtung einer „super imposed inflation“ für KH-Großschäden zumindest in der Form, dass der Gesamtaufwand in Summe kaum oberhalb der normalen Inflationsrate angestiegen ist. Auch der seit 2013 beobachtete überinflationäre Schadendurchschnittsanstieg von ca. 3 % pro Jahr resultiert schwerpunktmäßig aus dem Sachschadenbereich (Stichwort „Ersatzteile“) und weniger aus dem Personen-Großschadensegment.
Allein die lineare Trendfortschreibung der letzten 30 Jahre ergibt für das Jahr 2050 einen Rückgang des heutigen endabgewickelten Pkw-KH-Schadenbedarfs von 215 Euro auf kaufkraftbereinigte 130 Euro. Solch ein drastischer Rückgang des Risikoanteils der Prämie dürfte weitreichende Folgen auf die Versicherungslandschaft besitzen, da Risikosegmentierung und risikoadäquate Schadenbedarfsermittlung an Bedeutung abnehmen könnten, Kostenparameter hingegen sicherlich in ihrer Relevanz zunehmen werden.
Stabile Schadentrends auch in der Fahrzeug-Kaskoversicherung
In der Vollkaskoversicherung zeichnet sich speziell in den letzten zehn Jahren ein gegenüber Haftpflicht nahezu identisches Bild ab, vor allem, wenn die Volatilität der Elementarschadenkomponente aus der Schadenhäufigkeit und dem Schadendurchschnitt herausgerechnet wird (siehe Grafik 3).
Auch in der Vollkaskosparte wurden für das jüngst abgeschlossene Jahr 2019 die mittleren Veränderungsraten der Vorjahre sehr gut getroffen und damit die derzeit sehr stabile Trendentwicklung bestätigt. Die Schadenhäufigkeit ist stabil rückläufig mit - 1,5 %, der Schadendurchschnitt steigt auch hier überinflationär um 3,5 % an. Die Auswirkungen von Covid-19 übertragen sich analog zu Haftpflicht auch auf die Nichtelementarschäden der Vollkasko und führen dort ebenfalls als Prognose zu einem Rückgang der Schadenhäufigkeit um 8 % bis zu 13 % für 2020, je nachdem, welche Annahme für das zweite Halbjahr greift.
2019 ist ein gutes Referenzjahr für Elementarschäden, da der langjährige Erwartungswert fast in Form einer Punktlandung getroffen wurde. Dieser realisierte Erwartungswert im Jahr 2019 ist auch die Hauptursache dafür, warum der Schadenbedarf für alle Vollkaskoschäden 2019 gegenüber dem elementararmen Vorjahr 2018 um 6 % angestiegen ist. Unter Fortschreibung des Erwartungswerts für Elementarschäden im aktuellen Jahr 2020 würde der Covid-19-Effekt den Vollkasko-Schadenbedarf in Summe um mindestens 4 % bis hin zu 9 % absinken lassen.
Zur Vervollständigung der Kraftfahrtsparten sei abschließend die Teilkasko erwähnt, die aufgrund ihres sehr kleinen Anteils am gesamten Kraftfahrtgeschehen hier nur stark zusammengefasst betrachtet wird. Auch für diese Sparte bestätigen sich die sowohl in Haftpflicht als auch in Vollkasko dargestellten Sachverhalte, wobei das Elementarschadengeschehen hier aufgrund des Deckungsumfangs stärkeren Einfluss auf die Schadenentwicklung besitzt. Dieser gewichtigere Elementarschadenanteil ist auch die Hauptursache des stärkeren Schadenbedarfsanstiegs im Jahr 2019 in Höhe von + 11 % (gleichbedeutend mit absoluten 5,50 Euro) und einem geringeren Covid-19-verursachten Abfall im Prognosejahr 2020 um mindestens ca. 3 % bis hin zu 7 % bei weiteren Covid-19-Auswirkungen im zweiten Halbjahr.
