Eine weitere Annahme lautet, dass Wearables als Basis für künftige Lebensversicherungsprodukte dienen könnten. Voraussetzung dafür wären zwei grundlegende Veränderungen von Verhaltensweisen: Erstens müssten Versicherer die persönlichen Daten von Kunden vornehmlich nutzen, um deren Gesundheit und Wohlbefinden zu steigern. Und zweitens müssten Kunden das nötige Vertrauen haben, um bereit zu sein, ihre Daten fortlaufend mit ihrem Versicherer zu teilen. Dies sind zwei nicht unerhebliche Voraussetzungen für einen solchen grundlegenden Wandel, doch die Möglichkeiten, die sich daraus ergeben, sind vielversprechend. Zugleich würde damit ein neues Ethos des Datenschutzes begründet werden, demzufolge der Einzelne Eigentümer seiner Daten ist und diese nur an Unternehmen weitergibt, die ihm dafür einen echten Mehrwert bieten.
Der Lebensversicherer als „Lebensverbesserer“
Im Zuge der Anpassung an diese neue Realität reagieren Versicherer auf die sich verändernden Gewohnheiten ihrer Kunden. Durch dieses Phänomen wandelt sich auch das Wesen des Vertrags, den Versicherer und Versicherungsnehmer schließen. Das Versprechen des Versicherers lautet nun nicht mehr, dass er dem Versicherten beiseite steht, falls sich in seinem Leben etwas Schlimmes ereignet. Stattdessen verpflichtet er sich vertraglich, den Versicherten dabei zu unterstützen, sein Leben so zu gestalten, dass schlimme Ereignisse möglichst verhindert werden – und falls sich doch etwas Schlimmes ereignet, dafür zu sorgen, dass der Versicherte bestmöglich aufgestellt ist, um diese Situation zu bewältigen. Der skizzierte Wandel könnte auch als eine Veränderung in der Denkweise von Versicherer und Versichertem beschrieben werden – von einem „Was, wenn?“ hin zu einem „Also wie?“. Der Kunde wird somit – in Folge des Inputs des Versicherers – fragen: „Wie kann ich mit dieser schwächenden Krankheit umgehen?“ oder „Wie kann ich die Gesundheit meines Herz-Kreislauf-Systems verbessern?“ Diese neue Denkweise und die Frage nach den erforderlichen Maßnahmen sind wiederkehrende Themen in dem Videoprojekt Incredible Curious Global Adventure. Durch diese Entwicklung werden Lebensversicherer quasi zu „Lebensverbesserern“ – zum Vorteil des Kunden, seiner Familie, seines Arbeitgebers, der Gesellschaft sowie zu ihrem eigenen Nutzen.
Risikoprüfung
Aktuell liegt der Fokus der Versicherungswirtschaft auf dem Underwriting, denn der bisherige Status quo wird durch innovative Technologieunternehmen herausgefordert. Heutzutage fragen wir uns, ob Daten von Wearables die traditionelle Risikoprüfung ergänzen oder sogar ersetzen können. Eine weitere Frage lautet, warum die Risikoprüfung nur einmalig vor Vertragsabschluss erfolgt und danach nie wieder. Bereits in der Vergangenheit war die Risikoprüfung weder einfach noch kostengünstig. Doch dadurch, dass Wearables und Sensoren immer weitere Verbreitung finden, solche Geräte immer mehr Parameter messen können und zudem der Austausch der erhobenen Daten immer einfacher wird, hat sich bereits vieles verändert.
