Medizinische Beweggründe
Kommt ein Mann zum Arzt …
Mann: Ich habe seit heute Morgen schon wieder diese Bauchschmerzen, aber mein Hausarzt ist gerade im Urlaub und die Praxis ist geschlossen.
Arzt: Hat Ihr Hausarzt denn schon irgendwelche Untersuchungen durchgeführt?
Mann: Ja, mit dieser Glitsche auf dem Bauch wie bei den Schwangeren. Und er hat Blut abgenommen.
Arzt: Und was wurde festgestellt? Haben Sie die Ergebnisse der Untersuchung vielleicht dabei?
Mann: Ich habe nichts mitbekommen. Er hat da irgendwas auf der linken Seite gesehen.
Arzt: Eine Entzündung? Oder etwas anderes?
Mann: Das weiß ich nicht. Er hat gesagt, dass ich mal zur Spiegelung soll.
Arzt: Zur Darmspiegelung?
Mann: Ja, ich glaube schon. Oder Magenspiegelung.
Arzt: Haben Sie denn Vorerkrankungen?
Mann: Nein, ich bin völlig gesund.
Arzt: Nehmen Sie denn regelmäßig irgendwelche Medikamente ein?
Mann: Ja, so eine kleine weiße Tablette morgens und abends. Und dann noch eine gelbe morgens.
Arzt: Wie heißen denn die Medikamente? Und warum nehmen Sie die?
Mann: Eine ist für den Blutdruck, meine ich. Die andere weiß ich nicht mehr. Wie hießen die denn noch mal? Da müssen wir vielleicht mal meine Frau fragen. Die eine Tablette ist auch gewechselt worden, weil ich die davor nicht vertragen habe.
Arzt: Was heißt „nicht vertragen“? Haben Sie vielleicht einen Allergiepass mit dem Namen des Medikaments erhalten?
Mann: Ich hatte so rote juckende Punkte überall. Aber einen Pass habe ich nicht bekommen.
Arzt: Sind Sie denn schon mal am Bauch operiert worden?
Mann: Am Darm. Da ist was weggenommen worden, aber das ist schon bestimmt 15 Jahre her …
Bei diesem Gespräch handelt es sich um den anonymisierten Auszug aus einem tatsächlich stattgefundenen Arzt-Patienten-Gespräch im Sommer 2022 in einer Klinik in Deutschland.
Auch wenn es hier wie ein Witz anmuten mag, sieht die Realität häufig doch genau so aus. Gespräche dieser Art zwischen Arzt und einem ihm nicht bekannten Patienten finden in Deutschland täglich statt. Nur wenigen Patienten gelingt es, ihre Krankengeschichte auf Nachfrage lückenlos zu rekonstruieren. Dies gilt auch für jüngere Patienten.
Bei der Behandlung von Patienten stehen Ärzte immer wieder vor den gleichen Fragen: Welche Medikamente werden eingenommen? Welche Vorerkrankungen liegen vor? Wie waren die Blutwerte in der Vergangenheit? Und welche medizinischen Untersuchungen und Behandlungen wurden im Vorfeld bereits durchgeführt?
Antworten auf diese Fragen finden sich in den verschiedenen Krankenakten eines Patienten, die sich getrennt voneinander auf die unterschiedlichen Arztpraxen und Krankenhäuser Deutschlands verteilen. Sucht ein Patient einen Arzt auf, liegen wichtige gesundheitliche Vorinformationen oftmals überhaupt nicht, nicht rechtzeitig oder nur unvollständig vor. Zu oft sind Patienten nicht ausreichend über ihre Erkrankung und Behandlungen informiert oder sie sind aus medizinischen Gründen gerade oder auch dauerhaft nicht in der Lage, umfassende Auskünfte über ein möglicherweise lange andauerndes Patientendasein zu erteilen.
Der Mangel an Gesundheitsinformationen führt häufig dazu, dass bereits durchgeführte Untersuchungen erneut durchgeführt werden. Die Wiederholung einer nicht vorliegenden Diagnostik ist oft einfacher als fehlenden Informationen hinterherzuforschen. Dadurch kommt es zum einen zu Über- und Mehrfachtherapie von Patienten, was zur Erzeugung unnötig hoher Kosten für das deutsche Gesundheitssystem führt. Auf der anderen Seite leidet aber auch die medizinische Versorgung der Patienten unter der mangelnden Informationslage.