Covid-19 beschert hohe versicherungstechnische Gewinne
Zusammengefasst wird die Covid-19-Situation verbunden mit den ausbleibenden Schäden wahrscheinlich zum besten versicherungstechnischen Ergebnis der letzten 15 Jahre führen. Allein durch das erste Halbjahr dürfte 2020 ein versicherungstechnisches Ergebnis von + 5 % als Summe aller Kraftfahrtsparten nahezu garantiert sein. Sollten die Auswirkungen von Covid-19 auch in das zweite Halbjahr ausstrahlen, ist ein Ergebnis von bis zu + 9 % bei durchschnittlicher Elementarbelastung zu erwarten. Damit bricht das Ergebnis bedingt durch den einmaligen Sondereffekt aus dem langjährig anhaltenden Trend aus, nur leicht positive Erträge zu erwirtschaften, deren Höhe in den letzten sieben Jahren hauptsächlich aufgrund der Elementarbelastungen variierten. Im Übrigen hätte das Jahr 2020 ohne Covid-19 ein lediglich ausgeglichenes Ergebnis nahe einer schwarzen Null erwirtschaftet, da die Durchschnittsbeiträge bereits stagnierten und damit die langfristige Schadeninflationen das Ergebnis um zwei Prozentpunkte verschlechtert hätten. Diese „as-if“-Betrachtung für das Jahr 2020 ist äußerst wichtig für die zukünftige Positionierung in der Kfz-Versicherung, da dieses die Ausgangssituation für eine „Welt nach Covid-19“ darstellt. Sollten Versicherungsunternehmen mit dem Gedanken spielen, derzeitige positive (Einmal-)Erträge in Form abgesenkter Tarife an Kunden weiterzugeben, hätte dieses große Verluste zur Folge, sofern das Schadenaufkommen auf Deutschlands Straßen nach Covid-19 der Situation vor Covid-19 gleicht.
Digitale (R)Evolution oder Disruption in der Kfz-Versicherung?
Nachdem die aufgezeigten Zahlen, Entwicklungen und Ausblicke – abgesehen von der aktuellen Covid-19-Situation – sehr viel Konsistenz für die deutsche Kraftfahrtversicherung aufgezeigt haben, stellt sich unweigerlich die Frage nach der digitalen (R)Evolution? Ist sie lediglich im Vergleich zu anderen Bereichen wie beispielsweise der Mobilfunk-, Foto-, Musik- oder Filmbranche aufgeschoben und findet im Versicherungswesen nur verspätet innerhalb der nächsten Jahre statt? Oder bleibt sie abgesehen vom digitalen Versicherungsvertrieb sowie der digitalen internen Prozessoptimierung letztlich gänzlich aus?
Natürlich kann diese Grundsatzfrage abschließend und allumfassend nicht beantwortet werden, und dieser Artikel besitzt auch hierzu nicht den Anspruch. Trotzdem soll versucht werden, sich mittels einiger aufgestellter Thesen der Fragestellung zumindest zu nähern, um sich dann ein besseres Meinungsbild zu verschaffen. Selbstverständlich kann jede der aufgestellten Thesen angezweifelt und kritisch hinterfragt werden – auch hierzu sollen die nachfolgenden Ausführungen explizit anregen.
