Das Jahr 2018 begann mit vielversprechenden Neuigkeiten zum Thema Krebs: Durch einen einfachen Bluttest können nun acht verschiedene Krebsarten erkannt werden. Der sogenannte CancerSEEK-Test wurde am Krebsforschungszentrum der Johns Hopkins University in Baltimore entwickelt und stellt möglicherweise einen Durchbruch in der Krebsmedizin dar.
Was bedeutet das für Versicherer? Die frühzeitige Behandlung von Krebs würde dazu führen, dass viele Versicherte länger leben und länger gesund bleiben. Auch für die Risikoselektion wäre ein solcher Test nützlich. Anbieter von Critical-Illness-Versicherungen könnten jedoch befürchten, dass die Krebsdefinitionen in ihren Versicherungsbedingungen schneller überholt sein könnten. Aktuell ist seitens der Versicherer ein besonnenes Abwägen der Fakten wohl die beste Reaktion.
Früherkennung ist für eine erfolgreiche Krebsbehandlung entscheidend. Ein Bluttest wie der CancerSEEK-Test zur Entdeckung von Proteinen und DNA, die von einem Tumor stammen, könnten eines Tages konventionelle Screening-Methoden wie die Mammografie oder Darmspiegelung oder eine rein abwartende Haltung ablösen.
Liquid Biopsy wird als neueste Lösung zur Heilung von Krebs gepriesen. Jüngste Fortschritte dieser Technologie konzentrieren sich jedoch auf bestimmte Krebsarten, und ihre Wirksamkeit beschränkt sich auf die Überwachung von Patienten, bei denen bereits Tumore festgestellt wurden. Das ultimative Ziel in der Krebsforschung ist die Entwicklung eines (größtenteils) nicht invasiven Tests, der:
- einfach wiederholt werden kann,
- in der Lage ist, Krebs mit einem hohen Grad an Sicherheit (Sensitivität) lange vor einer Metastasenbildung zu erkennen,
- eine hohe Spezifität aufweist, d. h. die Zahl der falsch-positiven Ergebnisse möglichst gering hält und
- in der Lage ist, das Ausgangsorgan der Krebserkrankung zu lokalisieren.
Der CancerSEEK-Test soll die ersten drei Kriterien ziemlich gut erfüllen - für manche Krebsarten besser als für andere.
Um das Ausgangsorgan des Krebses zu prognostizieren, fütterten Forscher einen selbstlernenden Algorithmus mit Informationen zu Geschlecht, Biomarkern und dem Ergebnis des Bluttests. Der Test selbst leistet Beachtliches: Er untersucht die Konzentration von acht Proteinen sowie eventuelle Mutationen in 2.001 Genpositionen. Angesichts der kalkulierten Kosten von 500 US-Dollar, die mit der Zeit wahrscheinlich noch sinken werden, könnte der Test eine durchaus lohnenswerte Investition darstellen.
Die Krebsforscher wandten den Test bei 1.000 Krebspatienten ohne Metastasenbildung und vor einer neoadjuvanten Chemotherapie - also einer medikamentösen Behandlung vor einer chirurgischen Tumorentfernung - an. Alle Patienten litten an Eierstock-, Leber-, Magen-, Bauchspeicheldrüsen-, Speiseröhren-, Darm-, Lungen- oder Brustkrebs der Stadien I bis III.
In Australien zum Beispiel machen diese Krebsarten beinahe die Hälfte aller 2017 neu diagnostizierten Krebserkrankungen aus; in anderen Ländern sind die Zahlen ähnlich. Grafik 1 zeigt die Sensitivität des Testverfahrens nach Krebsart, die Sortierung erfolgte nach der Inzidenzrate in Deutschland (von hoch nach niedrig). Die Entdeckungssrate variiert zwischen 33 % bei Brustkrebs und 98 % bei Eierstock- und Leberkrebs. Bei Krebspatienten in Stadium I fielen die Raten häufig niedriger aus. Der CancerSEEK-Test weist also eine höhere Sensitivität für die weniger häufig auftretenden der acht Krebsarten auf.