Gerade bildgebende Röntgen-Untersuchungen, die z. B. mit einer unnötig hohen Strahlenbelastung, oder aber invasive Untersuchungen, wie z. B. Endoskopien des Verdauungsapparates, die mit einer gewissen Verletzungsgefahr dieser Organe einhergehen, stellen ein unnötiges zusätzliches Gesundheitsrisiko für den Patienten dar.
Außerdem kann sich ein Land wie Deutschland mit einem nachweislich zunehmenden Mangel an ärztlichem und pflegerischem Fachpersonal auch nicht leisten, dass genau diese kostbare Zeit mit dem Einholen fehlender Informationen per Telefon und teilweise noch per Fax (!) verschwendet wird – Zeit, die eigentlich dringend für die konkrete Behandlung von Patienten benötigt wird.
Um diesem Missstand entgegenzuwirken, wurde im Auftrag der Bundesregierung am 1. Januar 2021 die elektronische Patientenakte (ePA) in das deutsche Gesundheitswesen eingeführt. Alle gesetzlich Versicherten können nun eine digitale Krankenakte ihrer Krankenkasse erhalten, in der medizinische Befunde und Informationen zu durchgeführten Untersuchungen und ärztlichen Behandlungen über Praxis- und Krankenhausgrenzen hinweg umfassend gespeichert werden.
Ziel ist es, auf diesem Weg eine bessere Verfügbarkeit der Daten zu erreichen und dadurch die zukünftige persönliche medizinische Behandlung für Patienten zu verbessern. Anstelle einer zermürbenden Informationsbeschaffung bei verschiedenen Behandlern kann die Zeit stattdessen für die konkrete Behandlung genutzt werden. Außerdem können Doppeluntersuchungen vermieden werden.
Je besser Ärzte und andere Akteure im Gesundheitswesen die Krankengeschichte ihrer Patienten nachvollziehen können, desto besser kann auch die geeignete Behandlung gewählt werden. Die ePA vernetzt Versicherte sowohl mit niedergelassenen Ärzten, Apotheken und Krankenhäusern. Viele bisher analog oder in Papierform ablaufende Arbeitsschritte können durch die ePA nun digitalisiert und damit vereinfacht werden. Anstatt einer Papiersammlung des Patienten zu Hause oder einzelnen Befunden in den Praxissystemen verschiedener Arztpraxen, die auf Anfrage gefaxt oder zugeschickt werden müssen, sind alle relevanten Dokumente für den jeweiligen Behandler und den Patienten verfügbar.
Wünschenswert ist eben nicht nur die bessere Information der behandelnden Akteure im Gesundheitswesen, auch der Patient selbst profitiert von der Möglichkeit des ständigen Einblicks in seine eigene digitale Gesundheitsakte.
Die Entscheidung und Kontrolle über die ePA und die darin gespeicherten Gesundheitsdaten liegen dabei allein in der Hand des Patienten, der selbst bestimmen kann, ob und in welchem Umfang die Informationen aus der ePA genutzt werden dürfen. Der Patient bestimmt auch, welche Daten in der Akte gespeichert oder gelöscht werden sollen und welchem Behandler er welche Daten zur Verfügung stellen möchte, denn nicht jede gesundheitliche Information ist auch immer für jeden Behandler wichtig. So benötigt z. B. der behandelnde Kardiologe dringend alle Informationen zu Medikamenten und Untersuchungsergebnissen des Kreislaufsystems. Dass der gleiche Patient aber vor zehn Jahren z. B. eine kosmetische Bauchstraffung oder eine Kinderwunschbehandlung erhalten hat, ist für ihn nicht relevant.
Natürlich kann ein digitales Angebot an Informationen ein persönliches Arzt-Patienten-Gespräch nicht ersetzen. Aber die ePA kann dazu beitragen, diese Kommunikation zu erleichtern und effektiver zu gestalten. Das Einverständnis des Patienten vorausgesetzt, erlaubt die ePA allen Beteiligten in der Gesundheitsversorgung, sich sowohl über den aktuellen Zustand als auch über die zurückliegende Krankengeschichte zu informieren. Auch relevante familiäre Vorerkrankungen und der Verlauf chronischer Beschwerden können erfasst werden und wertvolle Hinweise für zukünftige Prozesse und Therapiepläne liefern. Impfpässe, Mutterpässe und Untersuchungshefte für Kinder könnten ebenso verfügbar gemacht werden wie Medikationspläne, Laborwerte und Allergiepässe.
