Deutschland – BGH weist Nichtzulassungsbeschwerde eines Anlegers im Zusammenhang mit dem Wirecard-Bilanzskandal zurück – keine Haftung der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht
Mit Beschluss vom 10. Januar 2024 hat der Bundesgerichtshof (BGH) die von einem Anleger eingelegte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision durch das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main zurückgewiesen (BGH, Beschl. v. 10.1.2024, Az.: III ZR 57/23).
Im Ursprungsverfahren hatte der Kläger die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) aus eigenen sowie abgetretenen Rechten seiner Ehefrau in Anspruch genommen. Er war der Ansicht, die BaFin als selbstständige Anstalt des öffentlichen Rechts habe in der Kontrolle der Jahres- und Konzernabschlüsse sowie Lageberichte der Wirecard AG, die durch den Abschlussprüfer jeweils mit uneingeschränktem Bestätigungsvermerk versehen worden waren, Fehler gemacht. Aufgrund dessen nahm er sie auf Schadensersatz i. H. der Summe in Anspruch, die er und seine Frau durch diese Fehler im Zusammenhang mit dem Erwerb von Aktien der ab dem 25. Juni 2020 insolventen Wirecard AG angeblich verloren hatten – insgesamt EUR 64.833,75 nebst Zinsen.
Zunächst hatte das Landgericht (LG) die Klage abgewiesen (LG Frankfurt a. M., Urt. v. 2.6.2022, Az.: 2‑20 O 35/22; vgl. dazu bereits PHi 2022, 29). Das OLG Frankfurt am Main hatte die Berufung des Klägers zurückgewiesen (OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 30.3.2023, Az.: 1 U 183/22). Dagegen wandte sich der Kläger mit seiner nun zurückgewiesenen Nichtzulassungsbeschwerde zum BGH.
Dieser sah die Verneinung eines Schadensersatzanspruchs des Klägers aus Amtshaftung (§ 839 Abs. 1 Satz 1 BGB i. V. mit Art. 34 GG) oder unter dem Gesichtspunkt des unionsrechtlichen Staathaftungsanspruchs durch das OLG aber nun ebenfalls als rechtmäßig erfolgt und auch sonst keine der Rügen des Klägers als durchgreifend an. Insbesondere seien die Maßnahmen der Beklagten im Rahmen der Marktmissbrauchsüberwachung und der Bilanzkontrolle bezüglich der Wirecard AG unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu beanstanden und bei voller Wahrung der Belange einer effektiven Bilanzkontrolle jedenfalls vertretbar gewesen.
Europa – Garantielabel und Reparierbarkeitsindex: Pflichtangaben für Händler zur Produkthaltbarkeit kommen
Die EU‑Kommission hat am 30. März 2022 einen Vorschlag für eine Ökodesign-Verordnung für nachhaltige Produkte (Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinien 2005/29/EG und 2011/83/EU hinsichtlich der Stärkung der Verbraucher für den ökologischen Wandel durch besseren Schutz gegen unlautere Praktiken und bessere Informationen) vorgelegt hat. Am 25. Oktober 2023 wurde nach Erzielung einer vorläufigen Einigung über die Regelungen ein Kompromissvorschlag zwischen dem Europäischen Parlament und dem Rat verabschiedet.
Ziel ist es, den Verbraucherinnen und Verbrauchern beim Kauf von Produkten durch mehr Informationen die Möglichkeit zu geben, fundiertere und umweltfreundlichere Entscheidungen treffen zu können. Zudem sollen sie damit auch besser vor irreführenden produktbezogenen Umweltaussagen geschützt werden. Dafür sollen Händler nach dem nun verabschiedeten Entwurf künftig ihre Kunden über nachhaltigkeitsrelevante Produkteigenschaften, z. B. die Lebensdauer bzw. Haltbarkeit von Produkten, ihre Reparierbarkeit und die Verfügbarkeit von Software-Updates aufklären müssen.
Eingeführt werden sollen auch harmonisierte Label für die Angabe von Haltbarkeitsgarantien. Dieses betrifft dabei allerdings nur Haltbarkeitsgarantien, die vom Käufer ohne zusätzliche Kosten in Anspruch genommen werden können und für das gesamte Produkt sowie für einen Zeitraum von mehr als zwei Jahren gelten. Bei Garantien, z. B. einer Zufriedenheitsgarantie oder anderen Services wie After-Sales-Services, greift das harmonisierte Label nicht.