Die Unternehmen HealthyHealth, Torafugu Tech und PAI Health haben auf Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse Methoden der Risikoprüfung entwickelt, mit denen gemessen werden kann, wie hoch das relative Risiko einer Person ist, an einer Stoffwechsel- oder Herz-Kreislauf-Krankheit zu erkranken. Die drei Unternehmen haben den Paradigmenwechsel, der sich derzeit vollzieht, erkannt: Die Offenlegung von Daten muss gleichermaßen dem Versicherten wie dem Versicherer Vorteile bringen. Dementsprechend haben die drei Unternehmen spezielle Benutzerschnittstellen entwickelt, um dem Nutzer seine Bewertungen mitzuteilen und ihm zugleich Informationen bereitzustellen, was er selbst tun kann, um seinen gesundheitlichen Zustand zu verbessern. HealthyHealth nutzt smarte Geräte, um Lifestyle-Daten zu körperlicher Aktivität, Ernährung und Vitalzeichen zu erheben. Mithilfe von Algorithmen werden diese Daten in personalisierte Pläne zur Verbesserung der Gesundheit und des Lebenswandels übersetzt, die Kunden mithilfe von kognitiven Methoden motivieren.
PAI Health nutzt Verbindungen zu hochwertigen Wearables, um die Reaktion des Körpers auf die Dauer und Intensität von körperlicher Anstrengung zu messen. Dabei werden Daten zur Herzfrequenz in eine einzige, genaue und aussagekräftige Messzahl übersetzt, die Orientierung und Motivation bei der Erhaltung der optimalen Gesundheit bietet. Bei dieser Methode wird der Ausgangsscore des Nutzers als Basis für alle künftigen Messungen herangezogen. Torafugu hat festgestellt, dass ein Zusammenhang zwischen dem Grad der Aktivität eines Menschen und Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes besteht, und verwendet ähnliche kognitive Methoden, um den Nutzer zu unterstützen, gesunde Verhaltensweisen zu pflegen und die eigene Gesundheit zu verbessern.
Es wird eine Weile dauern, bis die traditionelle Risikoprüfung allein durch das Tragen von Wearables abgelöst wird. Doch sobald die entsprechenden Daten vorliegen und mit Daten aus dem bisherigen Underwriting-Verfahren kombiniert werden, können sie der Versicherungswirtschaft helfen, künftig aussagekräftigere und besser passende Prozesse zu entwickeln.
Schadensmeldung
Neben den oben beschriebenen lebensverbessernden Aspekten können Versicherte auch bei der Schadensmeldung vom Einsatz digitaler Technologien profitieren. Viele Versicherungsunternehmen haben Apps entwickelt, die Kunden herunterladen und nutzen können, um einen Schaden zu melden, Schadensunterlagen einzureichen, den aktuellen Bearbeitungsstand nachzuverfolgen und Entscheidungen zu Schadensfällen zu erhalten. Manche Versicherer befassen sich derzeit mit den Möglichkeiten, ihre Kunden aus der Ferne zu beraten und zu unterstützen. Dementsprechend haben einige Anbieter digitaler Technologien, die die Notwendigkeit eines kundenorientierten Ansatzes verstanden haben, damit begonnen, ihre Gesundheits-Apps in Zusammenarbeit mit der Gen Re auch für die Versicherungswirtschaft nutzbar zu machen.
Technologische Gesundheitslösungen zur Unterstützung der Schadensbearbeitung
Monsenso ist eine mobile Lösung, die entwickelt wurde, um die Behandlung psychischer Erkrankungen auf der Basis von Selbsteinschätzungen, Telefonsensordaten sowie Daten zu körperlicher und sozialer Aktivität zu verbessern. Mit dieser App können Ärzte psychisch erkrankte Patienten aus der Ferne unterstützen. Im klinischen Einsatz stellt sie Ärzten und Pflegern aussagekräftige Informationen in Form von aggregierten Daten bereit und unterstützt Patienten mit Ratschlägen, Feedback und sogar einer kognitiven Verhaltenstherapie (KVT). Die Lösung basiert auf der Philosophie, dass Patienten mithilfe der Mobiltechnologie in Echtzeit unterstützt werden können. Auch hier wird zunächst ein Basiswert für das Verhalten und das Aktivitätsniveau des Patienten festgelegt, um Abweichungen von der Norm zu überwachen und rechtzeitig angemessen intervenieren zu können. Dieser Prozess ist wesentlich effizienter als der regelmäßige monatliche oder zweimonatliche Arztbesuch.
