Einleitung
Die erste formale Risikolebensversicherung wurde am 18. Juni 1583 auf das Leben des Briten Walter Gybbons geschlossen. Die Versicherungssumme betrug 382 Pfund bei einem Jahr Laufzeit. Andere Absicherungsformen auf das Leben eines Menschen gab es sogar noch früher,1 beispielsweise im antiken Rom eine Versicherung, die man heute als Sterbegeldversicherung bezeichnen würde.
Damit ist die finanzielle Absicherung gegen das Ableben eines Menschen eine der ältesten Versicherungsformen der Welt. Und dies zu Recht: Die Risikolebensversicherung ist ein Produkt, dessen Sinn und Nutzen allgemein anerkannt ist. Auch Verbraucherschützer zählen die Risikolebensversicherung regelmäßig zu den Produkten, die empfohlen werden. Sie sichert Partner oder Familie für den Ernstfall gegen finanzielle Engpässe ab. Nicht selten wird die Absicherung im Zusammenhang mit der Immobilienfinanzierung abgeschlossen.
Diese aus Vertriebssicht eigentlich sehr gute Ausgangslage für den erfolgreichen Verkauf wurde lange in der Breite der Versicherer nicht genutzt, da andere Produkte wie z. B. kapitalbildende Produkte im Fokus standen. Durch die schwierige Entwicklung an den Kapitalmärkten sowie durch neue Bewertungsansätze für Risiken, wie sie durch das neue Regime Solvency II eingeführt wurden, ist die Biometrie und damit auch die Risikolebensversicherung wieder stärker in den Vordergrund gerückt.
Im Folgenden werfen wir einen Blick auf die neuesten Entwicklungen beim Produktdesign und Pricing von Risikolebensversicherungen in Deutschland.
Produktdesign
Spätestens seit Veröffentlichung der Sterbewahrscheinlichkeitstafel DAV 2008 T NR/R haben fast alle Versicherer sukzessiv auf Risikoversicherungen umgestellt, die nach dem Rauchverhalten differenzieren. Direktversicherer, die traditionell bedeutende Marktteilnehmer im Risikolebenmarkt in Deutschland sind, sind im Produktdesign schon früh weitere Schritte gegangen.
Ein bedeutender Schritt war dabei die Einführung von zwei Tarifvarianten. Während sich die Basis-Variante von den Leistungen auf das Wesentliche konzentrierte, um möglichst günstig im Preiswettbewerb positioniert zu sein, sind zunehmend Top-Varianten mit Mehrleistungen eingeführt worden. Durch ein konsequentes Upselling im Verkaufsprozess kann dabei nach unseren Erkenntnissen ein signifikanter Anteil an Top-Varianten im Neugeschäft erreicht werden.
Die Top-Varianten bieten gegen einen entsprechenden Aufschlag auf die Basis-Varianten zusätzliche Features:
- eine Verlängerungsoption
Unter gewissen Bedingungen kann der Versicherungsschutz der Risikolebensversicherung verlängert werden. Diese Flexibilität ist gerade für die eingangs angesprochene Immobilienfinanzierung bei der Refinanzierung bzw. Verlängerung von Krediten sehr interessant. - eine Nachversicherungsgarantie
Nachversicherungsgarantien bieten dem Kunden die Möglichkeit, den Versicherungsschutz – in der Regel anlassbezogen, beispielsweise beim Kauf einer selbst genutzten Immobilie – zu erhöhen. - Terminal-Illness-Komponente
Im Fall einer lebensbedrohenden Krankheit, bei der ärztlich eine Restlebenserwartung von weniger als 12 Monaten prognostiziert wird, wird die Versicherungssumme bzw. ein Teil davon vorab ausgezahlt. - Kinder-Zusatzleistung
Es werden kleine Leistungen in Verbindung mit der Geburt eines Kindes integriert. Eine Variante ist z. B., dass sich der Versicherungsschutz automatisch und ohne gesonderte Anmeldung für eine bestimmte Anzahl an Monaten nach Geburt des Kindes erhöht. Das gibt dem Versicherungsnehmer die Möglichkeit, den Versicherungsschutz im Rahmen der Nachversicherungsgarantie anzupassen. Alternativ und losgelöst von der Nachversicherungsgarantie ist es auch denkbar, den Versicherungsschutzes nur leicht, dafür aber über einen Zeitraum von mehreren Jahren nach der Geburt des Kindes zu erhöhen.