Aufgrund der je nach Krebsart unterschiedlichen Sensitivitätsraten ist es nicht verwunderlich, dass derzeit mehr und vor allem jüngere Männer von dem Test profitieren würden (Grafik 2).
Bei weniger als 1 % der gesunden Patienten kam der CancerSEEK-Test zu einem falsch-positiven Ergebnis. Dies lässt auf eine hohe Spezifität schließen, ist jedoch noch kein Beweis.
Auch das hergeleitete Prognosemodell für die korrekte Feststellung des Ausgangsorgans erscheint vielversprechend. Bei Patienten mit Lungenkrebs lag die Feststellungsrate knapp unter 40 % (Grafik 3), wobei das Modell bei diesen Patienten häufiger Darmkrebs vermutete. Bei Patienten, die an Eierstock-, Bauchspeicheldrüsen- oder Darmkrebs erkrankt waren, lag die Prognoserate indessen bei rund 80 %.
Auch wenn die Forschungsergebnisse vielversprechend erscheinen, bleiben einige Einschränkungen:
- In einer realistischen Screening-Situation wäre die Erkrankung der Patienten weniger weit fortgeschritten gewesen (bei allen Studienteilnehmern waren Krebserkrankungen und -symptome bereits diagnostiziert). Dementsprechend wäre die Erkennungsrate bei einer Kohorte von beispielsweise allen 55-Jährigen niedriger als in der Studie angegeben.
- Die gesunden Studienteilnehmer wurden gezielt ausgewählt. In einer realistischen Screening-Situation besteht die Möglichkeit, dass bei einigen dieser Personen eine Entzündung oder eine andere Erkrankung vorliegt - mit dem Ergebnis von mehr falsch-positiven Diagnosen.
- Die Studiengruppe war zwar nicht klein, aber auch nicht ausreichend groß für eine solide Überprüfung der Sensitivität und Genauigkeit des Testverfahrens.
CancerSEEK ist noch weit von einem präzisen, „magischen“ Test zur Krebserkennung in einem Zeitpunkt entfernt, in dem die Erkrankung mit konventionellen Methoden noch nicht feststellbar ist. Noch ist der Test nicht weit genug entwickelt, um von den Gesundheitsbehörden bei einem Bevölkerungsscreening eingesetzt zu werden. Inzwischen sind größere klinische Studien angelaufen. Bis die ersten Ergebnisse vorliegen, könnten jedoch noch fünf Jahre vergehen.
Versicherer müssen also keine plötzliche Flut von Krebsdiagnosen unter ihren Versicherten befürchten, und sie müssen sich auch noch keine Gedanken machen, wie sie mit dem Ergebnis eines Bluttests statt der histopathologischen Nachweise, die für fast alle aktuellen Krebsdefinitionen vorgeschrieben sind, umgehen.
Die Meldungen zeigen jedoch, wie schnell sich das Verfahren der Liquid Biopsy entwickelt und was in Zukunft noch alles möglich sein könnte. Sicherlich wird es auch diesmal wieder eine Debatte zu Überdiagnosen geben, wie wir sie schon im Zuge der Entwicklung anderer Screening-Programme erlebt haben, die nicht zu geringeren Sterblichkeitsraten - dem ultimativen Erfolgskriterium - geführt haben.
Wie so häufig bei Neuerungen, so hat auch diese Entwicklung für die Lebensversicherer vielschichtige Konsequenzen: ausschließlich traditionelle Critical-Illness-Versicherungen mit 100%iger Auszahlung allein aufgrund der Diagnose anzubieten, wird künftig mit noch größeren Risiken und Unwägbarkeiten behaftet sein, und zwar selbst in Märkten, in denen die Raten angepasst werden können. Diese neueste Entwicklung in der Krebsforschung zeigt uns einmal mehr, dass diese Art von Versicherungsprodukten ein ganzes Spektrum an Ausprägungen und Krankheitsfolgen für jede Erkrankung abdecken und sich dies auch in der Höhe der Versicherungsleistungen widerspiegeln muss.
Endnoten
- JD Cohen et al., Detection and localization of surgically researchable cancers with a multi-analyte blood test. 2018. Science, DOI: 10.1126/science.aar3247.
- Ebenda.
- Ebenda.