Risikofortfall durch vollautonome Fahrzeuge bleibt noch länger Utopie
Beginnen möchten wir mit der positiven Einschätzung, dass die klassische Kraftfahrtversicherung in Form der überwiegend relevanten Verschuldenshaftung des Fahrers noch „sehr lange“ erhalten bleibt. Wurde noch vor Jahren vollmundig angekündigt, das autonome Fahrzeug ohne Pedal und Lenkrad stünde unmittelbar bevor (so z. B. Ford für 2021, Tesla für 2020), ist es doch merklich ruhiger geworden in der Berichterstattung. Obwohl die StVO-Novelle von 2017 die Übertragung der Verantwortung vom Fahrer auf das Fahrzeug in gewissen Anwendungsbereichen zulässt, gibt es nach wie vor kein Level-3-Fahrzeug auf deutschen Straßen. Die Entwicklungen konzentrieren sich stark auf den Ausbau von Level-2-Assistenten, bei denen die Verantwortung uneingeschränkt beim Fahrer verbleibt. Viele Automobilhersteller scheinen die Verantwortungsübernahme zu scheuen, wie jüngst Audi mit der Zurückziehung eines Level-3-Staupilotsystems zum Ausdruck brachte. Stattdessen versuchen viele Hersteller, den Hybridmodus Level 3 wegen der komplexen Übernahmesituation zwischen System und Fahrer direkt zu überspringen, um damit auf Level 4 überzugehen – was die technischen Herausforderungen nicht einfacher gestaltet. Zunehmend stellt sich die Frage, ob autonome Systeme ab Level 4 ohne eine digitale Aufrüstung von Infrastrukturen wie Ampeln, Straßen, Kreuzungen usw. überhaupt betrieben werden könnten. Die positive Antwort der Silicon-Valley-Start-up-Community hierauf ist schnell zu finden. Allerdings befindet sich diese häufig im Widerspruch zu deutschen Ingenieuren, die analog zur internationalen Start-up-Szene ebenfalls ehrgeizig an 100%ig funktionierenden Lösungskonzepten arbeiten. Was eine Fehlertoleranz jenseits einer 100-Prozent-Lösung bedeutet, musste auch das Silicon Valley leidvoll mittels einzelner Tesla- und Uber-Unfälle zur Kenntnis nehmen, wodurch die Entwicklung auf diesem Gebiet wahrscheinlich um Jahre zurückgeworfen wurde. Hier zeigt sich das Grundproblem einer marktweiten Einführung autonomer Fahrzeuge: Fehler eines Menschen werden toleriert, Fehler eines Computers hingegen nicht, wie auch die Debatte zur „Moral Machine“ (wer darf im Falle einer nicht vermeidbaren Kollision umgefahren werden) eindrucksvoll unterstreicht. Allein dieser Sachverhalt dürfte dazu führen, das Fahrzeuge mit verantwortlichen Fahrern noch sehr lange das deutsche Straßenbild dominieren dürften – mit entsprechender Kfz-Versicherung im Hintergrund.
Fahrzeugdaten werden in der Kfz-Versicherung zunehmend wichtiger
Unabhängig vom Autonomiegrad der Fahrzeuge dürfte die Bedeutung von Fahrzeugdaten bei der Bewertung versicherungstechnischer Risiken deutlich ansteigen. Dies ist keine Errungenschaft der Versicherungsindustrie oder gar eine Produktinnovation, sondern primär allein darauf zurückzuführen, dass durch die Fahrzeugdigitalisierung zahlreiche neue Informationen generiert werden, die bisher nicht verfügbar waren. Mit der Existenz der neuen Daten ist jedoch der Zugriff keineswegs gewährleistet, zumal im Dreiecksverhältnis Kunde (als Besitzer), Hersteller (als Generator) und Versicherer (als Risikoträger) noch zu klären ist, wer, wann, wo und wie auf die Daten zugreifen kann bzw. darf.
Darüber hinaus besteht in der Branche zwar Einigkeit darüber, dass gewisse Fahrzeuginformationen einen Mehrwert zur exakteren Risikoeinschätzung besitzen – über deren Höhe, Merkmalsauswahl und Signifikanz gehen die Meinungen aber deutlich auseinander. Einige Marktteilnehmer sehen den Gehalt der Daten als so bedeutend an, dass sie hierin den kritischen „Game Changer“ zur Absicherung ihrer Positionierung als Kfz-Versicherer sehen. Deshalb sind sie auch bereit, die sehr hohen Kosten der (eigenen) Datengenerierung als Kern einer Überlebensstrategie zu investieren. Andere Marktteilnehmer hingegen schätzen die Situation weitaus weniger bedrohlich ein und rechtfertigen ihr eher reaktives Verhalten mit einer ungünstig ausfallenden Kosten-Nutzen-Bewertung. Gerade die letztgenannte Relation liefert den entscheidenden Schlüssel für den zukünftigen Einsatz von Fahrzeugdaten: Was kostet der Zugriff bzw. die Generierung dieser Informationen und welche risikotechnischen Vorteile lassen sich hieraus ableiten? Viele Parameter zur Beantwortung dieser Frage sind offen und unklar, zusätzlich erschwert das bereits ausgeführte prognostizierte generelle Abnehmen des Schadenaufwands pro Risiko eine Gesamtbewertung.