Neueste Trends
Im Rahmen der neuesten Entwicklung moderner Risikolebensversicherungen geht man noch einmal weiter in der Aufnahme zusätzlicher Leistungselemente.
Unter diesen Leistungselementen finden sich Einmalleistungen
- bei Pflegebedürftigkeit
Das Integrieren einer kleinen Einmalzahlung im Pflegefall ist ein sehr geschickter Weg, Pflege bei einem Lebensprodukt zu adressieren, ohne dass man die Komplexität einer richtigen Pflegerentenversicherung abbilden muss. - bei ernsten Erkrankungen des eigenen Kindes
Hiermit wird die emotionale Ansprache des Produkts verstärkt. Durch die Zusatzleistung, die dem hinterbliebenen Partner etwas finanziellen Spielraum verschafft, wenn man sich intensiv um das eigene Kind kümmern muss, wird der Nutzen der Versicherung für den Kunden deutlich erweitert. - bei ernsten Erkrankungen der versicherten Person
Durch eine zusätzliche Einmalleistung beim Auftreten bekannter Erkrankungen wie Krebs oder Schlaganfall bei der versicherten Person selbst gewinnt man zusätzlich Anknüpfungspunkte für den Vertrieb, die über die reine Todesfallleistung hinausgehen. Da dieses zusätzliche Element für Erwachsene sehr werthaltig ist, muss die eingeschlossene Einmalleistung in überschaubarem Rahmen bleiben, damit der Beitragsaufschlag noch zur Prämie, die für den Todesfallschutz benötigt wird, passt. - bei bestimmten Invaliditätszuständen
Vorstellbar sind analog zu Leistungen bei ernsten Krankheiten auch Einmalleistungen, wenn der Kunde einen gewissen Invaliditätsgrad erreicht hat. Neben den preislichen Auswirkungen sollte hier die Ausgestaltung des Invaliditätsbegriffs genau geprüft werden. Dieser Invaliditätsbegriff sollte möglichst klar formuliert sein, so dass sich insbesondere die Leistungsprüfung in einem praktikablen Rahmen halten lässt.
Da diese zusätzlichen Leistungselemente typischerweise sehr werthaltig sind, liegt es nahe, die Tarifwelt von zwei auf drei Produktvarianten der Risikolebensversicherung zu erweitern. Die nachfolgende Tabelle zeigt beispielhaft, wie dies aussehen könnte:
Im Vergleich zur zweistufigen Tarifwelt wird ein Teil der Nachversicherungsgarantie in den Basisschutz verschoben, da bei positiv besetzten Anlässen, beispielweise bei der Hochzeit oder Eintragung einer Lebenspartnerschaft, die Sterbewahrscheinlichkeit des Versicherungsnehmers in der Regel nicht ansteigt. Innerhalb des Top-Schutzes könnte die Kinder-Zusatzleistung um die Leistung bei schwerer Krankheit des Kindes erweitert werden. Der Premium-Schutz beinhaltet dann darüber hinaus noch weitere, stärker prämienrelevante Elemente.
Eine dreistufige Tarifwelt dürfte den angenehmen Nebeneffekt haben, dass sich der Anteil der Top-Variante im Vergleich zur Basis-Variante noch erhöht, da viele Verhaltensexperimente gezeigt haben, dass in der Regel bei drei Angeboten nicht das leistungsschwächste Angebot gewählt wird.
Pricing
Wie bereits eingangs erwähnt, kann die Differenzierung nach dem Rauchverhalten bei Risikoversicherungen mittlerweile als Markstandard angesehen werden. Viele Definitionen sind mit Blick auf die Entwicklung der E-Zigaretten bereits aktualisiert und betrachten nicht nur das Konsumieren von „Tabak unter Feuer“ als Rauchen.
