Die Herleitung stabiler Sterbetafeln ist eine der wichtigsten Aufgaben für Lebensversicherer. Sterbewahrscheinlichkeiten für einzelne Alter sind in der Regel sehr klein, für verlässliche Schätzungen benötigt man daher eine eher große Stichprobe. Anderenfalls ist die Wahrscheinlichkeit gegenüber auch nur kleinen Schwankungen in der Anzahl der Todesfälle zu instabil. Dies ist vor allem bei der Abschätzung der Sterblichkeit in hohen Altern ein Knackpunkt. Aus aktuarieller Sicht besteht eine der Herausforderungen darin, dass jeder Mensch nur ein Mal im Leben stirbt.
In mittleren Altern - in denen die einjährige Sterbewahrscheinlichkeit ungefähr ein Promille beträgt - benötigt ein Aktuar zur Herleitung einer zuverlässigen Sterbetafel mehr als 20.000 Personenjahre. Dies stellt normalerweise kein Problem dar, handelt es sich hierbei doch um den wichtigsten Altersbereich eines Lebensversicherungsprodukts. Allerdings sinkt die Zahl der Lebenden für beide Geschlechter mit steigendem Alter sehr schnell, und damit auch die Anzahl der beobachteten Sterbefälle (siehe Diagramm). Auch wenn die Sterbewahrscheinlichkeit mit dem Alter fast exponentiell zunimmt, gibt es jenseits des Alters 85 (Männer) bzw. 90 (Frauen) einen starken Rückgang an Todesfällen. Dieses Muster tritt in vielen Bevölkerungen ähnlich auf.
Für Lebensversicherer ist es entscheidend, diese Ungewissheit in Bezug auf die Sterblichkeit und die Risikoprofile im fortgeschrittenen Lebensalter zu verstehen. Familienstudien zeigen, dass genetische Faktoren 20 %-30 % der Unterschiede in der Lebensdauer erklären können, darüber hinausgehende Abweichungen jedoch Umwelteinflüssen zuzuschreiben sind.
Zwei aktuelle Studien
1 - Auftreten von Erkrankungen unter Hochbetagten
Vor kurzem untersuchte ein Team um die Sozialwissenschaftlerin Prof. Dr. Gabriele Doblhammer von der Universität Rostock die Prävalenz bestimmter Erkrankungen unter Hochbetagten. Die Forscher werteten Daten des deutschen Krankenversicherers AOK aus und verglichen zwei Geburtskohorten miteinander. Die ältere Kohorte umfasste Menschen ab 95 bis zum Tod oder Erreichen des 100. Lebensjahres, die jüngere Personen zwischen 85 und 90 Jahren. Auf der Grundlage von knapp 20.000 Versicherten untersuchten die Wissenschaftler, wie sich Menschen, die ein sehr hohes Alter erreichten, in Bezug auf das Auftreten bestimmter Erkrankungen von der übrigen Bevölkerung unterscheiden.
Die häufigsten Erkrankungen in der älteren Geburtskohorte fielen in die Kategorie „andere chronische Herzerkrankungen“ (z. B. Kardiomyopathie, Herzinsuffizienz und rheumatische Herzerkrankungen), die zweithäufigste Erkrankung war Demenz mit einer Prävalenz von 59 % bzw. 53 %. Darüber hinaus litten 73 % Personen dieser Gruppe an Bluthochdruck und 30 % an Diabetes - beides Erkrankungen, die in der jüngeren Kohorte wesentlich häufiger auftraten. Die Prävalenz aller untersuchten Krankheiten nahm mit steigendem Alter kontinuierlich zu. Bei denjenigen, die am ältesten wurden, fiel die Prävalenz jedoch in jedem Lebensalter erheblich niedriger aus als bei den Versicherten, die in diesem Alter verstarben.
Bei einer Differenzierung nach Alter zum Todeszeitpunkt gab es einen signifikanten Zusammenhang zwischen dem Sterberisiko und dem Auftreten von Demenz und chronischen Herzerkrankungen. Von denjenigen, die älter als 100 wurden, litten 28 % im Alter von 95 an Demenz. Dieser Anteil stieg bis zum Alter von 100 auf 54 % an. Bei Menschen, die früher starben, trat Demenz in jedem Alter häufiger auf. In der Gruppe derjenigen, die zwischen 97 und 99 Jahren starben, lag die höchste Prävalenz von Demenz vor dem Tod bei fast 70 % - also wesentlich höher als bei den Menschen der älteren Kohorte, die den 100. Geburtstag überlebten. Bei denjenigen, die mit 95 starben, lag die Prävalenz von Demenz bereits bei 55 %. Ein ähnlicher Verlauf wurde für die Kategorie „andere chronische Herzerkrankungen“ festgestellt, obwohl dieses Ergebnis weniger eindeutig ausfiel als für Demenz. Das geringere Auftreten von Demenz und chronischen Herzerkrankungen bei Menschen, die ein höheres Alter erreichten, war auch in der jüngeren Kohorte deutlich erkennbar.