Unstrittig dürfte sein, dass die derzeit im Vordergrund stehenden „dynamischen Tracking-Daten“ in Form angebotener Telematikprodukte hinsichtlich Beschaffung und Auswertung aufwendig und teuer ausfallen. Die Versicherungsbranche setzt hier bewusst auf eigenständig entwickelte Infrastrukturen, um sich von den Herstellersystemen abzugrenzen, wohl wissend, dass es sich aufgrund ausbleibender Skalierungseffekte nur um eine Übergangstechnologie handelt. Neben dieser kostenintensiven Kategorie dynamischer Fahrparameter existiert eine weitere Kategorie statischer Fahrzeuginformationen, die durchaus Potenzial besitzen, allerdings vom Markt weniger Beachtung finden. So könnten beispielsweise Aufbauart, Fahrzeugart, Antriebsart, Motorwahl, Sitzanzahl, Fahrzeugwerte, Tuning-Komponenten, Fahrzeugausstattungen bis hin zu Art und Umfang eingebauter Level-2-Assistenzsysteme ebenfalls einen erheblichen Beitrag zur erweiterten Risikodifferenzierung leisten. Auch diese Informationen erfordern eine Investition, sei es durch umfangreiche Kundenbefragungen oder über den Einkauf bei externen Datenanbietern. Allerdings wäre diese je Fahrzeug einmalig zu erheben (statisch) und damit in Summe sicherlich deutlich kostengünstiger als telematische Tracking-Konzepte. Nicht unwahrscheinlich ist eine hohe Korrelation dieser statischen Fahrzeuginformationen zu den dynamischen Telematikparametern, sodass sich unweigerlich die Frage stellt, ob die aufwendigen Telematikinformationen nicht in erheblichem Maße durch spezifische Ausstattungsmerkmale substituiert werden könnten. Vielleicht könnte über die individuelle Fahrzeugspezifikation sowohl die spezielle Verwendungsart, die Sportlichkeit der Fahrweise und sogar die Einhaltung von Verkehrsregeln so gut modelliert und prognostiziert werden, dass eine reale Fahrzeugüberwachung obsolet würde.
Selbst wenn diese These nicht zutrifft, sollte der zusätzliche Einsatz einiger statischer Fahrzeugdaten erwogen werden, um telematische Parameter besser auf entsprechende Fahrzeuge kalibrieren zu können. Denn die richtige und damit risikogerechte Interpretation von gemessenen G-Kraft-Werten dürfte in erheblichem Maße davon abhängen, ob sie von einem Kleinstwagen oder (im anderen Extrem) von einem hoch motorisierten Sportwagen erzeugt wurden. In diesem Beispiel mittels aufwendiger Technologie nachzuweisen, dass letztgenanntes Fahrzeug einer sportlicheren Fahrweise unterliegt, dürfte wohl eher „in der Natur der Sache“ begründet liegen – die sowohl durch Fahrzeugspezifikation, Fahrerklassifikation bis hin zu sozialen Umfeldkompositionen umfangreich beschrieben werden kann und damit auch jedem Versicherer als Risikobewertungsmaß vorliegt.
Abschließend sei auf eine weitere wichtige Datenkategorie hingewiesen, die derzeit ausschließlich den Fahrzeugherstellern vorbehalten scheint: die dynamischen Fahrzeug-Betriebsdaten der einzeln verbauten Fahrzeugkomponenten. Hierunter fallen beispielsweise Umgebungstemperaturdaten zur Antriebsoptimierung, Regensensoren zur Steuerung der Scheibenwischer, Abstands- und Verkehrsüberwachungssensoren zur Steuerung der Level-2-Assistenzsysteme bis hin zu Informationen, welche (Assistenz-)Systeme wann, wo und in welchem Umfang genutzt werden. Allein diese Aufzählung verdeutlicht, welchen Mehrwert diese Informationen zur richtigen Interpretation der externen telematischen Datensammlungen generieren würde. Gleichzeitig verdeutlicht diese Auflistung die Überlegenheit der bordeigenen Elektronik gegenüber sämtlichen Lösungsansätzen der Versicherungsindustrie.
