Gießereien sind Betriebe, in denen zur Herstellung vielfältiger Produkte Metall geschmolzen und in eine Gussform gegeben wird. Nach der Abkühlung wird das Gussprodukt aus der Form genommen, überschüssiges Metall entfernt, poliert und zum Endprodukt fertiggestellt.
Gießereien haben eine viele tausend Jahre alte Historie und spielen auch heute noch eine wichtige Rolle im modernen Wirtschaftsleben. Gegossene Bauteile sind in vielen Produktionsbereichen im Einsatz: in der Luft- und Raumfahrtechnik, in der Medizin, im Maschinenbau, in der Bauindustrie sowie im Fahrzeugbau, um nur einige zu nennen. Technologien und Prozesse in der Gießereibranche haben sich im Lauf der Zeit stetig weiterentwickelt, um die Effizienz, Sicherheit und Qualität der Gussprozesse zu steigern.
Einige schwerwiegende Brände in Gießereien haben bei Versicherern die Frage nach der Versicherbarkeit dieser Betriebsart ausgelöst. Der wohl spektakulärste Brand ereignete sich am 2. Juni 2023 bei einer Gießerei in Chemnitz,1 bei dem die ca. 100 m lange Gießhalle ausbrannte mit der Folge, dass die Geschäftsleitung entschied, den Standort zu schließen.2
Der vorliegende Artikel führt in die Gießereitechnik ein und behandelt Gefährdungspotenziale sowie Schutzmaßnahmen. Abschließend wird auf einige spezielle Aspekte für das Underwriting aus Sicht der Sachversicherung eingegangen.
Definition Gießerei
Ein Gießereibetrieb gießt Metalle und Legierungen. Dabei kommt ein Fertigungsverfahren zum Einsatz, bei dem Werkstücke aus flüssigem Metall, der sog. Schmelze, hergestellt werden. Hierzu kommt eine Kombination von verschiedenen Technologien und Anlagen zur Anwendung, die von der Einsatzmenge, der Seriengröße und dem jeweiligen gewünschten Produkttyp abhängen.
Ein wesentlicher Unterschied zwischen den verschiedenen Arten von Gießereien ergibt sich aus der Art des verwendeten Metalls. Man unterscheidet nach Eisen- und Nichteisengießereien. Eines der am häufigsten hergestellten Metalle ist Gusseisen, aber auch Stahl, Aluminium, Kupfer sowie verschiedene Legierungsmetalle wie Messing, Nickel und Bronze kommen zur Anwendung.
Der Verfahrensprozess
Das für den Gießereiprozess notwendige Metall wird in Form von Masseln, Barren von Verhüttungswerken oder aus dem Recyclingprozess gewonnen, die im sog. Schmelzbetrieb eingeschmolzen werden. Ggf. werden je nach den gewünschten Eigenschaften des Endprodukts der Schmelze weitere Zuschläge beigegeben. Die für die Herstellung der Gussprodukte notwendigen Formen und Kerne werden in der Formerei hergestellt. Das Einfüllen („Gießen“) der flüssigen Schmelze in diese Formen wird als Abguss bezeichnet. Nach der Abkühlung ist das flüssige Metall erstarrt und das fertige Gussteil kann aus der Gießform herausgenommen werden. Dem schließt sich die Fertigbearbeitung (sog. Putzerei) des Rohgussteils an.
Verbreitete Gießverfahren
- Sandguss, wobei Formen aus Sand und Bindemittel genutzt werden,
- Feinguss (Wachsausschmelzverfahren), bei dem ein Wachsmodell erstellt wird, das mit einer Schale überzogen wird, um das Wachs herauszuschmelzen, um einen Hohlraum für das Eingießen von Metall zu schaffen,
- Druckguss, bei dem die Schmelze von einem Kolben in eine mehrfach genutzte Dauerform gepresst wird,
- Schalenformguss, bei der die Schmelze in eine aus harzbeschichtetem Sand gefertigte Hohlform eingefüllt wird, in der sie anschließend erstarrt. Die Innenfläche der Hohlform ist das Negativ der Außenfläche des Gussstücks,
- Schleuderguss, bei dem in eine mit hoher Geschwindigkeit rotierende Form glühende Metallschmelze eingegossen wird, die sich durch die Zentrifugalkraft gleichmäßig an den Innenseiten der Form verteilt,
- Schaumguss, bei dem ein Schaummuster mit Sand bedeckt wird. Sobald die Metallschmelze in die Form gegossen wird, verdampft der Schaum und füllt den sich bildenden Hohlraum mit der Schmelze aus.
Für das Verständnis der möglichen Gefahren ist es notwendig, den vorbeschrieben Grobprozess etwas detaillierter zu beschreiben, da hierzu eine Vielzahl von möglichen Verfahren verwendet werden:
Formenbau und Formstoffaufbereitung
Der erste und einer der wichtigsten Schritte im Gießereiprozess ist, die notwendige Gussform herzustellen. Hierbei unterscheidet man grob
- Dauerformen, die meist aus Stahl bestehen und
- verlorene Formen aus Formstoff.
Formen, beispielsweise aus verfestigtem Sand, können in die gewünschte Form gefräst werden (direktes Formstofffräsen), teilweise werden sie im 3D‑Druck gefertigt. Beim Maschinenformen werden Modelle verwendet, über die der Formstoff gelegt wird und der lose Formstoff z. B. durch einfaches Schütteln und Pressen verfestigt wird. Beim sog. Maskenformen wird auf eine nur wenige Millimeter dünne Metallmaske auf einer beheizten Modellplatte ein Sand-Kunstharz-Gemisch aufgeschüttet. Durch die Erhitzung auf bis zu 280 °C bildet sich dann die Formmaske, die in einem Ofen bei ca. 450 °C ausgehärtet wird. Die so gewonnen Formschalenhälften werden zu einer Gesamtform zusammengefügt.
