In den meisten Versicherungsmärkten sind es typischweise nicht die Kinder, die Lebensversicherungen beantragen. Gleichwohl gelten Kinder als zunehmend attraktive Zielgruppe für verschiedene Versicherungsarten, allen voran Versicherungen mit Erlebensfallleistung wie BU oder Dread-Disease. Kinder können entweder mit denselben Produkten abgesichert werden wie Erwachsene, oder mit individuell auf Kinder und deren Bedürfnisse zugeschnittenen Produkten oder mit einer Kombination aus beidem.
Eine zweite Zielgruppe, die häufig auf dem Schreibtisch der Underwriter landen, sind junge Erwachsene, deren Angaben zur Krankengeschichte bis ins Kindesalter zurückreicht.
Es ist also klar, dass sich Underwriter mit den besonderen Risiken von Kindern und jungen Erwachsenen als Antragstellern vertraut machen müssen. Bei der Beurteilung einer in die Kindheit zurückreichenden Krankengeschichte ist jedoch zwingend zwischen beiden Zielgruppen zu unterscheiden.
Versicherung von Kindern
Bei Versicherungsanträgen für Kinder müssen sich Underwriter vor allem fragen, was die Motivation der Eltern für den Versicherungsschutz ist, ob der Standardantrag ausreicht oder ein speziell auf Kinder zugeschnittener Antrag verwendet werden muss und wie die Langzeitfolgen einer Erkrankung zu bewerten sind.
Motivation für den Versicherungsabschluss
Ein wichtiger Aspekt bei der Versicherung von Kindern ist die Motivation der Eltern, Versicherungsschutz für die Kinder nachzufragen. Schließlich wird die Entscheidung, eine Lebensversicherung für das Kind abzuschließen, nicht vom Kind selbst, sondern von den Eltern oder einem Elternteil getroffen – und das kann zahlreiche Gründe haben. Einerseits haben Eltern ein grundsätzliches Interesse daran, ihre Kinder zu schützen und für sie vorzusorgen. Andererseits kann ein konkreter Grund vorliegen. Einen Einfluss auf die Entscheidung, Versicherungsschutz nachzufragen, haben beispielsweise Fälle von schweren Erkrankungen in der Familie oder im Freundeskreis, besonders dann, wenn solche Erkrankungen auf mögliche genetische Vorbelastungen des Kindes hindeuten könnten. Leidet das Kind bereits an gesundheitlichen Problemen, machen sich manche Eltern Sorgen, dass eine schwerwiegendere Erkrankung vorliegen könnte. Auch Entwicklungsdefizite oder Verhaltensauffälligkeiten könnten zur Befürchtung der Eltern beitragen, dass sich der gesundheitliche Zustand der Kinder künftig verschlechtert und die Probleme langfristig andauern. Geht das Kind bereits zur Schule und weist Lernschwierigkeiten auf, machen sich viele Eltern Sorgen über die berufliche Zukunft des Kindes und ziehen deshalb den Abschluss einer Versicherung in Erwägung.
All das sind legitime Gründe, nach Versicherungsschutz für das eigene Kind zu suchen. Andererseits geht damit ein erhebliches Risiko der Antiselektion einher. Eine gründliche Klärung der Risikosituation durch den Versicherer ist deshalb unerlässlich, um zu einer ausgewogenenBewertung zu kommen, die eine Risikoübernahme erlaubt.
Gesundheitsfragen – Standardantrag oder spezieller Kinderantrag?
Mit Blick auf die (im Versicherungsantrag gestellten) Gesundheitsfragen stellt sich vor allem die Frage, ob es einen einheitlichen Antrag für Kinder und Erwachsene geben sollte oder für die Absicherung von Kindern ein speziell auf sie zugeschnittener Antrag verwendet werden sollte.
Es gibt sicherlich mehrere gute Gründe für die Verwendung eines einheitlichen Antrags: Zusätzlicher Arbeitsaufwand entfällt, Vermittler wählen automatisch den richtigen Antrag und sowohl Vermittler als auch Underwriter sind bereits mit dem Standardantrag des Versicherers und dem üblichen Antwortspektrum vertraut.