Ebenfalls verpflichtend werden darüber hinaus harmonisierte Hinweise über die durch die Warenkauf-Richtlinie der EU‑weit vorgeschriebene zweijährige kostenlose Konformitätsgarantie, die in Deutschland durch die BGB-Mängelgewährleistungsrechte umgesetzt wurde. Der Hinweis soll außerdem – sofern der Mitgliedstaat, in dem das Produkt angeboten wird, von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht hat – darüber informieren, dass in dem betreffenden Mitgliedstaat bzw. bei der betroffenen Produktkategorie eine längere Gewährleistung gilt.
Die Verordnung soll die bisherige Verbraucherrechte-Richtlinie (RL 2011/83/EU) und der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken (2005/29/EG) unter Erweiterung ihres Anwendungsbereichs insbesondere in Bezug auf das erfasste Produktspektrum sowie den Anforderungskatalog an die Produkte ändern. Nach dem aktuellen Entwurf müssen die Mitgliedstaaten die Richtlinie spätestens 24 Monate nach ihrem Inkrafttreten in nationales Recht umsetzen und spätestens sechs Monate später anwenden.
Frankreich – TÜV Rheinland im Skandal um billiges Industriesilikon in Brustimplantaten zu Schadensersatzzahlung in Millionenhöhe verurteilt
Ein Gericht in Nanterre nahe Paris hat am 11. Januar 2024 den TÜV Rheinland Frankreich wegen Prüfpflichtverletzungen in Zusammenhang mit der Verwendung von minderwertigem Industriesilikon in Brustimplantaten des französischen Herstellers Poly Implant Prothèse (PIP) zur Zahlung von mehr als EUR 10 Mio. Schadensersatz an 605 von 1319 klagende betroffene Frauen verurteilt.
Die Diskrepanz der Menge des bestellten Gels für die Implantate und die Zahl hergestellter Prothesen habe eine offensichtliche Anomalie dargestellt, die dem TÜV bei seinen Prüfungen hätte auffallen müssen.
Im Jahr 2020 war anlässlich der Feststellung, dass die Implantate von PIP überdurchschnittlich oft rissen, herausgekommen, dass diese minderwertig und nur mit billigem Industriesilikon gefüllt waren. Die Implantate waren auf der ganzen Welt verkauft worden. 400.000 Frauen trugen angeblich gesundheitliche Schäden davon. Es begann eine ganze Reihe von Prozessen gegen den TÜV Rheinland. In Deutschland, Belgien, Italien und Spanien wurden die Klagen jedoch abgewiesen. Der TÜV hat nach eigenen Angaben nicht die Implantate, sondern das Qualitätsmanagementsystem des Unternehmens zertifiziert. In Deutschland urteilten die Gerichte, dass die Prüfstelle „verantwortungsvoll und in Übereinstimmung mit allen geltenden Gesetzen und Normen“ gehandelt habe.
Die nun ergangene französische Entscheidung liegt auf einer Linie mit der Entscheidung von Frankreichs Oberstem Gericht, das im Mai 2023 eine Mitverantwortung des TÜV Rheinland Frankreich im Brustimplantate-Skandal bestätigt hatte.
Rumänien – Gesetz über die Durchführung von Verbandsklagen tritt in Kraft
Am 23. Dezember 2023 ist in Rumänien ein neues Gesetz über die Durchführung von Verbandsklagen zum Schutz der kollektiven Interessen der Verbraucher in Kraft getreten. Rumänien hat damit nun ebenfalls die EU‑Richtlinie 2020/1828 umgesetzt (vgl. bereits die Berichte zur Umsetzung in anderen europäischen Ländern, PHi-Newsletter – Mai 2023 und PHi 2022, 152). Damit ist es künftig auch dort möglich, Rechtsstreitigkeiten insbesondere gegen wirtschaftlich überlegenere Gegner wie große Unternehmen schneller und kostengünstiger zu führen als bisher.
Wie von der Richtlinie vorgeschrieben, ist es künftig qualifizierten Einrichtungen oder unabhängigen öffentlichen Behörden erlaubt, im Namen mehrerer Verbraucher zu handeln und zu klagen und Unterlassungsansprüche, Abhilfemaßnahmen oder beides geltend zu machen.