Einführung der ePA
Die Geschichte der ePA reicht viele Jahre zurück. Bereits 2003 beschloss das damalige Bundesgesundheitsministerium, die ePA auf den Weg zu bringen. Wichtige Eckpunkte der Entwicklung waren der Erlass des E-Health-Gesetzes 2015, das den Aufbau der sicheren Telematikinfrastruktur und die Einführung digitaler medizinischer Anwendungen in Gang setzte, sowie das 2020 in Kraft getretene Patientendaten-Schutz-Gesetz, das sehr konkret die erforderlichen Funktionalitäten der ePA, den Zugriff auf die enthaltenen Daten, aber auch die verschiedenen Einführungsphasen der ePA regelte.
Wie gesetzlich gefordert, wurde die ePA in Deutschland zum 1. Januar 2021 eingeführt. Seit diesem Tag sind folglich alle gesetzlichen Krankenkassen verpflichtet, für jeden ihrer Versicherten eine ePA einzurichten. Auch die zuweilen bereits zuvor bestehenden elektronischen Gesundheitsakten (eGA) mussten zu diesem Zeitpunkt in das von der Gesellschaft für Telematik (Gematik) spezifizierte ePA-Format überführt werden.
Voraussetzung für die Einrichtung einer ePA für den einzelnen Patienten ist, dass dieser dessen Einrichtung ausdrücklich verlangt; die Nutzung ist für den Patienten also freiwillig. Ärzte, Krankenhäuser und sonstige medizinische Leistungserbringer sind dagegen verpflichtet, Behandlungsdaten in die ePA einzuspeisen, sofern ihr Patient dies von ihnen verlangt. Diese Verpflichtung trat verzögert zum 1. Juli 2021 in Kraft, nachdem die flächendeckende technische Anbindung der Gesundheitseinrichtungen über sogenannte Konnektoren mehr Zeit in Anspruch nahm als zunächst erwartet.
Seit dem Start der ePA sind also bereits fast zwei Jahre vergangen. In der öffentlichen Diskussion spielt sie bisher dennoch keine substanzielle Rolle. Erwähnt man sie im persönlichen Gespräch, reagieren nicht wenige Menschen überrascht, dass auch für sie bereits die Möglichkeit der Einrichtung einer ePA besteht. Das Angebot ist also vielen immer noch völlig unbekannt. Entsprechend ist auch die Anzahl bestehender ePAs, d. h. die Zahl ihrer aktiven Nutzer noch sehr überschaubar. So haben sich in den ersten zwölf Monaten ihres Bestehens nur ca. 1 % der Berechtigten eine ePA einrichten lassen.1 Dies ist so enttäuschend wie auch überraschend, da bis zu drei Viertel der Bürger bei aktiver Nachfrage Interesse an der ePA bekunden.2
Was sind die Ursachen für diesen verhaltenen Start?
Die Einführung der ePA geschah weitgehend unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit. Auf groß angelegte Werbekampagnen wurde zunächst verzichtet. Es oblag weitgehend den Krankenkassen selber, ihre Versicherten über das neue Angebot zu informieren.
Für diese Zurückhaltung gibt es verschiedene Gründe:
Zum einen wurde zum 1. Januar 2021 zunächst nur die erste Ausbaustufe der ePA (die sogenannte ePA 1.1) gezündet. Sie konnte erste Dokumente speichern, wie einen Notfalldatensatz, Medikationspläne und Arztbriefe, und es war dem Patienten auch bereits möglich, eigene Dokumente hochzuladen, um diese mit seinen behandelnden Ärzten zu teilen. Wichtige erweiterte Funktionen, wie z. B. ein verfeinertes Zugriffsmanagement, fehlten dagegen in dieser Basisversion, sodass die Attraktivität der ePA in diesem frühen Stadium noch sehr eingeschränkt war. Der Ausbau ihrer Funktionen ist aber unumgängliche Voraussetzung dafür, dass die ePA ihren vollen Nutzen für den Patienten sowie seine medizinischen Behandler entfalten kann.
