Heutzutage liest man in den Medien so häufig von Bränden in Recyclingbetrieben, dass es besonders schwerer Fälle bedarf, um die Aufmerksamkeit des Lesers zu erregen: „Brennende Reifen in Recyclinganlage in Yorkshire vom Weltraum aus gesehen.“1 In Deutschland gab es in den zehn Jahren von 2005 bis 2014 rund 1.400 Schadenfälle;2 im Vereinigten Königreich entfielen zwischen 2001 und 2013 insgesamt 4.321 Brände auf die Recyclingindustrie.3Ähnlich gestaltet sich das Bild im Rest der Welt. Die Versicherung der Recyclingindustrie stellt derzeit sowohl für Versicherer als auch für Rückversicherer eine enorme Herausforderung dar, denn sowohl die Häufigkeit als auch die Schwere der Brandschäden machen es schwer, entsprechende Risiken profitabel zu versichern. Dieser Artikel befasst sich mit den besonderen Risiken der Recyclingindustrie und gibt Hinweise auf vorbeugende Brandschutzmaßnahmen sowie Hinweise für Underwriter.
Die Recyclingindustrie gewinnt an Bedeutung
Abfall und die Abfallindustrie spielen eine immer größere Rolle in der Weltwirtschaft – einerseits wegen des erhöhten Umweltbewusstseins, andererseits wegen der Knappheit von Rohstoffen wie Edelmetallen. Insgesamt deckt die Recyclingindustrie 40 % des weltweiten Rohstoffbedarfs mit einem geschätzten Jahresumsatz von USD 200 Mrd.4 Sie beschäftigt rund 1,6 Mio. Menschen und ist traditionell von kommunalen Betrieben geprägt. Der Trend geht jedoch inzwischen zu Privatunternehmen, wobei der Markt von einigen wenigen großen Unternehmen beherrscht wird. In Großbritannien und Irland etwa befindet sich über die Hälfte der insgesamt 4.500 Recyclingbetriebe im Eigentum von nur fünf Unternehmen. Dennoch handelt es sich bei den meisten Anlagen um Kleinbetriebe mit Versicherungswerten in Höhe von wenigen Millionen Euro.
Bei der Wiederverwertung von Abfällen kommen viele verschiedene Verfahren, Entsorgungsmethoden und Technologien zum Einsatz. Der gemeinsame Nenner besteht darin, dass Abfälle generell eine hohe Brandlast darstellen und häufig leicht entzündlich sind. Kalkuliert man weitere Risikofaktoren wie mangelhafte Organisation, schlecht geschultes Personal und andere unzureichende Schadensverhütungsmaßnahmen mit ein, überrascht die Regelmäßigkeit, mit der es in Recyclingbetrieben zu Schadenfällen kommt, kaum.
Die Abfallwirtschaft umfasst eine Vielzahl von Materialien und Verfahren
- Materialien: Holz, Textilien, Kunststoffe, Papier, Elektrogeräte, Gewerbe-/Haushaltsmüll, Ersatzbrennstoffe und Biomasse – und beinahe täglich kommen neue Arten auf die Liste der wiederverwertbaren Materialien.
- Verfahren: Sortierung, Zerlegung, Umwandlung, Wiedergewinnung, Zerkleinerung, Verbrennung, Kompostierung, Strom- und Wärmeerzeugung durch die Verbrennung von Müll und Reststoffen.
Typische Verfahrensschritte sind z. B.
- Sammlung
- Annahme
- Lagerung
- Zerkleinerung
- Aufbereitung
- Sortierung
- Wiedergewinnung von Rohstoffen
Drei typische Gefahrenbereiche
Je nach angeliefertem Abfall und dessen Zusammensetzung ergeben sich einige typische Gefahrenbereiche, die sich in materielle, betrieblich-organisatorische und wirtschaftliche Gefahren einteilen lassen.
Materielle Gefahren
Die meisten Recyclinganlagen stellen per se eine außerordentliche Gefahr dar: zum einen durch die Mengen an brennbaren Abfällen, die recycelt werden sollen, zum anderen durch die recycelten Produkte selbst. Organische Materialien wie Papier, Karton, Textilien und Kunststoffe sind brennbar und leicht entzündlich.
Die mögliche Selbstentzündung von gelagerten Abfällen stellt eine weitere Gefahr dar. Große Lageransammlungen (sogar von vorsortierten) Materialien können sich, wenn beispielweise der Abfall mit Öl, Lacken oder Farben verunreinigt ist, durch Fermentationsprozesse selbst entzünden.
Auch Zerkleinerungsmaschinen, Schredder, Förderanlagen und Verbrennungsöfen, die normalerweise in Recyclingbetrieben zum Einsatz kommen, bergen ein besonderes Gefahrenpotenzial. Denn solche Geräte werden häufig mit hohem Druck und Energieeinsatz betrieben. Nicht selten ist zu beobachten, dass erforderliche Wartungs- und Instandhaltungsarbeiten nicht oder nur unregelmäßig erfolgen. Angesichts der kontinuierlich steigenden Anzahl der Materialien, die als recycelbar deklariert werden, entwickeln sich immer neue Verarbeitungsmethoden und -konzepte, ferner werden bestehende Müllverarbeitungs-Verfahren zur Effizienzsteigerung immer weiter entwickelt und verbessert. In der Folge findet man immer wieder Prototypenanlagen und -maschinen bzw. eine zunehmende Automatisierung der Verarbeitungsstufen.
