Jede neue Technologie trifft zunächst auf Skepsis oder sogar Misstrauen. Häufig werden technische Innovationen als Bedrohung des bewährten Modells wahrgenommen, die es abzuwehren gilt. In den letzten zehn Jahren hat die Digitalisierung unseren Alltag in zunehmendem Maße durchdrungen – die Lebensversicherungssparte dagegen ist bislang größtenteils analog geblieben. Einige digitale Vorreiter haben bereits neue Technologien eingeführt und viele werden diesem Beispiel folgen.
Neue digitale Geschäftsmodelle bieten dem Kunden eindeutige Vorteile. Verschließt man sich derartigen Modellen, öffnet dies branchenfremden Akteuren Tür und Tor. Netflix, Uber, Amazon und AirBnB beispielsweise konnten den Wert ihrer Unternehmen auf insgesamt eine Billiarde US-Dollar steigern – und zwar im Wesentlichen durch die Entwicklung neuer, technologiebasierter Geschäftsmodelle, die früheren Verkaufsansätzen überlegen waren.
Auch für die Versicherungswirtschaft gibt es bereits neue, häufig bahnbrechende Technologien. Sie ermöglichen es Versicherern, ihre Produkte und Dienstleistungen grundlegend zu erneuern und zu verbessern. Auch wenn viele Menschen den Wert einer Lebensversicherung schätzen, empfinden sie den Prozess der Antragstellung häufig als zu kompliziert, und eher auf die Bedürfnisse des Versicherers als auf ihre eigenen zugeschnitten. Durch den Einsatz neuer Technologien erhalten Versicherungskunden Zugriff auf digitale Plattformen mit maßgeschneiderten Produkten, die sich ihren wandelnden Bedürfnissen anpassen können.
Versicherer erlangen über die in vernetzten Kundengeräten enthaltenen Daten Zugriff auf aussagekräftige Informationen. Dadurch können sie ihren Kunden eine breitere Palette an personalisierten Produkten und relevanten Dienstleistungen bereitstellen. Der Fokus wird sich dahin verlagern, Kunden dabei zu unterstützen, ein längeres und gesünderes Leben zu führen. Durch die stärkere Gewichtung von Prävention, Heilung und Krankheitsvermeidung bekommen Versicherer bessere und dynamischere Daten, die dann wiederum in den Kreislauf einfließen.
Wogegen also sträubt sich die Versicherungswirtschaft? Warum stürzt sich die Branche nicht kopfüber in die Entwicklung und Einführung neuer Technologien, um bessere Produkte und Dienstleistungen für ihre Kunden bereitzustellen, wettbewerbsfähiger und effizienter zu werden, und schließlich von all diesen Vorteilen zu profitieren? Es gibt vor allem zwei Hürden, die die schleppende Umsetzung dieser Technologien erklären. Zum Einen muss das Geschäftsmodell kundenorientierter werden. Zum Anderen geht die Versicherungsbranche noch nicht so versiert mit diesen Technologien um, bei denen es vor allem darum geht, wie Daten gesammelt, verwaltet und ausgewertet werden. Zum Glück haben Versicherer durchaus verstanden, dass noch einiges an Arbeit vor ihnen liegt, um ihre Kunden durch die Datenanalyse genauer kennenzulernen und sie dadurch dann in der Lage sein werden, das tatsächlich vom Kunden Gewünschte anzubieten.
Die gute Nachricht ist, dass die großen Herausforderungen der Versicherungswirtschaft so oder so gelöst werden. Allerdings besteht die Gefahr, dass diese Lösungen nicht von den Versicherungsgesellschaften selbst stammen. Ein Beispiel dafür ist Maersk1: Für die Entwicklung und den Aufbau der neuesten Frachtversicherungsplattform wandte sich die weltweit größte Containerschiffsreederei an Unternehmen außerhalb der Versicherungswirtschaft. Schon bald könnten Vermittler und andere Dienstleister diesem Beispiel folgen und ihren Kunden Versicherungsprodukte direkt anbieten.
Auch wenn das aufsichtsrechtliche Risikokapital und das Pricing für neue Produkte wahrscheinlich weiterhin von Versicherungen bereitgestellt werden, könnte die direkte Kundenbeziehung – und die damit verbundenen Daten – an andere Akteure übergehen. Dies würde bedeuten, dass sich die Rolle der Versicherer künftig nur noch auf die Risikoübernahme beschränkt – eine stark regulierte, kapitalintensive und standardisierbare Aufgabe, die eine gewisse Größe voraussetzt, mit der Zeit aber immer stärker durch andere smartere und flexiblere Kapitalgeber bedroht werden wird.
Es gibt allerdings eine weitere gute Neuigkeit: Noch ist es nicht zu spät, um den Wandel anzustoßen. Um den Weg zu einer positiven Veränderung einzuschlagen, muss man jedoch zunächst einmal erkennen, dass man ein Problem hat, das man beheben will. Vom englischen Philosophen John Gray stammt der Satz: „Das menschliche Gehirn ist nicht für die Wahrheit programmiert, sondern für das Überleben.“ Das mag zwar erklären, warum wir uns häufig gegen Veränderungen wehren – als Versicherungsbranche müssen wir jedoch darauf ausgerichtet sein, die Bedürfnisse unserer Kunden zu erfüllen, um unser eigenes Überleben zu sichern.
Endnote
- https://www.reuters.com/article/us-blockchain-insurance-marine/ey-teams-up-with-maersk-microsoft-on-blockchain-based-marine-insurance-idUSKCN1BG3B6
Über den Autor
Robin Merttens ist Mitgründer und Partner von InsTech London, der größten Versicherungsinnovationsgemeinschaft mit 3.000 Mitgliedern. Er berät außerdem Start-ups und diskutiert regelmäßig mit Versicherern über InsurTech-Themen.