Noch entscheidender für den unauffälligen Start der ePA dürfte aber ihr Zeitpunkt gewesen sein. Der Startschuss für dieses bahnbrechende Projekt fiel ausgerechnet in eine Phase, in der sich das deutsche Gesundheitssystem in einem absoluten Ausnahmezustand befand. Wir erinnern uns: Die Corona-Pandemie befand sich im Winter 2020/2021 auf dem Höhepunkt ihrer zweiten Welle. Zu keiner Phase der Pandemie wurden in Deutschland mehr Todesfälle registriert als im Januar 2021; dementsprechend belastet war das deutsche Gesundheitssystem. Der erste Corona-Impfstoff erhielt seine Zulassung am 21. Dezember 2020; die Impfkampagne startete offiziell am 27. Dezember 2020. Diese Themen beherrschten die öffentliche Diskussion und ließen wenig Raum für weitere, insbesondere weitere gesundheitsbezogene Themen.
Dass die ePA trotz dieser dramatischen Situation für das Gesundheitswesen überhaupt fristgerecht eingeführt werden konnte, ist fast schon überraschend. Gleichzeitig zeigt es auf, dass an der Wichtigkeit und Dringlichkeit ihrer Einführung bei den Verantwortlichen keine Zweifel aufkamen.
Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass dieses Großprojekt zur Digitalisierung des deutschen Gesundheitssystems inmitten einer globalen Pandemie startete. Die Pandemie hat schonungslos offengelegt, wie wenig fortgeschritten die Digitalisierung im deutschen Gesundheitssystem bisher ist. Gleichzeitig hat sie allen Bürgern vor Augen geführt, wie substanziell wichtig der schnelle, zuverlässige Datenaustausch über medizinische Einrichtungen und Behörden hinweg sein kann, um bestmögliche Gesundheitsvorsorge für die Bevölkerung betreiben zu können, und dass es der Gesundheitsversorgung aller dienen kann, Gesundheitsdaten zentral erfassen und auswerten zu können. Dabei geht es oftmals gar nicht um individuelle, d. h. personenbezogene Gesundheitsdaten, vielmehr könnten derartige Daten auch bereits anonymisiert helfen, um z. B. regionale Bevölkerungsstrukturen und damit Gesundheitsrisiken besser zu verstehen, um Impfstoffe und sonstige medizinische Versorgung zielgerichtet zu verteilen oder auch um die Wirksamkeit von Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung zu messen.
Die lückenhafte Digitalisierung des Gesundheitswesens und das Fehlen einer flächendeckend eingeführten ePA hat den handelnden Akteuren die Arbeit unnötig erschwert. „Eine weitere Verzögerung der 2003 beschlossenen und gesetzlich verankerten elektronischen Patientenakte ist nicht mehr mit einem modernen Gesundheitswesen und Pandemiemanagement vereinbar“, konstatierte folglich auch der ExpertInnenrat der Bundesregierung zu COVID-19.3
ePA 2.0 und weitere Entwicklungen
2022 ist die zweite Ausbaustufe der ePA in Kraft getreten, die sogenannte ePA 2.0. Diese erweitert die bisherigen Funktionen durch die Anbindung weiterer Behandler, wie z. B. Pflegepersonal, Hebammen und Physiotherapeuten, und es können weitere Dokumententypen aufgenommen werden, wie Impfpass, Mutterpass, Zahnbonus- und Kinderuntersuchungsheft. Darüber hinaus bietet sie dem Versicherten ein verfeinertes Zugriffsmanagement, das ihm erlaubt, Leserechte für seine medizinischen Behandler sehr eng zu definieren.
