Versicherungsgesellschaften sollten innovativ sein, um Marktstellung und Wachstum zu sichern. Aber wie lässt sich dies in der Praxis umsetzen?
Bei der Gen Re setzen wir uns intensiv mit dieser Fragestellung auseinander. Im Rahmen eines kollaborativen Projektes mit der TH Köln haben wir uns mit neuen Ansätzen in der Berufsunfähigkeitsversicherung beschäftigt, insbesondere im Hinblick auf die jüngeren Zielgruppen. Vier Studenten des Master-Studiengangs „Risk and Insurance“ haben in Zusammenarbeit mit den Spezialisten aus der Risikoprüfung der Gen Re in Köln untersucht, wie Versicherungsgesellschaften die Akzeptanz von Klauseln und Zuschlägen in der Berufsunfähigkeitsversicherung steigern können.
Das Forschungsprojekt, das auf Theorien der Verhaltensökonomie beruhte, stützte sich auf Interviews mit verschiedenen bedeutenden Versicherungsunternehmen, Versicherungsvertretern, einem Insurtech-Unternehmen und vor allem der Zielgruppe (Studenten zwischen 20 und 30 Jahren). Im Rahmen des Projektes wurden verschiedene verhaltensökonomische Theorien untersucht, die einen Einfluss auf die Vermarktung der Berufsunfähigkeitsprodukte haben können.
Bewältigung der Verlustaversion
Die „Prospect Theory“ (auch „neue Erwartungstheorie“ genannt) beschreibt das nicht immer rationale Verhalten in Situationen, die ein gewisses Maß an Risiko und Unsicherheit enthalten. Einen Verlust empfinden wir beispielsweise schlimmer, als wenn wir uns über einen Gewinn freuen (Verlustaversion). Außerdem steigt der gefühlte Wert einer Sache, wenn sie uns gehört (Besitztumseffekt).
Im Zusammenhang mit der Berufsunfähigkeitsversicherung betrachtet der Kunde Zuschläge und Klauseln als einen Verlust. Die studentischen Forscher schlugen vor, dieser Wahrnehmung durch die Schaffung eines zusätzlichen Vorteils entgegenzuwirken. Ein Beispiel wäre das Angebot von zusätzlichen Dienstleistungen. Ganz konkret könnte es sich hierbei um eine Ernährungsberatung oder Empfehlungen für Gymnastikübungen und Work-outs handeln. Ein weiterer Nutzen dieses Ansatzes besteht für den Versicherer darin, dass ein langfristiger, positiver Berührungspunkt mit dem Versicherten geschaffen wird.
Um der Verlustaversion entgegenzuwirken und den Besitztumseffekt zu stärken, könnte man den Kunden die Option anbieten, die Versicherungsentscheidung nach einer gewissen Zeit zu überprüfen. Da die Antragsteller oft der Meinung sind, dass sie wieder gesund sind und keine Probleme mehr haben werden, kommt es ihnen sehr entgegen, wenn ihnen die Möglichkeit eingeräumt wird, nach einer gewissen Zeit eine normale Deckung zu erhalten.
Die Befragungen der Zielgruppe zeigten, dass derartige Bemühungen seitens des Versicherers von den Kunden sehr positiv und als Zugeständnis wahrgenommen werden, vor allem dann, wenn sie gut erklärt werden.
Die studentischen Forscher gingen sogar noch einen Schritt weiter und schlugen vor, den Antragstellern die Möglichkeit zu bieten, ihre Versicherungsentscheidung durch die Verbesserung ihres Gesundheitszustands aktiv zu beeinflussen. Dies könnte durch die Erfüllung bestimmter vordefinierter Kriterien erfolgen, wie zum Beispiel eine erfolgreiche Physiotherapie und Rehabilitation, die Teilnahme an Sportstunden zur Gesundheitsvorsorge oder festgelegte Work-out-Einheiten mit einer Gesundheits-App.
Der Zielgruppe gefiel die Idee, mit dem Versicherer zusammenzuarbeiten und damit gemeinsam aktiv zur Verbesserung ihrer Gesundheit beizutragen. Ähnliche Ansätze können bei verschiedenen Krankenversicherern beobachtet werden, die dieses Konzept beispielsweise im Rahmen von Bonusprogrammen anbieten.
Alternativen zu Klauseln
Die Reaktanztheorie ist ein weiterer Aspekt der Verhaltensökonomie, der in diesem Projekt untersucht wurde. Die Theorie besagt, dass die Menschen Wahlmöglichkeiten haben wollen. Wenn sie keine Wahl haben, wird die einzige zur Verfügung stehende Option automatisch als weniger attraktiv eingestuft. Die Antragsteller fühlen sich somit eingeschränkt, wenn sie eine (ihrer Meinung nach ungerechtfertigte) Klausel akzeptieren müssen, um den Versicherungsschutz zu erhalten.
Die Forscher hatten die Idee, Szenarien zu definieren, in denen wir normalerweise eine Klausel empfehlen würden, aber in denen es grundsätzlich denkbar wäre, gegen eine zusätzliche Prämie teilweise Deckung für die ausgeschlossene Erkrankung anzubieten.
Nehmen wir als Beispiel einen Antragsteller, der sich beim Sport an der Schulter verletzt hat. Drei Jahre nach der erfolgreichen Operation gibt der Kunde an, gelegentlich immer noch Schulterschmerzen zu haben. Es gibt jedoch keine grundsätzlichen Bewegungseinschränkungen oder Arbeitsunfähigkeiten. Sein Arzt hat ihm bestätigt, dass dies nicht unüblich ist und er keiner weiteren Behandlung oder Nachsorge bedarf.
Der Antragsteller ist jung und gesund, betreibt regelmäßig Sport und übt eine Bürotätigkeit aus. Eine Berufsunfähigkeit aufgrund der Beeinträchtigung der Schulter ist grunsätzlich möglich, aber eher unwahrscheinlich.
In diesem Fall könnte der Versicherer statt einer Klausel die folgenden Optionen anbieten:
Fazit
Obwohl diese Beispiele keine fertig ausgearbeiteten Lösungen darstellen, führen sie vor Augen, wie innovative Ideen rund um die Verhaltensökonomie den Versicherern helfen können, neue Konzepte zu entwickeln, um ihr Wachstum zu steigern und sich gegenüber der Konkurrenz abzugrenzen.
Wir konnten viel aus diesem Forschungsprojekt lernen und würden uns freuen, Ihnen auch die restlichen Ideen vorzustellen. In diesem Zusammenhang machen wir Sie gerne auf unser Webinar am 25. November 2020 aufmerksam.
Bitte kontaktieren Sie uns, wenn Sie mehr zu diesem Thema erfahren möchten. Wir würden uns freuen, gemeinsam ein Pilotprojekt zu starten.