Bei der Beurteilung von Unfallverletzungen und daraus resultierenden Folgen i. S. von Funktionsstörungen ist zunächst die Sicherung des strukturell erlittenen Erstkörperschadens erforderlich. Der ärztliche Sachverständige muss nach positiver Beantwortung der haftungsbegründenden und -ausfüllenden Kausalität dann die unfallbedingten Einbußen an körperlicher und/oder geistiger Leistungsfähigkeit aufzeigen und gegenüber der normalen Funktion wichten. In der Privaten Unfallversicherung besteht die schwierige Aufgabe der Prognosebeurteilung, und so steht der Gutachter auch vor der Frage, ob eine im Verlauf zunehmende Arthroseentwicklung (anteilig) Unfallverletzungsfolgen zuzurechnen oder sie schicksalhaft einzuordnen ist.
Medizinische und rechtliche Grundlagen
Verschiedene Faktoren können zu einer sekundären Arthrose führen/beitragen, wie Adipositas und Gicht, Nikotin- und/oder Alkoholabusus, Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises, Beinachsfehlstellungen oder berufliche Faktoren [2, 7], wobei eine klare Trennung beider Formen oft nicht möglich ist [9]. Ursache für eine sekundäre Arthrose können aber eben auch Unfallverletzungen sein i. S. von Gelenkfrakturen oder aber auch Kapsel-Band-Verletzungen mit z. B. daraus resultierender, mehr oder weniger ausgeprägter chronischer Instabilität.
Es liegen inzwischen beispielhaft für das Kniegelenk Ergebnisse einer systematischen Literaturrecherche mit anschließender Metaanalyse vor, wo überprüft wurde, wie sich das Arthroserisiko nach Kreuzbandverletzung in Abhängigkeit von der Zeit entwickelt [3]. Dabei konnte bestätigt werden, dass die Verletzung des vorderen Kreuzbands einen Risikofaktor für eine spätere, dem Altersmaß vorangehende Arthrose darstellt (Abb. 1). Die Arthroserate nach Kreuzbandverletzung nimmt demnach mit dem Zeitintervall signifikant zu.
Es konnte aber in der Studie insbesondere auch gezeigt werden, dass sich ein längerfristiges Arthroserisiko nicht regelhaft innerhalb der Dreijahresfrist an nativ-röntgenologischen Arthrosezeichen darstellt.
Ausgangspunkt in der Privaten Unfallversicherung (PUV) ist die Invaliditätsbescheinigung. Die Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AUB) (Musterbedingungen) sehen vor, dass eine Invalidität binnen eines Jahres, vom Unfalltag an gerechnet, eingetreten sein muss (Invaliditätseintrittsfrist); ist diese Frist in Bedingungswerken verlängert, wird der Versicherer dem Gutachter dies mitteilen. Zu diesem Zeitpunkt muss die körperliche oder geistige Leistungsfähigkeit der versicherten Person unfallbedingt dauerhaft beeinträchtigt sein (Invalidität). Dies gilt seit den AUB 88. Eine Beeinträchtigung ist dauerhaft, wenn sie voraussichtlich länger als drei Jahre bestehen wird und eine Änderung dieses Zustandes nicht erwartet werden kann, so definiert in § 180 S. 2 VVG (Versicherungsvertragsgesetz) und übernommen in die AUB 2008 ff.
Bis zum Ablauf der Invaliditätseintrittsfrist (in der Regel ein Jahr) muss nach dem Unfallereignis eine derart erhebliche Wahrscheinlichkeit für eine dauerhafte körperliche oder geistige Funktionsbeeinträchtigung bestehen (§ 286 ZPO (Zivilprozessordnung)), dass sie „Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen“.
Dies bedeutet dann im Rahmen der Betrachtung einer (isolierten) Arthrose, dass der ärztliche Sachverständige prüfen und beurteilen muss, ob zum konkreten Stichtag eine Arthrose besteht und ob durch diese eine funktionelle Störung eingetreten ist, die über das dritte Unfalljahr hinaus verbleiben wird oder ob eine andere funktionelle Beeinträchtigung verblieben ist und eine spätere Arthrose denkbar erscheint [4].
Bei der Bemessung der Höhe der Invalidität ist zu klären, in welchem Schweregrad Funktionsbeeinträchtigungen bestehen und verbleiben werden. Die Prognose zur Höhe der Invalidität muss von den Symptomen bzw. Befunden der letzten nach den AUB zulässigen und somit maßgeblichen ärztlichen Untersuchungen ausgehen und die Entwicklung berücksichtigen, die mit einem hohen Grad an Wahrscheinlichkeit (§ 287 ZPO) von Dauer sein wird.
Es kommt also darauf an, ob maximal drei Jahre nach dem Unfallereignis Umstände vorliegen bzw. „erkennbar“ sind, die einen besseren oder schlechteren Dauerzustand „hinreichend prognostizierbar“ erscheinen lassen [3].