Das Unternehmen Thrive verfolgt einen ähnlichen Ansatz. Die gleichnamige Wellness-App verhilft dem Nutzer zu mehr Resilienz und beugt Stress, Angstzuständen und anderen weitverbreiteten psychischen Störungen vor. Zudem konnte gezeigt werden, dass mit der Anwendung eine schnellere Genesung erzielt werden kann.
Beide Lösungen fördern zudem erwiesenermaßen eine erfolgreiche berufliche Wiedereingliederung.
Digitale Lösungen eignen sich auch, um Kunden bei der Erholung von Verletzungen des Bewegungsapparats zu unterstützen. Einige Unternehmen wie AIMO und TrackActive setzen zudem auf die Leistungsfähigkeit von visuellen digitalen Technologien, um das Nutzererlebnis zu steigern und die Verbesserung des Gesundheitszustands von Nutzern zu fördern.
AIMO ist eine präventive Gesundheitslösung, die die Funktionen eines Smartphones nutzt, um Bewegungsdaten auf einer automatisierten Plattform zu analysieren. AIMO nutzt visuelle digitale Technologie in einer downloadbaren App, um Bewegungseinschränkungen des Nutzers zu erkennen und anschließend einen Übungsplan zu erstellen, mit dem eine Verbesserung erzielt werden kann. Eine 3D-Tiefenkamera ist in der Lage, auf Basis von Bewegungsdaten komplette Bewegungsmuster zu erkennen und zu bewerten. Diese Daten werden für eine individuelle Analyse genutzt, die in Empfehlungen für das Training, die Behandlung oder das Equipment mündet. Ziel dieser Anwendung ist es, die Interaktion zwischen Versicherer und Versichertem zu steigern und die Kosten für Gesundheitsleistungen zu senken. Genutzt werden könnte sie beispielsweise für Ansprüche wegen Verletzungen des Bewegungsapparats oder zur Risikoprüfung.
TrackActive ist eine KI-basierte Plattform und ermöglicht frühzeitige, kostengünstige und skalierbare Interventionen zur Rehabilitation und Vorbeugung von Verletzungen des Bewegungsapparats und chronischen Erkrankungen. Die Software stellt dem Patienten die am besten passende und bequemste Methode zur Behandlung seiner Verletzung oder Erkrankung bereit. Durch die Empfehlung und Überwachung der Übungen und der Rehabilitation soll die Interaktion mit dem Patienten verbessert und die Genesung beschleunigt werden. Als zusätzlichen Service bietet TrackActive dem Kunden die Möglichkeit, Videos herunterzuladen, in denen die richtige Durchführung der Übungen gezeigt wird, um zu verhindern, dass der Patient Folgeschäden davonträgt, und um die Chancen auf eine vollständige Genesung zu erhöhen.
Fazit
Der dauerhafte Wandel in der Versicherungswirtschaft basiert auf einem genauen Verständnis der Kundenbedürfnisse sowie der Entwicklung von Verfahren, die dem Versicherten helfen, seine individuellen Herausforderungen zu bewältigen. Mithilfe neuer Technologien, einschließlich der Stimmerkennung, können Versicherungsunternehmen die verschiedenen Phasen des Versicherungslebenszyklus für den Versicherten besonders einfach und bequem gestalten – sei es die Bereitstellung von Daten für die Risikoprüfung oder die Schadensmeldung. Diese Neuerungen in der Lebens- und Krankenversicherung setzen jedoch die Zusammenarbeit zwischen Rückversicherern, Versicherern und Technologieunternehmen voraus, die ihre jeweiligen Kenntnisse und Fähigkeiten zum größtmöglichen Nutzen des Kunden kombinieren.