Um von der qualifizierten Einrichtung kollektiv vertreten zu werden, müssen die Verbraucher innerhalb von 30 Tagen nach Beginn der Klage ihre schriftliche Zustimmung erteilen. Dies bedeutet, dass die betroffenen Verbraucher weder einzeln noch kollektiv weitere rechtliche Schritte gegen denselben Gewerbetreibenden in derselben Angelegenheit einleiten können. Keine Zustimmung der Verbraucher ist erforderlich, wenn von der Einrichtung nur beabsichtigt ist, eine einstweilige Verfügung zu beantragen.
Die qualifizierte Einrichtung und der Gewerbetreibende können über die Entschädigung verhandeln, die den betroffenen Verbrauchern gewährt werden soll. Die entsprechende Vereinbarung muss von einem Gericht genehmigt werden, bevor sie verbindlich wird. Sie kann bei Bedenken aber auch abgelehnt werden.
Das nun eingeführte Konzept der Vertretungsklagen weicht von der bisherigen Prozesspraxis in Rumänien deutlich ab. Auch die Rechtspraxis in dem Land sah bisher so aus, dass die nationalen Gerichte trotz vieler ähnlicher Streitigkeiten zwischen Unternehmen und Kunden regelmäßig unterschiedliche Urteile in ähnlichen Verfahren gefällt haben.
USA – Bayer wegen Glyphosat erneut zu Schadensersatzzahlung verurteilt
Am 25. Januar 2024 ist Bayer in Zusammenhang mit Glyphosat erneut zu hohen Punitive Damages (Strafschadensersatz) verurteilt worden. Der Bayer Konzern muss USD 2,25 Mrd. an einen Kläger zahlen, dessen Krebserkrankung nach Meinung eines Geschworenengerichts in Philadelphia auf Glyphosat zurückzuführen ist.
Bei dem Kläger war ein Non-Hodgin-Lymphom diagnostiziert worden. Er war der Meinung, dass dies die Folge eines jahrelangen Einsatzes des Herbizids Roundup auf seinem Feld gewesen sei – genutzt in der Unwissenheit über mögliche gesundheitliche Folgen.
Das Gericht befand die Herstellerin und Tochtergesellschaft des Bayer-Konzerns, Monsanto, einstimmig für schuldig, fahrlässig gehandelt zu haben, weil sie die Anwender des glyphosathaltigen Unkrautvernichters Roundup nicht vor den Gefahren des Herbizids gewarnt hatten.
Bayer sieht das Urteil als im Widerspruch zum „überwältigenden Gewicht der wissenschaftlichen Beweise und den weltweiten wirtschaftlichen und behördlichen Bewertungen“.
Glyphosat steht seit Jahren in der Diskussion, Gesundheitsschäden wie Krebs hervorzurufen. Die bisherigen Meinungen sind allerdings uneinheitlich. Die US‑Umweltschutzbehörde stellte im Jahr 2020 fest, dass bei der Verwendung von Glyphosat gemäß aktueller Kennzeichnung keine Risiken für die menschliche Gesundheit bestehen und „es unwahrscheinlich ist, dass Glyphosat ein Karzinogen für Menschen ist".
Die Europäische Kommission erklärte im vergangenen Jahr, dass es „auf der Grundlage einer Bewertung aller verfügbaren Informationen derzeit keine Anhaltspunkte dafür gibt, Glyphosat als krebserregend einzustufen“. Auch die kanadische Regulierungsbehörde für Schädlingsbekämpfung (Health Canada‘s Pest Management Regulatory Agency) genehmigte die Verwendung von Glyphosat.
Anders sieht es die Internationale Agentur für Krebsforschung der Weltgesundheitsorganisation (International Agency for Research on Cancer). Deren im Jahr 2015 veröffentlichter Ansicht nach ist Glyphosat „wahrscheinlich krebserregend für den Menschen“.
Nach einem Vergleich im Jahr 2020, aufgrund dessen Bayer ohne Anerkennung eines Fehlerverhaltens rund USD 10 Mrd. an zehntausende von Klägern gezahlt hatte, wurden weitere Klagen gegen das Unternehmen mit gemischten Ausgängen fortgesetzt. Am 22. Dezember gewann das Unternehmen einen Fall in Kalifornien, verlor jedoch am 5. Dezember einen Fall in Pennsylvania und einen weiteren Fall am 17. November in Missouri (vgl. hierzu PHi 2023, 189).