Der von einigen Unternehmen befürchtete „Game Changer“ läge allenfalls unter Einbeziehung sämtlicher vom Fahrzeug generierter Daten vor, da nur im Zusammenspiel aller verfügbaren Informationen beobachtete Fahrereignisse und Manöver risikotechnisch „richtig“ interpretierbar wären. Noch scheint der Versicherungsindustrie ein langer Weg bevorzustehen, um an alle diese Daten in Form eines Echtzeit-Trackings heranzukommen. Und selbst wenn dieses gelingen sollte, bleibt am Ende das Kosten-Nutzen-Verhältnis offen. Denn mit dem Datenbezug geht auch die sukzessive Weiterentwicklung an (teilautonomen) Fahrzeugassistenten einher, die zunehmend Fehlverhalten von Fahrern korrigieren, Unfälle somit verhindern und damit sowohl Schadenhäufigkeit als auch Risikoprämien immer weiter reduzieren. Damit nimmt die mögliche Risikodifferenzierung zwar nicht relativ, aber absolut in Euro mehr und mehr ab.
Wie viel(e) Ökosystem(e) verträgt ein Kunde?
Das mögliche Potenzial der Fahrzeugdaten liefert eine zusätzliche Motivation für Kfz-Versicherer, sich mit Kooperationsansätzen von Fahrzeugherstellern intensiver auseinanderzusetzen. Natürlich ist dieser Ansatz alles andere als neu, schließlich ist damit bereits seit mehreren Jahr(zehnt)en ein exklusiver Zugang zu bestimmten Fahrzeugmarken verbunden – und damit je nach Hersteller ein beachtliches Volumen an verkauften Kfz-Versicherungspolicen garantiert. Neben diesen vertrieblichen Anreizen kommen nun aber auch digitale Motivationsansätze hinzu, sei es durch die Möglichkeit eines bevorzugten oder sogar erweiterten Zugriffs auf besagte Fahrzeugdaten bis hin zu einer Einbettung des eigenen Versicherungsangebots in digitale Ökosysteme der Hersteller. Durch die inzwischen übliche Fahrzeugvernetzungstechnologie erwerben Neuwagenkäufer zunehmend neben dem physischen Fahrzeugkauf auch den Zugang zu einer digitalen Plattform „rund um ihr Fahrzeug“, mit der alle Garantie-, Service-, Wartungs- und Dienstleistungsaspekte mittels einfacher App-Steuerung gebündelt werden. Natürlich liegt es nahe, auch alle versicherungsspezifischen Fahrzeuganforderungen in solch einer digitalen Plattform abzubilden. Aus Kundensicht würde damit die notwendige Kfz-Versicherung quasi aus einer Hand direkt vom Hersteller aus angeboten – sicherlich eine sehr bequeme und damit für viele Kunden auch reizvolle Alternative zur eigenen Wahl der Kfz-Versicherung.
Interessanterweise entwickelt sich auch dieser Ansatz eher langsam und damit evolutionär, obwohl revolutionäres oder gar disruptives Potenzial durchaus gegeben wäre – nicht für die Kfz-Versicherung an sich, aber für die Verteilung der Geschäftsfelder. Dabei wäre die technologische Möglichkeit der Umsetzung uneingeschränkt gegeben. Die Gründe einer eher behäbigen Ausweitung dieses Geschäftsfelds sind wohl eher außerhalb des Digitalisierungssektors zu suchen. Hier stellt sich zunächst die Frage nach der generellen Akzeptanz von Ökosystemen beim Kunden. Möchten diese beim Fahrzeugkauf wirklich alle Belange rund um ihr Fahrzeug abgedeckt haben? Liegt nicht eventuell gerade in der Vielfältigkeit der Ökosysteme das grundlegende Problem: Sie kennen keine Grenzen! Gerade digitale Ökosysteme sind prädestiniert für grundsätzlich spartenübergreifende Angebote, da sie mittels Schnittstellentechnologie unterschiedlichste Wirtschaftszweige anbinden können. Hierdurch werden mehr und mehr Angebote geschaffen, die sich zunehmend von der eigentlichen Verbraucherentscheidung, also dem reinen Fahrzeugerwerb, entfernen. Für viele Kunden könnte hier schon die seitens der Ökosysteme vorgegebene Versicherungswahl zu viel der Bevormundung sein, mit der Folge, dass die Akzeptanz solcher Systeme schwindet.