Im Gegensatz dazu konnte in Bezug auf andere häufig auftretende Erkrankungen wie Bluthochdruck und Diabetes kein eindeutiger Zusammenhang zwischen der Prävalenz und dem Sterbealter festgestellt werden. Bei Bluthochdruck gab es keinen Überlebensvorteil für Hundertjährige gegenüber ihrer Kohorte und nur geringe Vorteile für Menschen im Alter zwischen 90 und 99. Im Fall von Diabetes war dieser Effekt in der jüngeren Kohorte deutlicher.
2 - Der Einfluss von Größe und körperlicher Aktivität auf die Lebenserwartung
Am Maastricht University Medical Center in den Niederlanden untersuchte der Forscher Lloyd Brandts den Einfluss von Körpergröße und körperlicher Freizeitaktivität eines Menschen auf dessen Lebenserwartung. Das Forscherteam um Brandts wertete die Daten der ältesten Geburtskohorte der niederländischen Kohortenstudie (NLCS) aus, deren Teilnehmer zu Studienbeginn zwischen 68 und 70 Jahre alt waren, um herauszufinden, wie sich die Größe, der Body Mass Index (BMI), die Veränderung des BMI seit dem 20. Lebensjahr und die körperliche Aktivität in der Freizeit auf die Wahrscheinlichkeit auswirkten, das 90. Lebensjahr zu erreichen. Dabei stellten die Wissenschaftler erhebliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern fest.
Bei Frauen wurde ein deutlicher Einfluss von Größe und BMI auf die Lebensdauer beobachtet. Frauen mit einer Größe von über 175 cm hatten eine um 31 % höhere Wahrscheinlichkeit, 90 zu werden, als Frauen, die kleiner als 160 cm waren. Im Gegensatz zu normalgewichtigen Frauen war die Wahrscheinlichkeit, ein hohes Alter zu erreichen, bei übergewichtigen Frauen mit einem BMI von über 30 um 32 % geringer. Darüber hinaus war ein Anstieg des BMI um mehr als acht Punkte seit dem 20. Lebensjahr mit einer um 19 % geringeren Wahrscheinlichkeit verbunden, sehr alt zu werden, als bei Frauen, deren BMI um weniger als vier Punkte zugenommen hatte.
Bei Männern spielte die Größe oder das Gewicht keine Rolle für eine lange Lebensdauer, dafür jedoch das Maß an körperlicher Aktivität im Alter von 60. Männer, die angegeben hatten, täglich länger als 90 Minuten körperlich aktiv zu sein, hatten eine um 40 % höhere Wahrscheinlichkeit, alt zu werden, als Männer, die weniger aktiv waren. Bei Frauen lag das optimale Maß an körperlicher Aktivität auf einem mittleren Niveau zwischen 30 und 60 Minuten täglich. Mehr Aktivität brachte keine nennenswerte positive Veränderung. Weder bei Männern noch bei Frauen wurde ein wesentlicher Einfluss des BMI im Alter von 20 Jahren auf die Lebenserwartung festgestellt.
Unsere Sicht auf das Thema
Im Einklang mit den Beobachtungen dieser beiden Studien stellen wir ein wachsendes Interesse an der kontinuierlichen Messung von Gesundheits- und Lifestyle-Faktoren der versicherten Bevölkerung fest, etwa in Bezug auf die Veränderung des BMI im Laufe der Zeit und das Maß an körperlicher Aktivität. Insbesondere angesichts der weltweiten Zunahme von Adipositas nimmt der Einfluss einer gesunden Lebensweise auf die Lebenserwartung an Relevanz zu. In Zukunft werden Lebensversicherer diese Daten möglicherweise nutzen, um die Versicherungsprämien individueller einzustufen oder sogar kontinuierlich anzupassen und dadurch die Interaktion mit ihren Kunden während der gesamten Vertragslaufzeit zu steigern.
Neben den traditionellen Versicherungsleistungen könnten Versicherer ihren Kunden gezielt Programme zur Senkung des BMI oder zur Steigerung der körperlichen Aktivität im fortgeschrittenen Alter anbieten, um deren Gesundheit zu verbessern und die Chancen auf ein langes Leben zu erhöhen.
Dieser Artikel erschien ursprünglich in unserer E-Newsletter-Serie „The Future of Old Age - Insights for Insurers“.
Referenzen
- Brandts, L., & van den Brandt, P. A. (2019). Body size, non-occupational physical activity and the chance of reaching longevity in men and women: Findings from the Netherlands Cohort Study. Journal of Epidemiol Community Health, 73(3), 239-249. doi:10.1136/jech-2018-211410.
- Doblhammer, G., & Barth, A. (2018). Prevalence of Morbidity at Extreme Old Age in Germany: An Observational Study Using Health Claims Data. Journal of the American Geriatrics Society, 66(7), 1262-1268. doi:10.1111/jgs.15460.