Es spricht nichts von vornherein gegen die Verwendung eines einheitlichen Antrags, solange mit dem Standardantrag alle relevanten Informationen eingeholt werden können.
Wichtige Gesundheitsinformationen für die Absicherung von Kindern
Zunächst ist festzuhalten, dass Kinder häufig krank sind und es sich bei den allermeisten Fällen um harmlose Erkrankungen wie z. B. leichte Infektionen mit Fieber handelt. Im Vergleich zu Erwachsenen haben Kinder auch mehr Arztbesuche, da sich Eltern generell mehr Gedanken um die Gesundheit ihrer Kinder als um ihre eigene Gesundheit machen und deshalb häufig vorsichtshalber einen Arzt aufsuchen. Dementsprechend kann die Krankengeschichte eines Kindes sehr lang sein.
Im Underwriting lässt sich aus einer langen Krankengeschichte jedoch nicht zwangsläufig ableiten, dass sich dahinter eine schwerwiegende Erkrankung verbirgt, die für die Risikobewertung relevant ist. Wichtig ist, im Antragsprozess die richtige Balance zu finden – zwischen den zuverlässig feststellbaren Gesundheitsrisiken und einer Flut an hauptsächlich irrelevanten Informationen, die Eltern und Underwriter bei der Erfassung und Analyse überfordert.
In jedem Fall sollten die folgenden Kategorien von Erkrankungen in einem Versicherungsantrag für ein Kind erfragt werden:
- Angeborene Erkrankungen, z. B. angeborene Herzfehler, Chromosomen-Anomalien, sonstige Geburtsfehler
- Chronische Erkrankungen, die im Kindesalter auftreten können, z. B. Diabetes (vor allem Typ 1), rheumatische Erkrankungen, Epilepsie, chronisch-entzündliche Darmerkrankungen, Asthma, Allergien
- Krebs, z. B. Leukämie oder Gehirntumore
- Psychische und Verhaltensstörungen, z. B. Essstörungen, Autismus, ADHS
- Risikofaktoren für eine künftige Erkrankung, z. B. Übergewicht
- Seh- und Hörstörungen, vor allem, wenn diese die Entwicklung vermutlich beeinträchtigen werden (Spracherwerb, Schulbesuch)
- Alle Hinweise auf Entwicklungsverzögerungen, die noch nicht offiziell diagnostiziert wurden, aber möglicherweise auf eine Krankheit hinweisen, z. B. Verzögerungen der Gewichtszunahme oder des Wachstums
Sofern gesetzlich zulässig, kann es je nach Versicherungsprodukt außerdem ratsam sein, nach relevanten schweren Erkrankungen in der Familiengeschichte zu fragen.
Risikoprüfung von Krankheiten von Kindern
Die Wichtigkeit der verschiedenen Krankheitskategorien variiert je nach Versicherungsprodukt, doch in der Regel müssen sie alle beim Underwriting berücksichtigt werden. Die Risikoprüfung für ein Kind unterscheidet sich nicht wesentlich von der für einen Erwachsenen; dennoch kann die endgültige Entscheidung – z. B. in Bezug auf das genaue Loading – selbstverständlich anders ausfallen.
Je nach Erkrankung stellt eine frühzeitige Diagnose eins günstiges oder ungünstiges Kriterium dar. In manchen Fällen handelt es sich um das frühe Auftreten einer Krankheit, von der auch Erwachsene betroffen sein können. In diesen Fällen kann eine frühzeitige Diagnose vorteilhaft sein, da Komplikationen durch ein gutes und rechtzeitiges Krankheitsmanagement vorgebeugt werden kann. Manchmal handelt es sich aber auch um Krankheitsformen, die speziell bei Kindern auftreten und bei denen die Prognose weniger positiv ist. Die Aufgabe des Underwriters ist es, auf Grundlage der detaillierten Gesundheitsangaben des Antragstellers die günstigen von den ungünstigen Fällen zu trennen.