Speziell in den herstellerbetriebenen Ökosystemen erschwert zusätzlich eine gegensätzliche Interessenlage den Ausbau des Versicherungsgeschäfts. Dabei liegen die Interessen der Hersteller u. a. in hohen Provisionen, günstigem Versicherungsschutz, größtmöglichen Deckungsumfängen und vor allem in zahlreichen Fahrzeugreparaturen ihrer eigenen Werkstätten. Die Interessen der Kfz-Versicherer liegen in allen diesen Punkten komplementär auseinander und erschweren damit eine ausgewogene Partnerschaft. Einige Markteilnehmer versuchen diese Konfliktsituation mit integrativen Konzepten aufzulösen, beispielsweise Volkswagen und Allianz im Rahmen einer Joint-Venture-Gründung oder Toyota mit der konzerneigenen Versicherungsaktivität Aioi. Dabei ist schon jetzt zu erkennen, dass sich mit einer zunehmenden Integrität des Lösungsansatzes auch ein wachsender evolutionärer Erfolg des Kooperationsansatzes einstellt. Nur dann ist auch eine gemeinsame technologische Entwicklung denkbar, die es einem Autohaus ermöglicht, mit wenig Zusatzaufwand Kfz-Versicherungsprodukte hinzuzufügen.
API in der Kfz-Versicherung bedeutet Verlust der Kundenschnittstelle
Neben den Ökosystemen der Hersteller existieren natürlich zahlreiche weitere (digitale) Ökosysteme mit entsprechenden Kooperationsmöglichkeiten. In erster Linie handelt es sich dabei um E-Commerce-Plattformen, die entweder zielgerichtet für spezielle Kundengruppen in Form einer Community-Plattform geschaffen werden oder alternativ sehr breit aufgestellt sind und sich damit zum allumfassenden Shopping-Kanal analog zu Amazon oder Ebay entwickeln. Für die Kfz-Versicherung stehen insbesondere die Aggregatoren im Fokus, von Verbrauchern auch gerne als Vergleichsplattformen bezeichnet. Auch diese Plattformen decken im Regelfall mehrere Wirtschaftsbereiche ab und stellen sich damit ebenfalls breit im Produktangebot auf, liefern aber für jeden einzelnen Bereich gezielte Vergleichsfunktionen mit einer Bewertungs- und Rankingfunktion. Gerade in der Kfz-Versicherung ermöglicht dieser Ansatz eine breite Zusammenstellung eines möglichst umfangreichen Marktangebots, um dieses dann in Form eines Preis-Leistungs-Vergleichs gegenüberstellen zu können. Fast die Hälfte des ca. zwei Mio. Kunden umfassenden Jahresend-Wechselgeschäfts nutzte im letzten Jahr Aggregatoren als Entscheidungshilfe zur Auswahl geeigneter Kfz-Versicherer. Damit sind sie für viele im Direktmarkt operierende Versicherer der wichtigste Vertriebskanal.