Die Entwicklung der ePA setzt sich also wie geplant fort, wenn auch weiterhin nicht ohne Hürden. Die zweite Ausbaustufe wird zurzeit erst sukzessive ausgerollt. Hintergrund der erneuten Verzögerung ist insbesondere, dass das Update der erforderlichen Praxissoftware noch nicht flächendeckend erfolgt ist. Dies ändert jedoch nichts daran, dass die Erweiterungen den Nutzen der ePA für den Patienten erheblich erhöhen. Erste Krankenkassen berichten folglich auch bereits über eine deutlich gestiegene Zahl an Interessenten an der Einrichtung ihrer ePA.4
Zudem hat im August 2022 auch der erste private Krankenversicherer eine Zulassung für seine ePA erhalten.5 Weitere private Versicherer werden folgen, sodass die Möglichkeit zur Nutzung einer ePA auch allen privat Krankenversicherten über kurz oder lang zur Verfügung stehen wird.
Für 2023 ist mit der ePA 2.5 bereits die nächste Ausbaustufe und damit ein weiterer Zuwachs ihrer Funktionen geplant. So sollen Nutzer dann z. B. Krankenhaus-Entlassungsbriefe, Pflegeüberleitungsbögen und Laborwerte verwalten sowie Daten aus digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGa) in ihrer ePA speichern können. DiGas sind beispielsweise elektronische Tagebücher zum Monitoring chronischer Erkrankungen, Online-Coachings und interaktive Therapieprogramme. Außerdem wird die pseudonymisierte Weitergabe der Daten aus der ePA für Forschungszwecke ermöglicht, damit diese Daten künftig zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung eingesetzt werden können.
Am politischen Willen, die Entwicklung und Verbreitung der ePA voranzutreiben, hat sich also seit ihrer Einführung nichts geändert. Dies lässt sich u. a. auch daran ablesen, dass die ePA kürzlich zu einem von 18 digitalen Leuchtturmprojekten im Rahmen der Digitalstrategie der Bundesregierung ernannt wurde.6 Ziel dieses Projektes ist es, dass 2025 in Deutschland mindestens 80 % der gesetzlich Versicherten eine elektronische Patientenakte (ePA) haben.
Um dieses ambitionierte Ziel zu erreichen, wird nicht nur die Fortsetzung der bisherigen Anstrengungen zur technischen Implementierung notwendig sein. Noch wichtiger wird es sein, das Produkt ePA und ihre zahlreichen Nutzungsmöglichkeiten einer breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen. Die zahlreichen geplanten zusätzlichen Funktionen müssen ausgerollt, die Nutzung der ePA aber dennoch einfach bleiben – eine der großen Herausforderungen, weil aufgrund der Sensibilität der Daten gleichzeitig höchste Sicherheitsstandards einzuhalten sind. Um die Nutzerzahlen zu erhöhen, wird zudem derzeit eine Umstellung diskutiert vom bisherigen Opt-in-Modell – d. h., der Patient muss aktiv eine Einrichtung der ePA einfordern – auf ein Opt-out-Modell – d. h., die ePA wird für jeden Krankenversicherungskunden eingerichtet, er kann dieser Einrichtung aber nachträglich widersprechen.
Wenngleich die ePA sich also als der erwartete Kraftakt für das deutsche Gesundheitswesen erwiesen hat, ist ihr Ausbau in vollem Gange und der Wille aller Beteiligten ungebrochen, ihr den vollen Nutzen für die Gesundheitsversorgung der Patienten zu entlocken.
Die ePA in der Lebensversicherung
Wie bei allen großen Veränderungen im Gesundheitssystem stellt sich auch bei der ePA die Frage: Wirkt sich ihre Einführung ausschließlich auf den Krankenversicherungssektor aus oder werden auch andere Sparten, z. B. die Lebensversicherung, zumindest mittelbar davon beeinflusst?
Auf den ersten Blick scheint dies nicht der Fall zu sein. Lebensversicherer sind in keiner Weise an der Entwicklung der ePA beteiligt. Sie haben auch keinerlei Recht, auf die in der ePA enthaltenen Daten zuzugreifen; dies gilt im Übrigen auch für die Krankenversicherer, die die ePA zwar zur Verfügung stellen, die darin enthaltenen Daten aber nicht einsehen können.
Auf den zweiten Blick wird aber deutlich, dass ein zumindest mittelbarer Einfluss auf die Lebensversicherer unvermeidlich ist und in der Zukunft im besten Fall ihren Kunden den Einstieg in die Versicherung erleichtern kann.