Formen enthalten zum Zuführen der Schmelze Öffnungen. Der Hohlraum, in die die Schmelze gegossen wird, wird als Anschnitt bezeichnet. Ein einzelner Anschnitt reicht häufig nicht dafür aus. Daher werden sog. Speiser angebaut, die nach dem Erstarren mit dem Anschnitt wieder entfernt werden. Für die Form, Größe und Anzahl der Speiser und Anschnitte gibt es zahlreiche Varianten, da sie einen großen Einfluss auf die Bauteilqualität haben.
Kernherstellung und Kernformstoffaufbereitung
Kerne sind nötig, um Gussteile mit Hohlräumen fertigen zu können. Meist werden sie zeitlich parallel zur Formenherstellung hergestellt. Auch hier unterscheidet man Dauerkerne, die wiederholt verwendet werden können, und verlorene Kerne. Die Kerne werden in die Formen gelegt und nach dem Erstarren entnommen. Bei Dauerformen bestehen die Kerne meistens aus Metall, bei Sandformen aus Sand – sie werden nach dem Gießen zerstört. Kerne werden außerdem für sog. Hinterschneidungen benötigt. Als Hinterschneidung werden Konstruktionselemente bezeichnet, die an gegossenen Werkstücken frei hervorstehen und verhindern, dass sich diese aus der Kavität ohne weitere Maßnahmen entformen lassen.
Vorbereitung und Behandlung der Schmelze
Im Rahmen der Vorbereitung der Schmelze werden die notwendigen Rohstoffe zusammengestellt und nach einer genauen Rezeptur gemischt, um eine Legierung mit der gewünschten Zusammensetzung zu erhalten (sog. Gattierung).
Anschließend wird diese Mischung in Industrieöfen geschmolzen (beispielsweise Kupolofen für Eisenwerkstoffe, Lichtbogenofen für Stahl und Nichteisenmetalle und Induktionsofen/Widerstandsofen (zum Schmelzen sowie zum Warmhalten der Schmelze). Während des Schmelzprozesses werden verschiedene Stoffe zur Schmelze hinzugefügt, um zu verhindern, dass die Schmelze mit dem Luftsauerstoff reagiert und sich ungewollt verändert (sog. Schmelzbehandlung). Ggf. werden weitere Fremdstoffe zugesetzt (sog. Impfung), die die Erstarrung und damit die Härte und Festigkeit des fertigen Gussstücks beeinflussen.
Abguss
Das geschmolzene Metall wird beim Abguss in die vorbereitete Form eingefüllt. Die Einfüllung erfolgt direkt aus dem Ofen oder mittelbar über Gießpfannen oder Gießlöffel. Hierbei gibt es unterschiedliche Abgussverfahren, u. a.:
- direkt in die Formen (oft bei nach oben offenen Formen)
- Vergießen in ein spezielles Einguss-System – von oben, seitlich oder von unten in die Form
- Kippgießen (Kombination beider Varianten)
Teilweise werden die Formen während des Abgusses beheizt, um die Differenztemperatur so gering wie möglich zu halten, oder es werden Formen mit geringer Wärmeleitfähigkeit verwendet, um die Erstarrungszeit zu verlängern. Teilweise werden Formen auch gekühlt (vor allem Dauerformen), um den Erstarrungsprozess zu beschleunigen und die Temperaturbelastung zu verringern.
Während der Erstarrung kommt es infolge des Schrumpfens zu Volumenänderungen, bis das Gussstück Raumtemperatur erreicht hat (Festkörperschwindung).
Bei langsamem Abkühlen entsteht beispielsweise das graue Gusseisen, bei schneller Abkühlung Hartguss.
Nachbehandlung
Nach dem Erstarren des Metalls in der Gussform folgt das Entformen. Hierbei werden die Gussstücke aus den Formen nach Abkühlung auf Raumtemperatur oder direkt nach der Erstarrung entnommen. Bei Dauerformen werden die Gussstücke mit Ausstoßern entfernt, bei sog. verlorenen, also nur einmal genutzten Formen, wird die Form zerstört.
In einem weiteren Schritt, dem sog. Putzen, werden die vorhandenen Anschnitte und Speiser abgetrennt, die Kerne entfernt, die Gussstücke entzundert (Entfernen der Oxidschicht), entsandet (Entfernen von Formstoffresten) sowie ggf. mögliche Gussfehler ausgebessert und die Oberfläche gereinigt. Dabei ist eine putzgerechte Konstruktion des Gussstücks für die Stückkosten entscheidend, da der Putzprozess nur teilweise automatisierbar ist.
Zur Verbesserung der mechanischen Eigenschaften des Gussteils schließt sich ggf. eine Wärmebehandlung an, um das Metallgefüge und damit die mechanischen Eigenschaften zu verbessern. Beim Temperguss zählt Tempern zum festen Bestandteil. Auch Stahlguss wird üblicherweise geglüht, da das Gussgefüge sehr grobkörnig ist. Bei anderen Werkstoffen kann die Wärmebehandlung auch entfallen.
In der nachfolgenden Grafik sind die wichtigsten Gießereiprozessschritte zusammengefasst.
Scheme Gießereiprozess