Alle hier genannten Kooperationsansätze mit Fahrzeugherstellern, Communitys, Shopping-Kanälen bis hin zu Aggregatoren besitzen eine grundlegende Gemeinsamkeit: Der Risikoträger tritt in den Hintergrund! Sofern die Kfz-Versicherung mittels einer digitalen API-Schnittstelle in solche Systeme eingesteuert wird, mutiert die Versicherungsindustrie automatisch zum reinen Zulieferer. Der Zugang zur Kundenschnittstelle ist damit in vielen Konstellationen keine Selbstverständlichkeit mehr, und eine Mitgestaltung der strategischen Ausrichtung von Kundenansprachen vielleicht sogar aussichtlos. Diese Degradierung zum reinen Produktlieferanten dürfte für viele Kfz-Versicherer durchaus revolutionäres Gedankengut darstellen, da das Selbstverständnis der aufgebauten Marke stark mit Eigenständigkeit und Unabhängigkeit verbunden ist. Aber sie dürfte nicht zu verhindern sein, sofern digitale Vernetzungsstrukturen ungebremst auf dem Vormarsch sind. Eine autarke eigene Branchenaufstellung passt nicht in ein Ökosystem, das auf ein Miteinander der angeschlossenen Partner setzt. Damit erfolgt automatisch eine gemeinschaftliche Ausrichtung verbunden mit entsprechenden Kompromissen für jeden einzelnen Teilnehmer. Speziell größere Versicherungsunternehmen begegnen diesem Bedrohungsszenario immer mal wieder mit der Idee, ein eigenes Ökosystem aufbauen und damit auch kontrollieren zu wollen. Viel Hoffnung darf man dort allerdings nicht hineinsetzen, da eine Versicherung in einem branchenübergreifenden Verbund niemals das wichtigste Produkt darstellen kann. Besonders die digitale Vernetzungskomponente führt unweigerlich dazu, dass Fahrzeuge und deren Absicherung zu einem ganzheitlichen Produkt verschmelzen. Bei einer solchen Zusammenführung wird grundsätzlich das materielle Produkt „zum Anfassen“ in den Fokus geraten, die versicherungstechnische Absicherung hingegen lediglich einen Annex dieses Hauptprodukts bilden. Sollten Zweifel an dieser These bestehen, folgendes abschließendes Beispiel: Ein Kunde entscheidet sich für ein Auto und überlässt dem Hersteller die Wahl einer hierzu passenden Kfz-Versicherung – für uns als Versicherer sicherlich keine Wunschsituation, aber durchaus denkbar. Ein Kunde entscheidet sich für eine Kfz-Versicherung, und der Kfz-Versicherer sucht für den Kunden ein passendes Auto – selbst für Anhänger der Science-Fiction ist dies wohl eher Utopie.
Digitalisierung macht Kfz-Versicherung nicht attraktiver
Am Ende kommt der Branche im Hinblick einer ausbleibenden Revolution oder gar Disruption vielleicht ein Vorteil zugute, der sich eigentlich gar nicht so vorteilhaft anhört: Kfz-Versicherung ist ein immaterielles, unattraktives, aber notwendiges Produkt. Einige sprechen in diesem Zusammenhang sogar von einem „Schmerzprodukt“, was den Sachverhalt sicherlich sehr drastisch darstellt, dafür jedoch ungeschönt und mit klarer Vorstellung zusammenfasst. Kfz-Versicherung ist für die meisten Konsumenten ein „notwendiges Übel“, um das konfigurierte attraktive „Hauptprodukt Auto“ auf öffentlichen Straßen benutzen zu dürfen – nicht mehr und nicht weniger. Dieser ungeschönte Gedanke findet durchaus Zustimmung in der Branche, sofern einige „Innovationen“ der letzten Jahre als Maßstab herangezogen werden. Anders ist das „sportliche Duell“ der Branche, wer die kürzeste und damit schnellste Antragsstrecke aufweist, wohl kaum zu erklären. Mit Hochdruck wird daran gearbeitet, möglichst wenige Fragen zu stellen und klare Produktlinien anzubieten, damit ja kein Kunde während des Kaufprozesses die Lust am Abschluss verliert. Speziell in den digitalen Vertriebswegen scheint der Hauptfokus darauf zu liegen, den „Schmerz“ des Kunden möglichst minimal zu gestalten.