Sieht man sich die in der ePA enthalten Daten an – Arztkontakte, Diagnosen, Behandlungspläne etc. –, handelt es sich dabei um genau solche Informationen, die der Lebensversicherer regelmäßig bei der Antragsaufnahme und anschließenden Risikoprüfung beim Antragssteller erhebt. Nicht selten fällt es diesem schwer, alle geforderten Informationen bereitzustellen. Wir erinnern uns an das Patientengespräch zu Beginn dieses Artikels: Wie lautete noch die genaue Diagnose des Arztes? Und wie das verschriebene Medikament? Ist der Arztbesuch erst ein oder schon zwei Jahre her? Und wie lange genau war ich aufgrund dieser Diagnose krankgeschrieben?
Die Beantwortung dieser und weiterer Fragen des Versicherers fällt Antragstellern, bei denen es sich in aller Regel um medizinische Laien handelt, regelmäßig schwer. Mit einer ungenauen oder unvollständigen Antwort riskieren sie aber, im Falle der späteren Anmeldung eines Leistungsfalles leer auszugehen, wenn nämlich der Versicherer die erwartete Leistung – berechtigterweise – aufgrund der bei Antragsstellung begangenen Verletzung ihrer vorvertraglichen Anzeigepflicht verweigert.
Stehen dem Antragssteller nun in seiner ePA seine gesammelten Gesundheitsinformationen auf Knopfdruck auf seinem Smartphone zur Verfügung, kann er mithilfe dieser Informationen die Antragsfragen sicher und umfassend beantworten. Dies ist nicht nur ein Gewinn für den Kunden, der sich im Ernstfall der Leistung durch den Versicherer gewiss sein kann, sondern auch für den Versicherer, der die Leistung nicht verweigern und damit das Kundenverhältnis belasten muss.
Bereits in diesem Szenario hat sich das Vorhandensein der ePA für den Versicherer ausgewirkt, und das, ohne dass er überhaupt Kenntnis davon haben muss, dass der Antragsteller seine ePA zur Unterstützung bei der Beantwortung der Gesundheitsfragen herangezogen hat.
Denkbar ist aber auch, noch einen Schritt weiter zu gehen: In dem geschilderten Szenario ist es immer noch der Antragsteller, der die Daten lesen und in den Antragsprozess einbringen muss und das Risiko trägt, bei der Übertragung Fehler zu machen. Wäre es nicht noch komfortabler für den Antragsteller, der Versicherer würde ihm auch diese Aufgabe noch abnehmen?
Wie bereits gesagt, hat der Lebensversicherer unter keinen Umständen direkten Zugriff auf die in der ePA enthaltenen Daten. Sie stehen nur dem Patienten selbst sowie – mit Einverständnis des Patienten – seinen Behandlern zur Verfügung. Gleichzeitig sind die Daten aber Eigentum des Patienten. Damit hat er die vollständige Verfügungsgewalt darüber. Dies bedeutet u. a., dass er über sie nach eigenem Ermessen verfügen, sie also auch aus der ePA exportieren und teilen kann.
Würde er die Daten auf diesem Weg mit dem Versicherer teilen, welche Möglichkeiten würden sich daraus ergeben? Verschiedene Ansätze sind denkbar:
Ein einfacher Ansatz könnte darin bestehen, durch eine Analyse der Gesundheitsdaten eine Vorselektion vorzunehmen und Kunden in den für sie geeigneten Antragsprozess zu leiten. Ggf. könnte aber auch bereits geprüft werden, ob eine Versicherbarkeit des Kunden im beantragten Produkt voraussichtlich gegeben ist.
In einem komplexeren Ansatz könnte durch den Einsatz der ePA der klassische Frage-Antwort-Prozess ersetzt werden. Das heißt, auf die Beantwortung von Gesundheitsfragen durch den Antragsteller würde verzichtet, die Risikoprüfung stattdessen idealerweise abschließend anhand der ePA-Daten vorgenommen.
Was einfach klingt, ist im Detail dann doch nicht trivial, sondern erfordert zu seinem Gelingen eine sehr intensive Auseinandersetzung mit den Eigenarten der ePA und der in ihr enthaltenen Daten.
So ähneln die in der ePA enthaltenen Daten denen, die traditionell in der Risikoprüfung erhoben werden, sind bei genauerem Hinsehen aber doch nicht identisch (siehe Tabelle 1).