Während man das Pflichtprogramm zur Vermeidung von antiselektivem Versicherungsnehmerverhalten in der Risikoversicherung, die Differenzierung nach dem Rauchverhalten, noch relativ leicht umsetzen kann, erfordert die heutige Produktwelt deutlich komplexere Überlegungen zu den Rechnungsgrundlagen:
- Nichtraucherdefinition
Die Nichtraucherdefinition war sehr lange standardisiert bezüglich des geforderten rauchfreien Zeitraumes vor Antragstellung. In der Regel reichte es, wenn man zuvor zwölf Monate lang nicht geraucht hat. Neuere Ansätze verschärfen die Nichtraucherdefinition, indem man den Zeitraum auf drei oder zehn Jahre ausdehnt. Dies führt bei genauerer Analyse zu besseren Nichtraucherkollektiven, womit die Marge gestärkt bzw. dem vorherrschenden Wettbewerbsdruck in der Risikoversicherung durch Prämiennachlässe aufgrund der strengeren Definition begegnet werden kann. - Body-Mass-Index („BMI“)
Ähnliche Überlegungen kann man auch bei der Definition von guten Risiken aufgrund des BMI anstellen. Früher war der BMI ausschließlich ein Maß, das im Rahmen der Risikoprüfung beachtet wurde. Wenn der BMI zu hoch war und eine adipöse Risikolage anzeigte, wurden Zuschläge angesetzt. Dies gilt auch heute noch. Neueste Erkenntnisse zeigen darüber hinaus, dass man auch den bisher zuschlagsfreien BMI-Bereich noch weiter aufteilen kann, um eine noch feinere und damit für die beste Gruppe günstigere Prämiendifferenzierung zu realisieren. - Sozioökonomie
Zusätzlich zur Unterscheidung nach Rauchverhalten und BMI findet man weitere Merkmale, die zur Prämiendifferenzierung herangezogen werden.
Diese Merkmale lassen sich in der Regel aus unterschiedlichen Sterblichkeitsniveaus in Abhängigkeit von sozioökonomischen Ausprägungen aufweisen. Als Beispiele für diese Merkmale sind der Beruf oder der Ausbildungsstand zu nennen.
Aber auch der Familienstand (verheiratet bzw. in Partnerschaft oder Kinder im eigenen Haushalt) kann eine Unterscheidung in der Prämie rechtfertigen. Schließlich kann auch der Besitz einer Immobilie einen Hinweis auf den sozioökonomischen Status des Versicherungsnehmers geben.
Wichtig ist dabei, dass man bei der Kalkulation komplexerer Tarife mit zusätzlichen Differenzierungsmerkmalen beachtet, dass die Wirkung der Differenzierung mit jedem weiteren Kriterium abnimmt und sogar wegfallen kann. Der Grund hierfür sind die Korrelationen, die zwischen den verschiedenen Kriterien bestehen.
Ein wichtiger Aspekt bei der Herleitung von entsprechend differenzierten Rechnungsgrundlagen ist natürlich weiterhin das Geschlecht. Durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs vom 1. März 2011 ist die Unterscheidung nach dem Geschlecht für das Neugeschäft bekanntermaßen untersagt. Dennoch muss bei den beschriebenen Pricingvarianten und der damit verbundenen Bildung von Teilkollektiven immer stets auch der mögliche Einfluss auf den Geschlechtermix berücksichtigt werden, um eine auskömmliche Tarifierung auf Unisexbasis pro Teilkollektiv zu erreichen.
Werden darüber hinaus weitere Leistungen aus den oben beschriebenen Tarifvarianten angeboten, müssen diese selbstverständlich zusätzlich angemessen in der Kalkulation berücksichtigt werden.
Fazit
Risikoversicherungen sollten aus unserer Sicht ein fester Bestandteil im Produktangebot jedes Lebensversicherungsunternehmens sein. Die letzten Jahre haben dabei gezeigt, dass auch bei einem vermeintlich „einfachen“ Produkt wie einer Risikolebensversicherung sehr viele Möglichkeiten existieren, sowohl im Produktdesign als auch in der Kalkulation neue Wege zu gehen, die weit über eine Differenzierung nach dem Rauchverhalten hinausgehen.
Damit erhalten Lebensversicherer die Chance, sich mit innovativen Risikolebentarifen als Biometrieanbieter zu etablieren und beim Kunden Mehrwert über die reine Todesfallleistung hinaus zu generieren. Gerne begleiten wir Sie dabei und unterstützen Sie bei der Entwicklung moderner Risikoversicherungstarife. Sprechen Sie uns an!
Endnote
- https://de.wikipedia.org/wiki/Lebensversicherung#Geschichte_und_Entstehung, Abruf am 23. Juni 2017