Die Anzahl der Schenkelhalsfrakturen liegt in Deutschland derzeit bei 90/100.000 Einwohnern und es wird mit einem weiteren Anstieg durch die Veränderung der Altersstruktur auf 135/100.000 gerechnet (Janssen/Meffert). Neben den oft letalen Verläufen in höherem Lebensalter aufgrund von sekundären Komplikationen sind bei der hüftkopfnahen, medialen Schenkelhalsfraktur auch lokale Komplikationen nach Osteosynthese durch ein Absterben des Hüftkopfes (Hüftkopfnekrose) in bis zu 30 % beschrieben. Folge ist in der Regel dann die endoprothetische Versorgung. Eine Abgrenzung von Hüftkopfnekrosen anderer Genese sollte in diesen Fällen gutachterlich erfolgen, da diese auch bei Cortisontherapie, Fettstoffwechselstörungen, der Taucherkrankheit und besonders häufig bei chronischem Alkoholabusus vorkommen.
Kasuistik
Der 56-jährige Proband stürzt mit seinem Vesparoller auf die rechte Körperseite, weil er vom Fahrer eines PKW beim Rechtsabbiegen übersehen wird. Der Unfall wird polizeilich aufgenommen. Der Proband kann nicht mehr aufstehen und das rechte Bein steht in Fehlstellung. Er wird unmittelbar in das nächstgelegene Krankenhaus gebracht und hier wird eine mediale Schenkelhalsfraktur Typ Pauwels 2 festgestellt (entsprechend einer Neigung der Bruchebene zur Horizontalen von 30° bis 50°). Weitere Verletzungen finden sich nicht. Eine Osteoporose ist nicht erkennbar und im Bereich des Hüftgelenks zeigen sich keine degenerativen Veränderungen. Hinweise für eine Hüftkopfnekrose finden sich nicht. Noch am Unfalltag erfolgt die Versorgung der wenig dislozierten Fraktur mit einer dynamischen Hüftschraube. Die Wunde heilt primär.
Während des stationären Aufenthalts fällt eine deutliche Erhöhung der Transaminasen auf und der Proband schildert einen Alkoholkonsum von täglich mindestens einem Liter Wein und zusätzlich Schnaps nach dem Essen. Eine Fettleber mit beginnendem zirrhotischem Umbau wird im Ultraschall nachgewiesen. Eine Blutprobe war zum Unfallzeitpunkt nicht entnommen worden.
Nach einem achttägigen Krankenhausaufenthalt wird eine dreiwöchige stationäre Rehabilitationsmaßnahme durchgeführt und der Proband anschließend an Unterarmgehstützen unter Vollbelastung entlassen. Hier ist er zunächst beschwerdefrei und nimmt keine Schmerzmittel mehr ein. Der Proband ist alleinstehend und nicht erwerbstätig. Er bezieht Arbeitslosengeld II.
Während des Rehabilitationsaufenthalts ist eine Fortsetzung des Alkoholkonsums dokumentiert. Der Proband nimmt psychologische Einzelgespräche in Anspruch und nimmt an einem Schulungsseminar zum Thema Alltagsdrogen teil. Am Ende der Maßnahme habe er seinen Alkoholkonsum reduziert, ohne diesen vollständig zu unterlassen.
Nach vier Monaten unter häuslichen Bedingungen stellen sich dann belastungsabhängige Schmerzen in der rechten Leiste ein mit zunehmend eingeschränkter Beweglichkeit. Die schmerzfreie Gehstrecke reduziert sich innerhalb einer Woche auf maximal 50 Meter. Ein Schmerzmittelkonsum wird wieder begonnen mit dreimal täglich Ibuprofen 600 und ergänzend Novaminsulfon unter hausärztlicher Behandlung.
Nach fünf Monaten erfolgt die Vorstellung beim Orthopäden und hier ist eine deutliche Bewegungseinschränkung mit rechtshinkendem Gangbild festzustellen. Röntgenologisch ist eine Hüftkopfnekrose bei beginnender Perforation der Osteosynthese im Schraubenbereich und deutlicher Einstauchung erkennbar.
Nach Einweisung in die primär versorgende Klinik erfolgt hier ein vollständiger Ausbau der Osteosynthese und die Implantation eines künstlichen Hüftgelenkes. Nach zehn Tagen Aufenthalt erfolgt erneut eine Rehabilitationsmaßnahme und die Entlassung.
Bei Untersuchung acht Monate nach dem Unfallgeschehen ist der Proband mit einem Fritzstock links geführt gehfähig. Einen sicheren Einbeinstand kann er rechts nicht ausführen mit deutlicher Schwäche der stabilisierenden Muskulatur, auch links fällt ein unsicherer Einbeinstand mit stabilen Muskelverhältnissen auf. Die Beweglichkeit der rechten Hüfte ist gegenüber links in Beugung, Abspreizung und Rotation deutlich eingeschränkt. Röntgenologisch zeigt sich eine orthograd implantierte Endoprothese des rechten Hüftgelenks ohne Lockerungszeichen und ohne periartikuläre Ossifikationen.
Diskussion
Das Unfallgeschehen mit Sturz auf die rechte Körperhälfte und hierbei zugezogener Schenkelhalsfraktur rechts ist gesichert. Der Unfallschaden ist durch die polizeilichen Protokolle, die medizinische Aktenlage und hier die zeitnahe klinische und bildgebende Diagnostik im Vollbeweis gesichert. Zweifel an einer unfallbedingten Schenkelhalsfraktur ergeben sich nicht. Ein vermeintlicher Alkoholkonsum des Probanden ist wegen fehlender Blutentnahme nicht zu sichern, wenngleich der weitere Verlauf und die Diagnostik entsprechende Hinweise ergeben.