Eine besondere Herausforderung kann sich aus folgendem Aspekt ergeben: Je jünger das Kind, desto kürzer der Beobachtungszeitraum. Das macht es erheblich schwerer, den langfristigen Verlauf der Kindesentwicklung zuverlässig zu prognostizieren. Deshalb müssen besonders bei sehr jungen Kindern selbst geringfügige Anomalien im Underwriting besonders berücksichtigt werden.
Absicherung junger Erwachsener
Wenn ein junger Erwachsener einen Versicherungsantrag stellt und die für die Risikobeurteilung relevanten Fragen zu Erkrankungen im Kindesalter beantwortet, müssen einzelne Aspekte möglicherweise anders bewertet werden.
Ein Beispiel sind angeborene Fehlbildungen. So manch angeborener Herzfehler kann in der Kindheit erfolgreich behandelt worden und somit klinisch nicht mehr relevant sein. In der Regel liegt die Behandlung bereits einige Jahre zurück. Der Beobachtungszeitraum ist somit länger und das Risiko späterer Komplikationen lässt sich verlässlicher einschätzen.
Chronische Erkrankungen dauern in der Regel an, doch auch hier lässt sich der künftige Verlauf aufgrund des längeren Beobachtungszeitraums genauer vorhersagen. In vielen Fällen führt eine hohe Gewissheit in der Prognose mit höherer Wahrscheinlichkeit zu einer positiven Entscheidung als eine ungewisse Prognose.
Bestimmte Erkrankungen wie z. B. Asthma oder Allergien können zudem mit Eintritt in das Erwachsenenalter verschwinden. Auch wenn ein Wiederauftreten nie gänzlich ausgeschlossen werden kann, ist nichtsdestoweniger eine deutlich positivere Beurteilung als zum Zeitpunkt einer früheren, akuten Phase möglich.
Für die Bewertung von Entwicklungsstörungen gilt: Je älter der Antragsteller, desto besser die Datenlage und desto verlässlicher die Prognose des künftigen Verlaufs. Neben der Befolgung der ärztlich empfohlenen Behandlung, Behandlungserfolgen und dem Wissen über potenzielle Begleiterkrankungen kann der Underwriter den schulischen Erfolg bzw. Misserfolg oder gegebenenfalls die berufliche Leistung des Antragstellers für seine Bewertung heranziehen. Vor allem für die Berufsunfähigkeitsversicherung sind dies entscheidende Kriterien.
Als junger Erwachsener ist der Antragsteller mittlerweile möglicherweise bereits aus bestimmten Risikofaktoren – z. B. Adipositas im Kindesalter – „herausgewachsen“ und ein Zuschlag nicht mehr erforderlich. Auch Seh- und Hörbeeinträchtigungen könnten in dieser Zeit zumindest ausgeglichen worden sein. Die daraus resultierenden Entwicklungsverzögerungen dürften deshalb vollständig aufgeholt worden sein und müssen nicht berücksichtigt werden.
Dasselbe gilt für andere Entwicklungsverzögerungen oder Anomalien: Entweder haben sie sich als harmlos herausgestellt oder es liegt eine konkrete Diagnose vor, die nun eine genauere Risikobewertung ermöglicht.
Fazit
Als spezielle Zielgruppe der Versicherungswirtschaft stellen Kinder besondere Anforderungen an das Underwriting. Auch wenn viele bewährte Methoden aus der Beurteilung Erwachsener übernommen werden können, ist ein gründliches Underwriting nötig, um den Besonderheiten der kindlichen Entwicklung Rechnung zu tragen. Nur so lassen sich Abweichungen angemessen bewerten. Zum einen wird gezielte Antiselektion so vermieden; zum anderen verhindert man, dass jede noch so kleine Abweichung von der typischen Kindesentwicklung unnötig streng beurteilt wird.
Die Krankengeschichte eines Kindes kann sich ganz unterschiedlich darstellen, je nachdem, ob man im Kindesalter oder nachträglich darauf blickt. Generell wird das Underwriting mit zunehmendem Alter eines Kindes einfacher und es ergibt sich ein klareres Bild. Pauschale Risikobewertungen ohne Berücksichtigung der jeweiligen Altersperspektive weisen viele Schwächen auf und sind deshalb nicht zu empfehlen.