Für eine Erhöhung des zum Dreijahreszeitraum nach Unfall feststellbaren Invaliditätsgrades aufgrund einer prognostizierbaren Verschlechterung des Funktionsdefizits bedarf es nach der Rechtsprechung nicht nur einer „einfachen“, sondern einer „hohen“ Wahrscheinlichkeit, man befindet sich hier also im Gegensatz zur gesetzlichen Unfallversicherung in einem Bereich von 80/90 % oder mehr. Man möge sich an dieser Stelle noch einmal verinnerlichen, welche zusätzlichen Faktoren bei der Entwicklung einer Arthrose (u. a. Adipositas, Gicht, Nikotin-, Alkoholabusus, rheumatische Erkrankungen, anlagebedingte Gelenkfehlstellungen, berufliche Faktoren) in zeitlicher Ferne zum Unfallereignis nach z. B. 10 oder 20 Jahren eine Rolle spielen werden. Es entsteht dadurch eine solch große Heterogenität, dass man seriös den allein unfallbedingten, also posttraumatischen Verlaufsanteil der Arthrose nicht mit dem gebotenen Beweismaß rational voraussagen kann.
Konsequenzen für die Begutachtung in der PUV
Bisher empfiehlt man, allein für das Risiko der Entwicklung einer posttraumatischen Arthrose so genannte Risikozuschläge zu bemessen, indem man zum versicherungstechnisch spätmöglichsten Zeitpunkt bei posttraumatischen Arthrosegraden Kellgren I/II 1/20 und bei Schweregraden III/IV 2/20 Arm-, Bein-, Hand-, Fußwert als Risikozuschlag beziffert. Grundlage dieses Invaliditätszuschlags ist die Meinung der Autoren, dass sich „basierend auf gesicherten gutachtlichen Erfahrungen, … ein längerfristiges Arthroserisiko innerhalb des zweiten, längstens dritten Unfalljahres zumindest mit einer initialen, im nativ-röntgenmorphologischen Seitenvergleich nachweisbaren Arthrose zu manifestieren pflegt“. [5]
Überträgt man das allgemein hohe Arthroserisiko auf das konkret zu begutachtende Individuum, so ist trotz Wahrscheinlichkeit der Arthroseentwicklung daraus nicht zwangsläufig über die Möglichkeit eines damit verbundenen Funktionsdefizits dieses auch hinreichend wahrscheinlich, da nur etwa 60 - 70 % der Betroffenen in höheren Arthrosegraden auch symptomatisch werden [1].
Der zu prognostizierende „Endpunkt Arthrose“ kann regelhaft weder seriös vorausgesagt noch mit hoher Wahrscheinlichkeit als posttraumatisch bezeichnet werden und wenn irgendwann doch, muss eben nicht aus diesem Erkrankungsbild auch ein invaliditätsrelevantes Funktionsdefizit resultieren. Der Sachverständige hat aber eben genau dieses Funktionsdefizit AUB-konform mit hoher Wahrscheinlichkeit vorauszusagen, sodass vernünftigen Zweifeln an dessen Entstehung Schweigen geboten ist [4].
Ein pauschalierter Zuschlag für das Risiko der Entwicklung einer posttraumatischen Arthrose wird der nach AUB gebotenen individualisierten Betrachtungsweise nicht gerecht, da einerseits sich innerhalb der Dreijahresfrist nicht regelhaft Indizien für die Entwicklung einer als posttraumatisch einzustufenden Arthrose aufzeigen lassen und andererseits bei hinreichender Wahrscheinlichmachung einer solchen damit nicht ein Funktionsdefizit verbunden sein muss, welches sich auf die Invaliditätsbemessung auswirkt.
Eine individualisierte Betrachtungsweise der Prognoseentwicklung im Hinblick auf die „Erkrankung“ Arthrose schließt aber bei schlüssiger Begründung eine Höherbewertung der Invalidität nicht gänzlich aus, z. B. bei Wahrscheinlichmachung einer zukünftig notwendig werdenden Prothesenimplantation wg. schon posttraumatisch umformender Arthrose im Beurteilungszeitraum. Hierbei kann eine bildgebend seitenvergleichende Untersuchung zum versicherungstechnisch spätmöglichsten Zeitpunkt hilfreich sein.
Gutachtliches Vorgehen bei posttraumatischer Arthrose
In der privaten Unfallversicherung sind Vorinvalidität und Mitwirkungsanteile zu berücksichtigen. Auch bei Nachweis einer posttraumatischen Arthrose zum versicherungstechnisch spätmöglichsten Zeitpunkt sind aber pauschalierte Invaliditätszuschläge, wie bisher angewendet, nicht zu rechtfertigen, wenn nicht ein aus der Arthrose resultierendes invaliditätsrelevantes Funktionsdefizit in einem Rahmen von 80/90 % oder mehr wahrscheinlich gemacht werden kann. Dies wird sich regelhaft nur begründen lassen, wenn man aus dem Befund einen perspektivischen prothetischen Gelenkersatz voraussagen kann. Die bisherigen Empfehlungen für einen „Arthrosezuschlag“ werden in einer der nächsten Sitzungen der Kommission „Gutachten“ der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU) in der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU) dementsprechend überarbeitet werden.