Wer kennt es nicht? Ein pochender oder ziehender Schmerz im Kopf zeigt, dass die nächste Erkältung im Anmarsch ist, das Wetter wechselt oder der Arbeitstag sehr stressig war. Mindestens jeder zweite Deutsche leidet gelegentlich, jeder 25. Deutsche sogar täglich unter Kopfschmerzen. Es handelt sich also um ein Alltagsphänomen. Über 90 % der Kopfschmerzerkrankungen entfallen auf die beiden primären Kopfschmerzformen Migräne und Spannungskopfschmerzen, die auch kombiniert auftreten können.1
Die Lebenszeit-Prävalenz des Spannungskopfschmerzes liegt bei fast 80 %, die der Migräne beträgt etwa 15 %. Beim Spannungskopfschmerz gibt es sporadische (unter 12 Tage pro Jahr), episodische (unter 15 Tage pro Monat) und erheblich seltenere chronische (über 15 Tage pro Monat) Ausprägungen. Die Dauer der Spannungskopfschmerzen beträgt zwischen 30 Minuten und sieben Tagen.2
Primäre Kopfschmerzen – Für Berufsunfähigkeitsleistungen nicht relevant
Primäre Kopfschmerzen sind in der Berufsunfähigkeitsversicherung kein relevanter (Haupt-)Leistungsauslöser. Es mag vereinzelt Fälle geben, etwa massiver und chronischer Clusterkopfschmerz bei hoher Konzentrationsanforderung im Beruf, bei denen ein primärer Kopfschmerz als erste und einzig relevante Erkrankung auch einen Berufsunfähigkeitsfall ausgelöst hat – gerichtliche Entscheidungen dazu gibt es so gut wie nicht. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass diese Einzelfälle eine eindeutige Leistungsentscheidung zugelassen haben. Letztlich sind auch keine Fälle bekannt, in denen eine medizinische Ausschlussklausel „Kopfschmerz“ beurteilungsrelevant geworden ist.
Sekundäre Kopfschmerzen als Teilsymptom einer Grunderkrankung
Häufiger kommt es vor, dass Migräne oder besser „migräneähnliche Beschwerden“ als typisches Begleitsymptom von psychischen Grunderkrankungen wie etwa einer Anpassungsstörung ins Feld geführt werden. Dann werden die Kopfschmerzen im Kontext der Grunderkrankung bewertet und spielen auch nur in diesem Kontext eine – allerdings untergeordnete – entscheidungsrelevante Rolle. Fachgerecht diagnostizierte primäre Kopfschmerzen wie Migräne sind in der Leistungspraxis auch in dieser Konstellation nicht zu sehen.
Falsche Beantwortung von Gesundheitsfragen
Es gibt ein Feld der Leistungsprüfung, in dem primäre Kopfschmerzen eine erhebliche Rolle spielen können. Wenn der Versicherungsnehmer bei Vertragsschluss falsche Angaben zu vorvertraglichen Kopfschmerzen macht, sanktionieren dies später Leistungsprüfer oder Gerichte. Der Versicherte verliert unter Umständen seinen Versicherungsschutz oder der Vertragsinhalt wird angepasst. Gesetzlich gilt:
„Der Versicherungsnehmer hat bis zur Abgabe seiner Vertragserklärung die ihm bekannten Gefahrumstände, die für den Entschluss des Versicherers, den Vertrag mit dem vereinbarten Inhalt zu schließen, erheblich sind und nach denen der Versicherer in Textform gefragt hat, dem Versicherer anzuzeigen.“ (§ 19 Abs. 1 VVG)3
Wenn der Versicherer etwas zu Kopfschmerzen wissen möchte, muss er danach ausdrücklich in Textform fragen. Nur dann stehen ihm die Rechte des § 19 VVG zu. Gerade wegen des Charakters von Kopfschmerzen als alltägliche Beschwerde ist eine möglichst spezifische Frage nach Kopfschmerzen dann sinnvoll, wenn es für die in Aussicht genommene Deckung von Relevanz ist, ob jemand vorvertraglich an Kopfschmerzen litt. Mindestens sollte allerdings eine klar und eindeutig formulierte Auffangfrage (etwa nach Störungen, Beschwerden, Krankheiten) Antworten auf diese vorvertraglichen Informationen notwendig machen. Andernfalls fällt es zunächst Leistungsprüfern und dann Gerichten zu Recht schwer, die erste Prüfungshürde – Bejahung einer objektiven Falschbeantwortung einer Antragsfrage – zu nehmen.
Nicht immer ist es so einfach wie in einem schon vor 20 Jahren entschiedenen Fall, bei dem die Antragstellerin auf die Frage des Versicherers nach Beschwerden in den letzten fünf Jahren migräneartige, therapieresistente und seit 20 Jahren bestehende Kopfschmerzen verschwiegen hatte.4
Unverrückbarer außermedizinischer Sachverhalt – Funktionelle Beeinträchtigung
Nur wenn eine Beeinträchtigung durch primären Kopfschmerz derart chronisch und gravierend ist, dass eine Leistungsrelevanz im Sinne der Versicherungsbedingungen in Betracht kommt, werden insbesondere folgende berufliche Anforderungsbereiche näher in den Blick zu nehmen sein. So kann nach genauer Feststellung des unverrückbaren außermedizinischen Sachverhaltes die funktionelle Beeinträchtigung des jeweiligen Versicherten für das individuelle Berufsbild eingeschätzt werden:
- Berufliche Teiltätigkeiten mit besonders hohen Anforderungen an Konzentration und Aufmerksamkeit sowie Reaktionsgeschwindigkeit
- Reisetätigkeiten mit verschiedenen Verkehrsträgern und unter Umständen in verschiedenen Zeitzonen
- Berufliche Tätigkeiten mit hohem Kommunikationsniveau und hoher Kommunikationsfrequenz
- Berufliche Tätigkeiten, die in wechselnden Schichten ausgeübt werden
Merkmal der Dauerhaftigkeit der Berufsunfähigkeit bei Kopfschmerzen fraglich
Bekanntermaßen setzen die gängigen Berufsunfähigkeitsprodukte heute eine Dauerhaftigkeit der Berufsunfähigkeit voraus. Danach muss der Versicherte gesundheitsbedingt voraussichtlich mindestens sechs Monate außerstande sein, seinen Beruf auszuüben.
Kopfschmerzen dauern in aller Regel nicht so lange an (siehe oben), sodass die zeitliche Eintrittsschwelle bei einem sporadischen oder episodenhaften Auftreten schon nicht erreicht wird. Außerdem dürfte nahezu immer mit einer entsprechenden gesundheitlichen Wiederherstellung in kurzer Zeit zu rechnen sein. Diese medizinische Erkenntnis ist bei Krankheitsbildern, die erfolgreichen medizinischen Therapien durchaus zugänglich sind, regelmäßig zu erwarten.
Fazit
Auch wenn es schmerzt – Kopfschmerzen sind regelmäßig nicht von Dauer und führen damit nicht zur Berufsunfähigkeit. Nur in seltenen Einzelfällen können chronische primäre Kopfschmerzen von erheblicher Intensität auch zu einer quantitativen Leistungsminderung im Beruf führen, die Berufsunfähigkeit nach sich zieht. Üblicherweise spielt das Alltagsleiden „Kopfschmerzen“ in der Leistungsprüfung keine relevante Rolle.