Das gewählte operative Verfahren mit osteosynthetischer Versorgung kann bei fehlender Degeneration des Hüftgelenks und zunächst fehlenden Zeichen einer Hüftkopfnekrose als adäquat angesehen werden, wenngleich auch eine primäre endoprothetische Versorgung zum Unfallzeitpunkt möglich gewesen wäre.
Auch die Komplikation im weiteren Verlauf mit Entwicklung einer Hüftkopfnekrose ist bei einer Rate für diese Komplikation von bis zu 30 % (je nach Literaturangabe) noch als typische Folge der osteosynthetischen Versorgung einer Schenkelhalsfraktur zu bewerten.
Hier ist allerdings zu diskutieren, ob der chronische und langjährige Alkoholabusus mit bereits deutlichen Leberveränderungen als ätiologisch bedeutsam für die Entwicklung dieser Komplikation einzuschätzen ist. Für die Einschätzung von zentraler Bedeutung ist hier der röntgenologische Verlauf und bei Zweifeln eventuell ein Erkrankungsregister der Krankenversicherung vor dem Unfallgeschehen.
Röntgenologisch war zum Unfallzeitpunkt keine Nekrose des Hüftkopfes nachweisbar, auch degenerative Veränderungen waren nicht zu erkennen. Erstmalig zeigten sich nekrotische Veränderungen mit dann schon eingebrochenem Hüftkopf fünf Monate nach dem Unfallgeschehen und der zeitnah durchgeführten osteosynthetischen Versorgung. Auch im röntgenologischen Verlauf waren keine Zeichen der Nekrose zu erkennen und die Fraktur war zu diesem Zeitpunkt vollständig konsolidiert.
Die Anamnese bezüglich Hüftbeschwerden vor dem Unfall war leer. Ein Erkrankungsverzeichnis lag nicht vor.
Die Inzidenz der Nekrose des Hüftkopfs bei Alkoholismus ist prozentual im Promillebereich anzunehmen. Ob eine erhöhte Nekroserate bei Schenkelhalsfraktur und zusätzlich chronischem Alkoholabusus anzunehmen ist, kann durch die einschlägige Literatur nicht eindeutig belegt werden. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ist somit das Trauma mit nachfolgend medialer Schenkelhalsfraktur und Osteosynthese für die Hüftkopfnekrose als weit überwiegend ursächlich einzuschätzen. Damit ist auch die nachfolgende endoprothetische Versorgung des Hüftgelenks wegen eingetretener Hüftkopfnekrose kausal dem Unfallgeschehen zuzuordnen.
Sozialmedizin/häusliche Versorgung
Als medizinisch im weiteren erforderliche Maßnahmen sind neben der jeweiligen Versorgung in der Akutklinik (zunächst Osteosynthese und dann Endoprothese) die anschließend durchgeführte stationäre Rehabilitation anzusehen. Die ambulante Frequenz der Krankengymnastik ist mit dreimal wöchentlich für vier Wochen und bis zur zwölften postoperativen Woche mit zweimalig wöchentlich anzugeben (Thomann). Auch eine begleitende Krankengymnasik für anschließend drei Monate kann noch gerechtfertigt sein. Als Hilfsmittel sind Unterarmgehstützen, ein Rollator oder später auch ein Fritzstock nahezu regelhaft erforderlich, in einzelnen Fällen auch ein Rollstuhl. Medikamentös sind jeweils nichtsteroidale Antirheumatika als Schmerzmittel, aber auch um Verknöcherungen zu vermeiden, initial erforderlich.
Berufliche Einschränkungen ergeben sich im vorliegenden Fall bei Arbeitslosigkeit nicht. Grundsätzlich sind leichte körperliche Tätigkeiten sowohl nach Osteosynthese, als auch nach Endoprothese im Regelfall nach acht bis zwölf Wochen wieder möglich. Leichte bis mittelschwere Tätigkeiten erfordern eine längere Zeit von 10 bis 20 Wochen. Bei schweren körperlichen Tätigkeiten ist nach Endoprothese eine aufgehobene Leistungsfähigkeit nicht selten, nach stabiler verheilter Osteosynthese ohne Nekrose und ohne Degeneration sind Zeiten der Arbeitsunfähigkeit bis 26 Wochen möglich.
Die Haushaltsführung ist zu 100 % bis zum Ende der ersten Woche nach Entlassung aufgehoben für leichte Tätigkeiten. Für durchschnittliche Hausarbeiten ist die Entlastung an Gehstützen maßgeblich und beträgt 100 % für diesen Zeitraum und 50 % für einen sechswöchigen Folgezeitraum. Für weitere drei Monate sind 30 % einzuschätzen (Thomann). Für schwere Tätigkeiten ist 100 % für die Phase der Entlastung als adäquat anzusehen und für weitere drei Monate ab Beginn der Vollbelastung. Für weitere drei Monate schlägt Thomann 50 % vor.
Bewertung des Dauerschadens
Hier ergibt sich in der abschließenden Beurteilung nach Endoprothese eine MdE von 20 % analog der Einschätzung im Rechtsgebiet der gesetzlichen Unfallversicherung. Bei günstigem Verlauf ohne Hüftkopfnekrose und ohne umformende Veränderungen des Hüftgelenks wären auch 10 % möglich gewesen. Der vermeintliche Alkoholkonsum ist bei fehlendem Nachweis durch eine zeitnah zum Unfall entnommene Blutprobe nicht relevant.