Was dabei gerne übersehen wird: Den geringsten „Schmerz“ erfährt der Kunde, wenn er Auswahl, Entscheidung und Abschluss an jemanden überträgt, der ihm jegliche Auseinandersetzung mit der Kfz-Versicherung abnimmt. Da hierfür das Vertrauensverhältnis an erster Stelle steht, scheiden Chatbots bis hin zu sprachgesteuerten Assistenten wie beispielsweise Alexa bei dieser Wahl aus. Aus heutiger Sicht kommen hierfür nur reale Vertrauenspersonen wie Agenten, Makler oder sonstige persönliche Berater infrage, und es scheint auch nicht unplausibel, dass dieses auf längere Sicht auch so bleiben könnte. Trotz fortschreitender Digitalisierung dominierte im abgelaufenen Jahr der Verkauf von Kfz-Policen über einen persönlichen Vertriebsweg mit einem beachtlichen Geschäftsanteil von fast 75 %. Solange das Grundprodukt Versicherung nicht an Attraktivität gewinnt, ist auch keine grundlegende Änderung des Status quo zu erwarten. Auch künftig dürfte für viele Kunden die Delegation von Versicherungsangelegenheiten an eine Person, die sich damit auskennt und einem selbst die Beschäftigung damit abnimmt, ein weit verbreiteter Umgang mit dem Thema sein.
Am Ende doch Revolution oder Disruption in der Kfz-Versicherung?
Die entscheidende Frage des Aufbruchs der Kfz-Versicherung in „neue Zeiten“ dürfte sein, ob eine Innovation oder gar disruptive Entwicklung das Produkt „Kfz-Versicherung“ für Kunden spannender und erlebnisreicher gestalten kann. Aus heutiger Sicht lässt sich diese Frage abschließend nicht beantworten. Allerdings lassen derzeitige Lösungsansätze und Projektaktivitäten große Zweifel aufkommen, ob es überhaupt gelingen kann, Kfz-Versicherung attraktiver zu gestalten. Sowohl die „old economy“ klassischer Kfz-Versicherer als auch die „new economy“ der Start-up-Szene arbeiten mit hoher Kreativität an neuen Konzepten zur Aufwertung der Kfz-Versicherung. Die Ergebnisse hieraus sind vielfältig, beispielsweise in Form von Produktindividualisierungen für Zielkunden, situativen Versicherungskonzepten mit dynamischen An- und Abwahlmöglichkeiten bis hin zu den bereits skizzierten digitalen Versicherungslösungen, in denen mittels Boxen oder Handys Fahrzeuge überwacht werden, um positives Fahrverhalten nachweisen zu können. Hinzu kommen „Faceliftings“, wie Versicherungsmarken mit frischen Farben, modernen Labels und Logos zu versehen, gegebenenfalls technologisch neu aufzustellen und Kunden mittels persönlicher „Hey du“-Kommunikation modern und paritätisch anzusprechen.
Unbestritten dürften die meisten dieser Ansätze Kfz-Versicherungen maßgeschneiderter auf Kundengruppen zuschneiden und damit sicher auch das Preis-Leistungs-Verhältnis deutlich besser an individuelle Kundenbedürfnisse anpassen. Ein großes Problem ist aber allen diesen genannten Ansätze gemein: Die Kfz-Versicherung wird damit weitaus komplexer, und im Regelfall müssen sich Kunden noch intensiver mit der Materie auseinandersetzen. Dies steht in unmittelbarem Widerspruch zu dem oben genannten Ansatz, Kfz-Versicherung zu simplifizieren, um den „Schmerz“ zu lindern.
Zusammenfassend scheint keiner der bisher entwickelten Ansätze dazu zu führen, bei Konsumenten Glücksgefühle wie beispielsweise bei einer Auslieferung eines fabrikneuen Fahrzeugs auszulösen. Solange diese Situation anhält, werden wir im Markt zwar evolutionäre Verschiebungen bei Vertriebswegen sehen und vielleicht auch eine revolutionäre Entwicklung im Hinblick der Stellung und der Aufgabenverteilungen von Kfz-Versicherungsunternehmen in gesamtwirtschaftlichen Verbünden. Eine Disruption des eigentlichen Versicherungsprodukts scheint hingegen nicht in Sicht, sodass die klassische Kfz-Versicherung zur Abdeckung von Haftpflicht- und Kaskoschäden sicherlich auf unbestimmte Zeit erhalten bleiben dürfte.