Auch der Standort spielt eine Rolle. Recyclingbetriebe befinden sich häufig in Gebäuden oder auf Geländen, die ursprünglich für ganz andere Produktionsprozesse konzipiert waren. Sie sind daher nicht selten für den Recyclingbetrieb nicht adaptiert und optimiert und verfügen häufig nur über unzureichende Brandschutzeinrichtungen und -anlagen.
Eine Recyclinganlage besteht in der Regel aus einem Hauptbetriebsgebäude für die Abfallverarbeitung. Dort sind die meisten Maschinen untergebracht. Daneben gibt es Lagerbereiche im Freien von oft mehreren Tausend Quadratmetern Fläche, auf denen sich Abfallberge mit einer Höhe von fünf Metern und mehr befinden. Das kann die Brandbekämpfung extrem erschweren – besonders, wenn sich der Brandherd im Inneren eines riesigen Stapels befindet, wie in jüngster Zeit einige Großbrände in Metallrecyclingbetrieben gezeigt haben.
Betriebliche Gefahren
Zu diesen zählen neben einer oft fehlenden oder unzureichenden Wartung und Instandhaltung der Maschinen und Anlagen ein mangelndes Bewusstsein der Recyclingbetreiber der spezifischen betrieblichen Gefahren. Als Folge werden notwendige Investitionen in den vorbeugenden und abwehrenden Brandschutz nicht getätigt oder nur unzureichend umgesetzt.
Brandstiftung ist eine häufige Ursache von Bränden in Recyclingbetrieben. Aufgrund z. B. unzureichender Zugangsbeschränkungen, Bewachung während der betriebsfreien Zeit oder fehlender Videoüberwachung sind viele Recyclingbetriebe vom Grundsatz her brandstiftungsgefährdet.
Wirtschaftliche Gefahren
Die durch einen Brand verursachten Schäden in einem Recyclingbetrieb beschränken sich selten nur auf die erlittenen Schäden an Materialien, Gebäuden und Maschinen.
Denn durch einen Brand werden Rauch und toxische Gase in die Umgebung freigesetzt und führen häufig zu weiteren Schäden in der Umwelt, sowohl auf dem Betriebsgrundstück als auch in der Umgebung. Die Kosten zur Beseitigung dieser Umweltschäden können sehr hoch sein, insbesondere, da das zur Brandbekämpfung eingesetzte Löschwasser häufig toxisch ist und deshalb aufgefangen, gereinigt und anschließend entsorgt werden muss.
Stehen keine Ersatzanlagen oder sonstige Mittel zur Behandlung der auch nach einem Schaden aufgrund vertraglicher Verpflichtungen weiterhin angelieferten Abfälle zur Verfügung, drohen dem Recyclingbetrieb Strafen für die Nichterfüllung bestehender Verträge oder aber erhebliche Mehrkosten für den Transport großer Abfallmengen an andere Standorte.
Nach einem Brandschaden kommt es auch immer wieder vor, dass die Behörden dem Betreiber die Genehmigung für den Betrieb einer Recyclinganlage entziehen. Das Antragsverfahren zur Neuerteilung der erforderlichen Lizenzen kann sehr zeitaufwendig sein und ist nicht selten an Auflagen wie die Umsetzung zusätzlicher (und kostspieliger) Sicherheitsmaßnahmen geknüpft.
Schließlich ist auch zu beobachten, dass schwankende Marktpreise für Rohstoffe, Abfall und die daraus gewonnen Sekundärrohstoffe einen Einfluss auf die Schadenfrequenz von Bränden in Recyclingbetrieben zu haben scheinen. Bei fallenden Preisen ist eine vermehrte Lagerung von Abfällen aber auch der recycelten Produkte zu beobachten. Dadurch steigt nicht nur die Gefahr eines Lagerbrands, auch die Anzahl von vorsätzlichen Brandstiftungen scheint zu steigen.
Typische Schadenursachen
Analysiert man Medienberichte über Brandschäden in Recyclingbetrieben werden immer wieder folgende Hauptursachen genannt:
- Fahrlässige oder vorsätzliche Brandstiftung aufgrund offener Lagerung und ungehindert zugänglicher Bereiche
- Schäden an Elektro- und Heizanlagen sowie Anlagen- und Gerätedefekte
- Schäden ausgelöst durch unzureichend getestete Technologien und Verfahrensprozesse, Prototypenanlagen sowie verstärkter Einsatz von automatisierten Verarbeitungsschritten und stark automatisierten Verfahren
- Missachtung des Rauchverbots und Nutzung von offenem Feuer, einschließlich von Schweiß- und Schneidearbeiten
- Unzureichende Wartung, insbesondere von elektrischen Anlagen
- Explosionen, verursacht durch Gefahrstoffe wie Aerosole oder Staub
- Selbstentzündung von organischen Stoffen aufgrund chemischer bzw. biologischer Prozesse
Underwriting von Recyclingrisiken
In der Vergangenheit schlossen Betreiber von Recyclinganlagen für die Deckung ihrer Risiken klassische Feuerversicherungen ab. Mittlerweile reicht eine gewöhnliche Sachversicherung nicht mehr aus, um die Auswirkungen eines Feuers und damit verbunden eine resultierende Betriebsunterbrechung abzudecken.
Eine Versicherungspolice, die nicht auf die besonderen Gefährdungen eines Recyclingunternehmens zugeschnitten ist, birgt im Schadenfall ggf. einige unangenehme Überraschungen. Beispielsweise können sich zusätzliche Exposures oder Schäden durch vereinbarte Erweiterungen für Maschinenbruch oder Haftpflicht ergeben.
Ein Großbrand in einem Recyclingbetrieb lässt mit ziemlicher Sicherheit weitreichende wirtschaftliche Folgen erwarten. Wie bereits erwähnt, können diese Kosten Vertragsstrafen, Verlust der Betriebsgenehmigung und Ausgaben für die vorübergehende Nutzung einer alternativen Anlage zur Aufrechterhaltung des Betriebs umfassen.
In der Recyclingindustrie sind die Gewinnspannen von den Preisen für Abfälle und recycelte Materialien abhängig. Da diese Schwankungen unterliegen, kann der Wert von verbrannten Abfalllagern oder die Bruttogewinnspanne deutlich höher liegen als zum Zeitpunkt der Policenausstellung erwartet.
Policenerweiterungen – bspw. zur Deckung von Aufräum-, Feuerlösch- und Dekontaminierungskosten, Vertragsstrafen, behördliche Wiederaufbaubeschränkungen, Mehrkosten für behördliche Auflagen Betriebsunterbrechung und sonstigen Mehrkosten – können einen möglichen Schaden weiter in die Höhe treiben.
Aus diesem Grund sollte man beim Underwriting solcher Risiken die für das betreffende Risiko zugrundeliegende Versicherungspolice mit ihren einzelnen Bestimmungen in die Underwritingüberlegungen einfließen lassen, um den vollen Umfang der Deckung zu verstehen und im Schadenfall vor „bösen Überraschungen“ gefeit zu sein.
In einigen Ländern ist die Recyclingindustrie schon seit über 40 Jahren präsent, sodass dort eine erhebliche Menge an statistischem Material, z. B. Schadendaten verfügbar ist. In anderen Ländern hingegen befindet sich die Branche noch im Aufbau. Da wir aber die Ansicht vertreten, dass in diesem Bereich die Schadenerfahrungen grundsätzlich vergleichbar sind, glauben wir, dass die statistischen Erkenntnisse aus einem Land auf andere Länder übertragbar sind.
Bei der Berechnung einer angemessenen Prämie für einen vorliegenden Recyclingbetrieb sollte ein Underwriter in seine Prämienfindung die Besonderheiten des zu versichernden Betriebs in Bezug auf die spezifischen Gefährdungen, aber auch die vorhandenen präventiven Brandschutz-/Risikomanagementmaßnahmen, einbeziehen (siehe PDF-Datei „Muster-Checkliste“ auf Seite 5). Zum Beispiel könnten Prämienanpassungen etwa bei der Verwendung noch nicht ausreichend erprobter Technologien oder Maschinen sowie der Verarbeitung von Sondermüll oder radioaktiven Stoffen, aber auch die mögliche Schutzwirkung durch fest installierte Feuerlöschanlagen berücksichtigt werden.
Fazit
Aufgrund der zunehmenden Häufigkeit und Schwere von Brandschäden stellt die Recyclingindustrie eine besondere Herausforderung für Versicherer und Rückversicherer dar. Die Branche gilt als dermaßen riskant, dass manch einer ihre Versicherbarkeit in Frage stellt – oder zumindest Mindestauflagen für den Brandschutz für den Abschluss einer Versicherungspolice zur Bedingung macht.
Dementsprechend haben einige Versicherer entschieden, solche Betriebe gar nicht mehr zu versichern. Wir bei der Gen Re sind jedoch der Ansicht, dass die meisten Recyclingbetriebe versicherbar sind – sofern das Underwriting entsprechend angepasst wird.
Im Laufe der Jahre haben wir eine umfassende Expertise in der Recyclingindustrie aufgebaut und gemeinsam mit unseren Kunden einige maßgeschneiderte Rückversicherungslösungen für die Branche entwickelt. Diese Lösungen setzen voraus, dass bestimmte Sicherheits- und Brandvorbeugungsmaßnahmen eingehalten werden und die Berechnung der Versicherungsprämie die jeweiligen Exposures berücksichtigt. Falls Sie weitere Informationen wünschen oder Fragen haben, können Sie sich jederzeit an Ihren Kontakt bei der Gen Re wenden.